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Waffengeklirr im Himalaja

Scharfmacher verlangen von Indiens Regierung »entschlossenes Vorgehen« im Grenzstreit mit China

Von Hilmar König *

Seit dem 15. April hält ein Trupp chinesischer Soldaten einen Teil des Depsang-Tales im Himalaja, östlich des Karakorum-Passes, besetzt und hat dort ein Zeltlager aufgeschlagen. Nach indischer Darstellung befindet sich die Stellung 19 Kilometer südlich der »Linie der Aktuellen Kontrolle« (LAC). So wird die seit über 50 Jahren nicht demarkierte Grenze zu China offiziell bezeichnet.

Peking besteht darauf, seine Soldaten stünden auf chinesischem Gebiet. Der über 3000 Kilometer lange Grenzverlauf zwischen Indien und der chinesischen Provinz Xinjiang und dem autonomen Gebiet Tibet hält sich in Abschnitten in etwa an die von der britischen Kolonialverwaltung gezogene McMahon-Linie, die zur Zeit der indischen Unabhängigkeit im Jahre 1947 bestand. 1962 kam es zu einem kurzen Krieg zwischen den beiden Nachbarn. Seitdem erheben sie gegenseitig territoriale Ansprüche, Indien auf das an seine Ladakh-Region angrenzende Aksai Chin und China auf den indischen Bundesstaat Arunachal Pradesh.

Militärstrategische Experten und oppositionelle Politiker verlangen nun von der indischen Koalitionsregierung der Vereinten Progressiven Allianz unter Premier Manmohan Singh ein »entschlossenes Vorgehen gegen die Invasoren«. Die Scharfmacher werden dabei von eher moderaten Kommentatoren in Indien lautstark angestachelt. Der Politikwissenschaftler Bharat Karnad etwa meinte, chinesische Hubschrauber abzuschießen und den Handel mit China einzustellen, wären durchaus Optionen. Die hindunationalistische Indische Volkspartei (BJP) und Mulayam Singh Yadav von der Samajwadi Party wetterten, die Regierung agiere »höchst feige, inkompetent und ist zu nichts zu gebrauchen«. Brahma Chellany vom Zentrum für Politikforschung in Neu-Delhi sagte, Feigheit signalisiere nur Schwäche und lade zu noch mehr Aggressivität ein. Arun Jaitley von der BJP drohte: »Unsere und die Geduld des Volkes geht zu Ende.« Yadav, dessen Partei das Kabinett des Premiers unterstützt, bezeichnete China als größten Feind Indiens und forderte einen Rauswurf der chinesischen Soldaten. Er verstieg sich zu der Bemerkung: »Wenn es zum Krieg kommen sollte, seis drum«. Der Außenminister dürfe keinesfalls nach Peking reisen.

Den Zwischenfall bewerten die Kritiker als bislang schwerste Verletzung der LAC. Inzwischen kampieren angeblich rund 50 chinesische Soldaten in fünf Zelten im Depsang-Tal, das auf Militärkarten auch als Daulat Beg Oldi verzeichnet ist. Sie werden von zwei Spürhunden begleitet, verfügen über Geländefahrzeuge und werden von einem Schwerlaster mit Nachschub versorgt. Sie haben ein Banner aufgepflanzt, auf dem in Englisch zu lesen ist: »Sie befinden sich auf der chinesischen Seite«. Indisches Militär hat inzwischen seine Präsenz verstärkt und zeigt in etwa 500 Meter Entfernung Flagge. Beide Lager behaupten, sie hätten auf eigenem nationalen Territorium Stellung bezogen.

Die indische Regierung spielt den Vorfall bislang herunter. Immerhin will Außenminister Salman Khurshid am 9. Mai nach Peking reisen. Der chinesische Ministerpräsident Li Keqiang hat einen Kurzaufenthalt für den 20. Mai in Neu-Delhi angekündigt. Und Indiens Verteidigungsminster A.K. Anthony beabsichtigt im Mai oder Juni einen China-Besuch. Dafür möchte man eine entspannte Atmosphäre. Premier Singh sagte, es handele sich um eine »lokale Angelegenheit«, die Lage dürfe nicht eskalieren. Minister Anthony erklärte, Indien sehe sich einer friedlichen Lösung der Situation durch militärischen und diplomatischen Dialog verpflichtet. Auf allen Ebenen würden Schritte unternommen, die nationalen Interessen zu sichern. Ein Sprecher des Außenministeriums gab zwar zu, daß es im Depsang-Tal eine »Situation von Angesicht zu Angesicht« gibt, sprach zugleich aber auch von »Mechanismen zur Lösung« des Disputs. Außenminister Khurshid mahnte zur Mäßigung: Der Vorfall »bereitet uns keine schlaflosen Nächte; auch China denkt, daß man das bereinigen kann«.

* Aus: junge Welt, Freitag, 3. Mai 2013


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