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"Reife Partnerschaft" mit faulen Stellen

Auf dem EU-China-Gipfel werden Konfliktthemen ausgeblendet

Von Uwe Sattler *

Die Beziehungen zwischen China und der Europäischen Union sind nicht konfliktfrei. Politische Konflikte aber sollen die guten Wirtschaftsbeziehungen nicht gefährden.

Die Treffen der EU mit China stehen unter keinem guten Stern. Hatte sich die deutsche Regierungschefin Angela Merkel vor zwei Jahren den Zorn Pekings zugezogen, als sie ohne Vorwarnung den Dalai Lama empfing, war es im vergangenen Dezember der französische Präsident und damalige EU-Ratsvorsitzende Nicolas Sarkozy, der nach seinem Treffen mit dem geistlichen Oberhaupt der tibetischen Buddhisten bei Chinas Führung in Ungnade fiel. Während nach dem tête-à-tête im Kanzleramt jedoch »nur« eine monatelange bilaterale Eiszeit folgte, nahm Peking für den Sarkozy-Affront die ganze EU in Sippenhaft: Der 11. chinesisch-europäische Gipfel in Lyon wurde abgesagt. Nun musste sich der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier ins Zeug legen, um vor dem heutigen Nachholetermin in Prag weitere Verstimmung zu verhindern: Der Außenamtschef will der Washingtoner Bitte, eine Gruppe Uiguren -- Angehörige eines in China lebenden Turkvolkes -- aus dem US-Lager Guantanamo in Deutschland aufzunehmen, nicht nachkommen. Denn Peking hält die Häftlinge für Terroristen und verlangt deren Auslieferung.

Dass gerade Berlin auf eine Normalisierung des Verhältnisses zu Peking setzt, ist nicht überraschend. Schließlich lag Deutschland im vergangenen Jahr mit 34 Milliarden Euro auf Platz eins der EU-Exporteure nach China; mit 21 Prozent der EU-Gesamtbilanz war die Bundesrepublik zugleich größter Importeur. Insgesamt hat sich der Warenhandel der EU mit dem asiatischen Staat zwischen 2000 und 2008 mehr als verdreifacht, China ist zum größten Handelspartner der EU nach den USA avanciert. Gerade in Zeiten der globalen Krise sehen sowohl die EU als auch China -- die Weltbank geht in diesem Jahr vom schwächsten chinesischen Wirtschaftswachstum seit 19 Jahren aus -- ihr Heil in verstärkter Zusammenarbeit. »Handel und Investitionen werden uns aus der aktuellen Krise herausführen«, erklärte die Brüsseler Handelskommissarin Catherine Ashton vor wenigen Tagen in Peking. Streitereien um Uiguren oder den Dalai Lama können da nur stören. Allerdings ist Tibet ohnehin nur noch Nebenthema. Schließlich sind die Olympischen Spiele in Peking Geschichte und Chinas Führung reagiert weniger gereizt auf die Versuche ihrer Kritiker, die Tibet-Politik in die Öffentlichkeit zu bringen. Zumal die internationalen Medien kaum noch Interesse daran zeigen.

Brüssel mag diese Entwicklung durchaus freuen. Schließlich wollte man mit der Tibet-Frage das gegenseitige Verhältnis (offizielle Beziehungen bestehen seit 1975) nie belasten und hatte eher pro forma auf Menschenrechtsrechtsverletzungen in dem Gebiet verwiesen. In der 1995 von Brüssel vorgelegten langfristigen Strategie für die EU-China-Beziehungen beschränkte sich die Kommission auf einen Satz zu Tibet: Die Gewährleistung der Minderheitenrechte sei unzureichend. Statt dessen wird Chinas Rolle für internationale Stabilität, die Weltwirtschaft und als Markt für europäische Produkte hervorgehoben. Für das Wohlwollen bedankte sich Peking 2003 mit einem eigenen Papier zum chinesisch-europäischen Verhältnis. Darin wird von »reifen Beziehungen« gesprochen und konstatiert: keine wesentlichen Interessenkonflikte. Und in der erneuerten langfristigen EU-Planung für China aus dem Jahr 2006 kommt noch nicht einmal mehr der Begriff Tibet vor. Immerhin hat es bei der jüngsten Runde im institutionalisierten europäisch-chinesischen Menschenrechtsdialog eine Diskussion über die Bergregion gegeben. Details allerdings mochte keine Seite mitteilen.

Auch über andere Konfliktpunkte ist nur wenig zu hören. Die Gespräche über den weltweiten Klimaschutz und Chinas Anteil daran laufen zwar, haben bislang aber keine greifbaren Ergebnisse gebracht. Selbst die gewachsene Zahl von Warnmeldungen über gefährliche Produkte aus China, ein medialer Dauerbrenner, wird sehr zurückhaltend kommentiert. Dabei hatte das EU-Alarmsystem RAPEX erst kürzlich in seinem Jahresbericht für 2008 mitgeteilt, dass insgesamt 909 RAPEX-Meldungen zu besonders gefährlichen Produkten Erzeugnisse betrafen, die in China hergestellt wurden -- ein Anstieg gegenüber dem Vorjahr von 52 auf 59 Prozent aller gemeldeten Fälle. Und verklausuliert bleiben auch die Aussagen zur Afrika-Politik Chinas und der EU, obwohl hier das größte Konfliktpotenzial in den kommenden Jahren liegen dürfte. Während die Europäer -- wenn auch inkonsequent -- in ihrer Afrika-Politik durchaus Entwicklungsaspekte berücksichtigen, wird Peking vorgeworfen, auf der Jagd nach Rohstoffen und Energiequellen diese Fragen ebenso zu ignorieren wie die dramatische Menschenrechtssituation in vielen afrikanischen Staaten. Offen ausgesprochen wird das jedoch vermutlich auch in Prag nicht.

* Aus: Neues Deutschland, 20. Mai 2009


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