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China verkauft nicht

Streitpunkt Exportrestriktionen für Seltene Erden: EU, Japan und USA verklagen Volksrepublik vor Schiedsgericht der Welthandelsorganisation

Von Wolfgang Pomrehn *

Die EU, Japan und die USA haben vor dem Schiedsgericht der Welthandelsorganisation (WTO) Klage gegen China eingelegt. Die alten Industriestaaten sind ungehalten, weil die Volksrepublik die Ausfuhren der sogenannten Seltenen Erden stark limitiert hat. Weder die Beschränkungen noch die Klage dagegen kommen allerdings überraschend, denn der Streit schwelt bereits seit mindestens zwei Jahren. China hat seine entsprechenden Absichten bereits seit Mitte des letzten Jahrzehnts immer wieder verkündigt und die Ausfuhrquoten schrittweise verknappt. Die Kläger haben sich ihrerseits darüber immer wieder beklagt; allerdings ist fraglich, ob die von ihnen behaupteten Schwierigkeiten beim Eindecken mit den begehrten Rohstoffen real sind oder nicht auch andere Motive eine Rolle spielen.

Worum geht es? Bei den Selteneerdmetallen, so die korrekte chemische Bezeichnung, handelt es sich um eine Gruppe von 17 Elementen des Perio­densystems, die in den letzten Jahren in vielen technischen Anwendungen Verbreitung gefunden haben. Die Namen sind dem Laien wenig geläufig und einige wie Lutetium, Yterbium oder Gadolinium erinnern eher an die Bezeichnung römischer Garnisonen bei »Asterix & Obelix«. Anders, als die Gruppenbezeichnung nahelegt, sind sie nicht unbedingt selten. Im Gegensatz zu anderen ökonomisch wichtigen Metallen sind sie allerdings in der Erdkruste sehr gleichmäßig verteilt. Aufgrund ihrer besonderen chemischen Eigenschaften haben sich durch geologische Prozesse nur wenig Lagerstätten herausgebildet, in denen sie in Konzentrationen aufzufinden sind, die eine ökonomische Ausbeute erlauben.

95 bis 97 Prozent der weltweiten Förderung erfolgt nach unterschiedlichen Angaben derzeit in China, und zwar überwiegend im Tagebau mit katastrophalen Auswirkungen für die Umwelt. Die größte Mine liegt allerdings in den USA, in der kalifornischen Mojave-Wüste. Nur wurde dort der Abbau Anfang des Jahrtausends wegen niedriger Preise und verschärfter Umweltauflagen eingestellt. Die Industrien der Klägerländer deckten sich lieber günstig bei den Chinesen ein, die so zu einem Quasi-Monopol gelangten, obwohl die Volksrepublik nur über 30 Prozent der weltweit bekannten Reserven verfügt.

Inzwischen sind die Preise erheblich gestiegen, was viel mit der wachsenden Nachfrage zu tun hat. Die Spezialmetalle werden in zahlreichen modernen Elektronikgeräten wie Flachbildschirmen eingesetzt. Auch in Elektromotoren und einigen Windenergieanlagen finden sie Anwendung, sind hier jedoch – anders als oft dargestellt – keineswegs unersetzlich. Mit Neodym, einem der Selteneerdmetalle, lassen sich zum Beispiel besonders effiziente Permanentmagneten herstellen. Motoren und Windräder arbeiten aber genausogut mit Elektromagneten, die ohne Neodym auskommen, wie das ostfriesische Unternehmen Enercon, seit Jahren hierzulande Marktführer der Windbranche, mit seinen Anlagen belegt.

Inzwischen wird in Kalifornien die Wiederaufnahme der dortigen Förderung vorbereitet. In Australien und Malaysia sollen neue Minen in Betrieb genommen werden, besonders das malaysische Projekt ist aber wegen der Auswirkungen auf die Umwelt höchst umstritten. In 36 Ländern wird an 400 verschiedenen Orten derzeit nach Lagerstätten der begehrten Rohstoffe gesucht. Die Erschließung wird ihre Zeit in Anspruch nehmen, aber noch hat China seine Exporte nicht völlig eingestellt. Außerdem hat zumindest Japan eine strategische Reserve angelegt. Und im übrigen wird lediglich die Ausfuhr von Peking limitiert. China lädt ausdrücklich ausländische Unternehmen ein, diese bei sich zu verarbeiten. Die Produkte können dann frei ausgeführt werden.

Ganz offensichtlich verfolgt die Volksrepublik mit ihren Ausfuhrrestriktionen die Absicht, die Kontrolle über diese strategische Ressource nicht zu verlieren. Würde nämlich die durch die chinesische Verknappung eingeleitete Preissteigerung nicht zur Erschließung neuer Minen im Ausland führen, könnte das Ergebnis so aussehen, daß zunächst vor allem die eigenen Vorkommen verbraucht werden. Doch sind diese erst einmal erschöpft, müßte sich das Riesenland ganz auf ausländische Lieferanten verlassen, Und ob insbesondere die USA, die vermutlich über die größten Vorkommen verfügen, dann den Chinesen den jetzt vor der WTO eingeforderten jederzeitigen freien Zugang ließen, ist mehr als fraglich.

Die Regierung in Peking begründet ihre Politik auch mit Umweltschutzargumenten. Der Abbau der Seltenen Erden hat technologiebedingt erhebliche Auswirkungen auf Landschaft und Wasserreservoire. Nicht zuletzt der unkontrollierte illegale Abbau, der in einigen Gegenden aufgrund der hohen Preise sehr zum Unwillen der Behörden floriert, stellt eine Gefahr da, gegen die künftig vorgegangen werden soll. Das würde das Angebot auf dem Weltmarkt weiter verknappen und die Preise nach oben treiben.

Dies hat auch positive Aspekte, denn es erhöht den Druck, frühzeitig an das Recyceln dieser alles andere als unendlichen Ressourcen zu denken. Die große Frage ist, welche Auswirkungen das WTO-Verfahren haben wird. Vermutlich wird Peking verlieren, doch die Entscheidung wird noch über ein Jahr auf sich warten lassen. Seitens der EU heißt es bisher, man habe kein Interesse, gegebenenfalls Strafzölle zu verhängen. Und auch im Falle der USA sind etwaige Reaktion vollkommen offen. Sollte Peking jedoch tatsächlich über Strafzölle zur vollständigen Freigabe der Exporte gezwungen werden, könnte die Folge durchaus sein, daß die Preise wieder in den Keller rauschen, die anderen Minen sowie Recycling unwirtschaftlich werden und somit die Grundlage für zukünftige Versorgungsprobleme gelegt wird.

* Aus: junge Welt, 27.03.2012


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