Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Strategische Ambivalenz

Erste deutsch-chinesische Regierungskonsultationen sollen wirtschaftliche Verflechtung vorantreiben. Politische Irritationen bleiben

Von Sebastian Carlens *

Zur ersten deutsch-chinesischen Konsultation auf Kabinetts­ebene traf der chinesische Premierminister Wen Jiabao, begleitet von 13 Personen im Ministerrang, am Montag (27. Juni) in Berlin ein. Nach einem Abendessen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) fanden am Dienstag offizielle Gespräche statt. Die Kabinettskonsultationen sind ein politisches Novum in den 1972 aufgenommenen diplomatischen Beziehungen zwischen der Volksrepublik China und der BRD. Bislang führte die Bundesregierung derartige Gespräche lediglich mit fünf weiteren Staaten. Die Aufnahme der Volksrepublik in diesen exklusiven Kreis deutet darauf hin, daß die ökonomischen Kontakte zwischen der Nummer zwei und der Nummer vier unter den globalen Wirtschaftsmächten weiter intensiviert werden sollen. Das bilaterale Handelsvolumen überschritt im Jahr 2010 erstmals die Marke von 140 Milliarden US-Dollar, China hat die USA als wichtigsten wirtschaftlichen Partner für Deutschland abgelöst.

Im Rahmen der Konsultationen sollen zahlreiche Vertragsvorhaben besprochen werden. Dazu zählen ministerielle Abkommen über Normungsfragen, Elektromobilität und Biowissenschaften. Neben Regierungsvereinbarungen geht es insbesondere um Aktivitäten von Unternehmen: BASF investiert rund 860 Millionen Euro in der zentralchinesischen Stadt Chongqing. Die deutsche Automobilindustrie setzt ebenfalls immer stärker auf das »Reich der Mitte« und plant nach dem Aufbau großer Produktionsstandorte in Schanghai und Guangzhou weitere Investitionen in ihren mittlerweile bedeutendsten Absatzmarkt. Auch der deutsche Maschinenbau kann seine weltweit führende Rolle vor allem deshalb sichern, weil die schnell wachsende Wirtschaft Chinas auf Ausrüstungen aus Europa setzt.

In der aktuellen Krise sind aus Sicht chinesischer und deutscher Firmen verläßliche gegenseitige Beziehungen wichtiger denn je. Gleichzeitig versucht die deutsche Regierung, die heimischen Märkte vor der asiatischen Konkurrenz abzuschotten und politische Druckmöglichkeiten gegen die VR China verfügbar zu halten. Beijing drängt deshalb darauf, von der BRD als »volle Marktwirtschaft« anerkannt zu werden, dadurch würden bisherige Importrestriktionen hinfällig. In dieser Ambivalenz aus wirtschaftlicher Abhängigkeit und politischer Konkurrenz bewegt sich das gesamte Treffen. Wiederholte Angriffe unter dem Deckmantel des Schutzes der »Menschenrechte«, die von chinesischer Seite als Einmischungsversuche in innere Angelegenheiten verurteilt werden, und staatliche Kooperation sind auf diesem Parkett kein Widerspruch. Von einer »strategischen Partnerschaft« zwischen Deutschland und China sprach der chinesische Botschafter Wu Hongbo im Vorfeld des Besuches. Auch Außenminister Guido Westerwelle (FDP) meint: »Wir wollen mit China eine strategische Partnerschaft nicht nur begründen, sondern auch ausbauen und vertiefen.« Das klingt gewaltig und gilt sicherlich als Ziel auf wirtschaftlichem Gebiet. Politisch kann davon allerdings keine Rede sein.

* Aus: junge Welt, 29. Juni 2011


Hoffen auf China

Retten Peking-Dollars den Euro?

Von Rainer Rupp **


Mit großem Pomp hat Kanzlerin Angela Merkel am Dienstag (28. Juni) Chinas Regierungschef Wen Jiabao empfangen. Der war mit einer 300-köpfigen Delegation in Berlin gelandet, nachdem er zuvor bereits in Budapest und London Halt gemacht hatte. Ginge es nach »Menschenrechtlern«, wäre das Treffen nicht zustandegekommen. Aber in schwierigen Zeiten schätzen deutsche Wirtschaftsbosse und deren politische Vertreter in Berlin die gewaltige Kaufkraft Chinas. Hinzu kommt, daß das Reich der Mitte seine Technologie hauptsächlich in der BRD einkauft. Wenn der Ministerpräsident dann in Berlin noch mit einer Verdoppelung des Handelsvolumens von derzeit mehr als 140 Milliarden Dollar in den nächsten fünf Jahren lockt, wird auch gerne einmal von einer strategischen Partnerschaft gesprochen.

