Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Schlechtes Wetter

In China steigt der Inflationsdruck. Spekulationsblasen und US-Finanzkrise stellen zentrale Wirtschaftssteuerung vor gewaltige Probleme

Von Wolfgang Pomrehn *

Chinas Ökonomen haben ein Problem: Einerseits müssen sie die steigende Inflation eindämmen, andererseits die Folgen der abflauenden Weltkonjunktur für das Land auffangen. Für letzteres müßte eigentlich der Binnenmarkt angekurbelt werden, doch das wiederum könnte leicht den Inflationsdruck erhöhen.

Die Volksrepublik ist der wichtigste Lieferant für den US-Konsumgütermarkt und schaut daher beunruhigt über den Pazifik. Wie sehr und wie nachhaltig haben Überschuldung und Wertverlust der eigenen vier Wände US-Verbrauchern die Kauflust genommen, heißt die bange Frage, die sich Pekings Planer und Zentralbanker stellen. Schon seit einigen Jahren versuchen sie die extreme Exportabhängigkeit abzubauen und den Binnenmarkt zu stärken. Doch die kräftigen Gehaltszuwächse vor allem der städtischen Mittelschichten haben bisher nicht den erwünschten Erfolg gebracht. Der Anteil des privaten Konsums am Bruttosozialprodukt ging eher zurück, das heißt Export, Investitionen der Unternehmen und Infrastrukturmaßnahmen wuchsen noch schneller.

Immobilienblase?

Ein nicht kleiner Teil des zusätzlichen Einkommens floß in den Erwerb von Eigentumswohnungen und hat in vielen chinesischen Metropolen den Markt inzwischen derart aufgeblasen, daß ihn Fachleute für höchst instabil halten. Auch in China sind vielerorts Häuser und Wohnungen erheblich überteuert, so daß mancher schon vor dem Platzen einer weiteren Immobilienblase warnt. Das starke Wachstum der Volkswirtschaft hat dem Problem aber bisher die Spitze nehmen können, weil die Einkommensverhältnisse in den urbanen Ballungsgebieten sich von Jahr zu Jahr verbesserten. Chinas Städter, ganz im Gegensatz zu vielen Bauern und Wanderarbeitern, haben zunehmend Geld in der Tasche, so daß massenhafte Zahlungsunfähigkeit nicht zu befürchten ist. Die Hypotheken chinesischer Banken scheinen, anders als in den USA, nicht in Gefahr.

Es sei denn die Inflation, die zuletzt deutlich angezogen hat, nimmt weiter zu und frißt den Einkommenszuwachs wieder auf. Insbesondere Lebensmittelpreise waren im letzten Jahr kräftig nach oben geschossen. Nach den Schneestürmen, die das Land in den vergangenen Wochen in den Ausnahmezustand versetzten, ist auch in Sachen Inflation einiges zu befürchten. Die ungewöhnlichen Kälteeinbrüche bis tief in den tropischen Süden des Landes haben in der Landwirtschaft große Schäden angerichtet. Zumindest in der ersten Jahreshälfte wird sich das Lebensmittelangebot weiter verknappen und damit die Preise nach oben treiben. Auch in Australien, für gewöhnlich ein großer Getreideexporteur, ist in diesem Sommer -- auf der Südhalbkugel strebt die warme Jahreszeit gerade ihrem Höhepunkt entgegen --durch Dürren ein großer Teil der Ernte ausgefallen. Auch das dürfte die Inflation in China anheizen.

Unterdessen macht das internationale Umfeld die Lage nicht gerade einfacher. In den USA werden in den kommenden Monaten die Zinsen noch weiter sinken, während sie in der Volksrepublik zur Bekämpfung der Inflation eher steigen. Damit wird es attraktiv, Dollars in Yuan zu konvertieren, um von der Zinsdifferenz zu profitieren. Zusätzlich lockt die Aussicht auf die Aufwertung des Yuans gegenüber dem US-Dollar, die sich in diesem Jahr nach Ansicht chinesischer Banker beschleunigen wird. Wer also jetzt in den USA Geld zu einem niedrigen Zinssatz leiht und es in China höher verzinst wieder anlegt, kann zusätzlich darauf hoffen die Summe in ein oder zwei Jahren zu einem wesentlich besserer Kurs zurücktauschen zu können.

Zinstourismus

Für derlei Geschäfte gab es in den letzten Jahren ein Vorbild: Japan hat bis vor kurzem über viele Jahre versucht, seiner Wirtschaft mit Billigkrediten auf die Beine zu helfen. Faktisch wurden somit mehrere hundert Milliarden Dollar in die internationalen Finanzmärkte gepumpt. Man brauchte nur in Japan einen Kredit für maximal einen Prozent Zinsen aufnehmen und das Kapital in rentable Anlagen im Ausland stecken.

Etwas ähnliches könnte sich demnächst auch im Verhältnis zwischen den USA und China ereignen. Zwar ist der Kapitalverkehr mit dem Ausland in der Volksrepublik stark reglementiert, allerdings gibt es offenbar schon jetzt allerlei Wege, die Kontrollen zu umgehen. Je größer die Zinsdifferenz und je höher das Gewinnversprechen, desto mehr Trampelpfade werden sich für findige Spekulanten finden lassen. Das Problem an der Geschichte: Durch den Zufluß steigt die Geldmenge im Inland und erhöht den Inflationsdruck. Die Zinserhöhungen könnten sich also als wirkungslos erweisen. Die chinesischen Behörden wären vor die Alternative gestellt, ganz auf sie zu verzichten oder die Zinsen noch weiter anzuziehen. Eine mögliche Gegenmaßnahme könnte eine rasche Aufwertung des Yuan sein. Das würde Importe verbilligen und damit den Inflationsdruck vermindern. Zusätzlich würde es den Umgang mit US-Amerikanern und Europäern erleichtern, die seit langem auf einen solchen Schritt drängen. Andererseits käme eine zu starke Aufwertung für die chinesische Exportindustrie einer Schocktherapie gleich. Wir dürfen gespannt sein, wie sich Peking in den nächsten Monaten entscheiden wird.

* Aus: junge Welt, 12. Februar 2008 Zurück zur China-Seite

Zurück zur Homepage