Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

China setzt auf Hightech

Weg von der Billigproduktion: Der weltgrößte Elektronikfertiger Foxconn ändert auf Pekinger Druck sein Konzept. Transformation ohne Jobverluste

Von Stephan Müller *

Als am 27. März bekanntwurde, daß Foxconn eine strategische Partnerschaft mit dem japanische Sharp-Konzern zur Produktion von Großbildschirmen eingeht, ging ein Raunen nicht nur durch die Wirtschaftspresse. Foxconn ist der größte Auftragsfertiger der Elektronikbranche weltweit, baut also für andere Unternehmen unter deren Namen Geräte zusammen. Ungefähr 90 Prozent der Produktion elektronischer Gebrauchsgüter wie Mobiltelefone oder Laptops werden nicht in Fabriken von Apple, Dell oder anderen gebaut, unter deren Label sie verkauft werden, sondern von Auftragsfertigern wie Foxconn. Das riesige Industrieunternehmen bedient nach Schätzung von Branchenkennern etwa die Hälfte des globalen Montagemarktes. Hinter der Firmierung Foxconn steht die Hon Hai Precision Industry Corporation mit Sitz in Taiwan, die von der Familie Gou kontrolliert wird.

Bei dem Zugriff von Foxconn auf Sharp geht es nach Meinung der Fachpresse um die Großdisplayfertigung für Apple. Die Kalifornier sollen sich für Sharps Technologie zur Herstellung von Indium-Gallium-Zinc-Oxide-Panels (IGZO) interessieren, um in die Produktion eines neuen Typs Fernseher einzusteigen. Damit wollen sie offenbar den Weltmarkt wie mit den i-Produkten neu aufmischen. Foxconn ist Apples wichtigster Auftragshersteller. Nach Abschluß der Transaktion wird der Mutterkonzern Hon Hai größter Einzelaktionär von Sharp sein. Apples Vorstandschef Tim Cook besuchte erst kürzlich die zuletzt wegen mieser Arbeitsbedingungen in die Krtitik geratenen Foxconn-Fabriken in Shenzhen, der wichtigsten Hi-Tech-Metropole Chinas nahe Hongkong.

Deenn der dritte Partner in der Beziehung ist Peking. Foxconn-Gründer Terry Gou hatte die Chance begriffen, die sich ihm mit der Öffnung der Volksrepublik in den 80er Jahren bot. Das Angebot der Regierung von Deng Xiaoping, ausländisches Kapital zur beschleunigten Industrialisierung des Landes zu nutzen, machte aus Foxconn das größte private Unternehmen Chinas. Die Hon Hai Group hat heute über eine Million seiner ca. 1,2 Millionen Beschäftigten in der Volksrepublik.

Zur Krise dieser chinesisch-chinesischen Beziehung kam es 2010, nachdem Gou die Dynamik in der Kommunistischen Partei und ihrer Führungsgruppe um Hu Jintao unterschätzt hatte. Die hatte beschlossen, China zum Hightech-Land zu machen. Hu war 1992 in das Machtzentrum Chinas, den ständigen Ausschuß des Politbüros der KP aufgerückt, und profilierte sich mit dem Motto der »wissenschaftlich fundierten Entwicklungskonzepte«. 2002 wurde er Parteivorsitzender und Staatschef. Als er 2007 auf dem 17. Parteitag der KP bestätigt wurde, setzte er Beschlüsse durch, um das Tempo in Richtung qualitatives Wachstum zu beschleunigen. Dazu bedurfte es einer Qualifizierung der Arbeiter, um von der Rolle als verlängerte Werkbank des Westens wegzukommen. Die Intention: Der Billigproduktion mit wenig inländischer Wertschöpfung müsse durch höhere Löhne der Boden entzogen werden. Deshalb war angestrebt, daß bis Ende 2009 in allen Betrieben effektive Gewerkschaften fungieren.

Das führte zum Konflikt mit den regionalen Regierungen. Die hatten, in Shenzhen bei Foxconn, Ruhe und Ordnung zugesagt, um den Zuschlag für Standorte mit bis zu 450000 Arbeitsplätzen zu bekommen. Als die Forderungen der Foxconn-Arbeiter Anfang 2010 nicht durchgesetzt waren, wurden deren Aktionen von der Partei- und Regierungszentrale in Peking und ihren Medien massiv unterstützt.

Gou mußte schließlich zusagen, in Shenzhen z. B. die Löhne schrittweise bis Ende 2010 zu verdoppeln. Der Unternehmer verband das mit der Drohung, Foxconn aus der Volksrepublik abzuziehen. Daraufhin erhielt er ein Angebot auf Basis der Politik Hu Jintaos, das er ebensowenig ablehnen wollte wie seinerzeit das der Ära Deng. Der Kern: An der Qualifizierung der chinesischen Industrie, von Arbeitern und Technik, gehe kein Weg vorbei. Die VR China lasse sich nicht erpressen, wenn er weggehen wolle, müsse er das tun. Es gäbe aber in der Volksrepublik Alternativen in zwei Richtungen: Aufbau neuer Fabriken im unterentwickelten Westen des Landes, und Aufbau einer Hightech-Industrie im entwickelten Küstenstreifen, z.B. in Shenzhen, wenn er Foxconn in der Wertschöpfungskette nach oben bringen wolle.

Gou hatte verstanden. Das Ergebnis: Foxconn baut in drei Zentren des Westens Chinas neue Fabriken mit mehreren hunderttausend Arbeitsplätzen für Menschen, die dort bei der Industrialisierung der Landwirtschaft freigesetzt werden und nun nicht mehr nach Osten migrieren müssen. Gleichzeitig will das Unternehmen den Sprung in die nächste Technologiegeneration wagen. Im Juli 2011 meldete die Nachrichtenagentur Xinhua, daß Foxconn plane, die Anzahl der Industrieroboter in Shenzhen von 10000 auf 300000 im folgenden Jahr, und bis 2014 auf eine Million zu steigern. Diese Automaten sollten 500000 ungelernte Arbeiter ersetzen. In diesem Prozeß soll die bestehende Belegschaft höher qualifiziert werden, um Entlassungen zu vermeiden. Terry Guo bestätigte im November laut Xinhua, daß es 2012 keine Entlassungen geben wird. Die Dimension der Pläne wird deutlich beim Vergleich mit der Gesamtzahl der global 2010 verkauften Industrieroboter, die von der IFR (International Federation of Robotics), mit ca. 118000 angegeben wird, davon ca. 14000 in der BRD. Foxconn will einen eigenen Robotertyp, den »Foxbot«, entwickeln und bauen. Mit den selbstbewußten Arbeitern von Shenzhen und ihren Verbündeten in Staat, Partei und Medien hat sich Gou wohl abgefunden. Mit dem Schritt in die Großbildschirmtechnologie könnte sein Konzern eine weitere Wachstumsperiode in der Zusammenarbeit mit Apple einläuten. Damit scheint es möglich, »Freisetzungen« von Beschäftigten auf dem Weg zur Hightech-Industrie zu vermeiden.

* Stephan Müller schreibt u. a. für die Kommunistische Arbeiterzeitung (KAZ) und Theorie und Praxis.

Aus: junge Welt, 10. April 2012



Zurück zur China-Seite

Zurück zur Homepage