Peking umwirbt nicht nur Deutschland als das wirtschaftliche und technologische Kraftzentrum der EU, sondern auch die anderen Mitgliedstaaten, egal ob groß oder klein. Besonders den von Schulden geplagten Ländern bieten sich die Chinesen als Retter an. Denn an Devisen, insbesondere an US-Dollars, mangelt es nicht. Pekings Reserven werden auf 1200 Milliarden geschätzt, und man weiß dort nicht mehr so recht, wohin mit dem zunehmend an Wert verlierenden grünen Papier. Zudem bringen die US-Schuldscheine so gut wie keine Zinsen.

Chinas brummende Exportindustrie erzielt nach wie vor riesige Dollarüberschüsse. Wenn der Motor gedrosselt würde, gäbe es ein Millionenheer von sozial nicht ausreichend gesicherten Arbeitslosen. Das könnte den inneren Frieden im 1,3-Milliar­den-Einwohner-Staat gefährden.

Aus der Not hat China eine Tugend gemacht: Es setzt seine Überschüsse dazu ein, rund um die Welt Rohstoffe zu kaufen und zu Hause gigantische Mengen davon zu lagern. Zugleich werden von Südostasien über Australien und Afrika bis hin nach Lateinamerika Rohstofflager und die dazu gehörenden Abbaukapazitäten aufgekauft. Dies wird politisch abgesichert durch großzügige Dollarkredite und Infrastrukturhilfen an die Gastländer. Auch in Europa sollen Finanzhilfen Chinas Politik flankieren.

Am Wochenende waren der US-Außen- und der Verteidigungsminister mit ihren japanischen Amtskollegen zusammengetroffen. Dabei haben sie gemeinsame, strategische Zielsetzungen ausgearbeitet, die sich allesamt gegen China richten– ohne jedoch das Land beim Namen zu nennen. In dieser Situation macht Peking genau das, was schon der große Stratege Zun Tsu vor 2300 Jahren gelehrt hatte. Ohne Zögern setzt die Führung ihre Devisen ein und unterstützt nicht nur die Krisenländer der Euro-Zone, sondern auch EU-Mitglieder wie Ungarn, das seit Wen Jiabaos Besuch China als Retter preist. Zugleich ist das Land für die deutsche Industrie längst zu einem der wichtigsten Exportziele geworden. Auf diese Weise werden Washingtons Möglichkeiten eingeschränkt, bei Bedarf die europäischen Länder gegen China zu instrumentalisieren.

** Aus: junge Welt, 29. Juni 2011


Wandel durch Handel

Von Martin Ling ***

China ist die aufstrebende Wirtschaftsmacht der Welt. Als Exportweltmeister hat das Reich der Mitte inzwischen Deutschland abgelöst. Berlin nimmt das freilich sportlich und arbeitet an einem Ausbau der Wirtschaftskooperation mit Peking. Das Prinzip ist einfach: Wenn man einen Gegner nicht schlagen kann, ist es ratsam, sich mit ihm zu verbünden. Und an China, das inzwischen absolut die zweitgrößte Wirtschaftsmacht hinter den USA verkörpert, kommt niemand vorbei.

So steht Deutschland mit anderen Ländern in der Reihe, um mit Peking Geschäfte zu machen und eine strategische Partnerschaft zu pflegen. China sitzt dabei leicht am längeren Hebel, denn eine öffentliche Schuldenkrise ist dort unbekannt. Stattdessen hält das Land seine drei Billionen Dollar Staatsvermögen sowohl in Staatsanleihen der USA als auch zunehmend in Schuldpapieren von Euro-Staaten, um sich gegen einen Dollarverfall zu wappnen. Mit diesen Argumenten geht China indes nicht offen hausieren, sondern münzt sie diplomatisch in die Forderung nach gleichberechtigten Beziehungen um, was eine offene Kritik an internen Zuständen – ob Menschenrechte oder Pressefreiheit – nicht einschließt. Deutschland spielt da mit und betont, die Menschenrechtsfrage im internen Kreis anzusprechen. Offenbar hofft man, dass demokratischer Wandel durch mehr Handel zum Selbstläufer wird, ohne dass man auf Geschäfte verzichten muss. Die Rechnung kann aufgehen, muss aber nicht.

*** Aus: Neues Deutschland, 29. Juni 2011 (Kommentar)


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