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Die Hand gereicht

Indien und China schließen Abkommen zur Kooperation an der Grenze

Von Hilmar König, Neu-Delhi *

Indien und China haben sich darauf verständigt, Ruhe an der gemeinsamen Grenze zu gewährleisten. Bei seinem dreitägigen Besuch in Peking unterzeichneten Indiens Premier Manmohan Singh und sein chinesischer Kollege Li Keqiang am Mittwoch das Border Defence Cooperation Agreement (BDCA), eine wichtige vertrauensbildende Maßnahme. Das Abkommen soll die Zusammenarbeit bei der Sicherung der rund 4000 Kilometer langen gemeinsamen Grenze, die an verschiedenen Abschnitten umstritten ist, verbessern.

Ungeklärte Grenz- und Territorialfragen gibt es seit dem Krieg von 1962. Die Ministerpräsidenten Zhou Enlai und Jawaharlal Nehru waren zwar in den 1950er Jahren die »Väter« der fünf Prinzipien der friedlichen Koexistenz, vermochten einen Waffengang jedoch nicht zu verhindern. Beträchtliche beiderseitige Gebietsansprüche sind das Erbe. Das jetzige Abkommen gewährleistet wenigstens, so Ministerpräsident Keqiang, »Frieden, Stabilität und Ruhe« entlang der Grenzlinie. Premier Singh ergänzte, Frieden an der Grenze sei der »Schlüssel« zu guten Beziehungen zwischen beiden Ländern: »Verhandlungen in Richtung einer fairen, vernünftigen und akzeptablen Lösung der Grenzfragen, das wird unsere strategische Zielmarke sein.« 16 Runden solcher Verhandlungen hat es bereits gegeben, ohne Einigung. Im April kam es zu einem ernsten Zwischenfall bei Depsang in der indischen Ladakh-Region. Drei Wochen hielten sich chinesische Soldaten in einem Gebiet auf, das die Inder unter Kontrolle haben. Nun sollen verbesserte Kommunikation, Treffen von Kommandeuren beider Seiten und lokale gemeinsame Übungen der Wiederholung einer solchen Situation vorbeugen.

Chinas Ministerpräsident schätzte das Treffen mit Singh als »großen Erfolg« ein und verwies darauf, daß er im Sommer seine erste Auslandsreise nach Indien unternommen hatte, um die Bedeutung eines guten Verhältnisses zum südlichen Nachbarn zu unterstreichen. Indiens Regierungschef sagte, vor allem gehe es um ein gutnachbarschaftliches Verhältnis zwischen insgesamt 2,5 Milliarden Indern und Chinesen. Wenn die sich die Hand reichen, finde das Aufmerksamkeit in der ganzen Welt. Indische Medien belegen das mit Tatsachen: Beide Länder besitzen nicht nur Atomwaffen und haben überdurchschnittlich hohe Wirtschaftswachstumsraten, sondern demonstrieren gemeinsame Interessen und Absichten auch in Bündnissen wie BRICS (Brasilien, Rußland, Indien, China und Südafrika) oder der Shanghai Kooperationsgruppe. Singh kam direkt von einer Visite in Moskau in die chinesische Hauptstadt.

Außer zur Zusammenarbeit an der Grenze gab es Vereinbarungen zur Kooperation im Handel, bei Investitionen, im Kulturbereich, der Entwicklung der Infrastruktur und des Energiesektors sowie beim Management grenzüberschreitender Flüsse. Bis 2015 soll das Handelsvolumen von gegenwärtig 66 Milliarden auf 100 Milliarden Dollar erhöht werden. Indien will seine negative Handelsbilanz verbessern, indem es vor allem mit pharmazeutischen und IT-Produkten Zugang zum chinesischen Markt anstrebt. Zu diesem Zweck findet auch gleichzeitig mit Singhs Visite ein chinesisch-indisches Forum von Business- und Industriekapitänen statt. Peking hat großes Interesse an einer ökonomischen Sonderzone auf indischem Gebiet.

Ein dringend erforderliches Visa-Abkommen war in letzter Minute auf Eis gelegt worden, nachdem die chinesische Botschaft in Neu-Delhi Sportlern aus dem Bundesstaat Arunachal Pradesh, das China als eigenes Territorium »Südtibet« beansprucht, nur provisorische Visa ausgestellt hatte. Indien akzeptierte das nicht. Ein weiteres Problem sieht Indien in der verstärkten nuklearen Zusammenarbeit Chinas mit Pakistan und in den Projekten, die China im pakistanischen Teil Kaschmirs baut. Doch offensichtlich hat das die Atmosphäre nicht getrübt. Manmohan Singh zeigte sich jedenfalls am Mittwoch vor den Medien zufrieden mit den insgesamt »sehr produktiven Gesprächen«.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 24. Oktober 2013


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