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Vorwurf und Dementi

Laut einer Studie soll China angeblich hinter gefährlichen Cyberangriffen auf politische, militärische und wirtschaftliche Institutionen der USA stecken

Von Rainer Rupp *

In den USA wird der Vorwurf gegen China erhoben, das Land sei verantwortlich für Cyberangriffe auf politische, militärische und wirtschaftliche Institutionen. Die Spurensicherung lasse wenig Zweifel daran, daß ein »überwältigender Anteil der Cyberangriffe auf das Pentagon und auf andere militärische und zivile US-Behörden und Organisationen und sowie auf Industrieunternehmen von einem zwölfstöckigen Gebäude am Stadtrand von Schanghai ausgeht, … in dem sich das Hauptquartier der Einheit 61398 der Chinesischen Volksbefreiungsarmee (PLA) befindet«. Das berichtete die New York Times (NYT) am Dienstag unter Berufung auf eine »ungewöhnlich detaillierte 60seitige Studie« der US-Computersicherheitsfirma Mandiant. Laut NYT haben Experten der US-Geheimdienste, die sich selbst in eine Einheit von Cyberkriegern der PLA eingehackt hatten, die Richtigkeit des ebenfalls am Dienstag veröffentlichten Mandiant-Berichtes bestätigt.

Seit einiger Zeit habe diese sogenannte Schanghai-Gruppe sich zunehmend in IT-Bereiche von Unternehmen gehackt, die für die Infrastruktur der Vereinigten Staaten von Bedeutung sind, wie z.B. Betreiber elektrischer Stromnetze, Gas-und Wasserwerke. Wenn es gegnerischen Hackern gelingt, in die elektronische Steuerung dieser stark vernetzten Konzerne einzudringen, kann die Versorgung per Knopfdruck unterbrochen und das Land ins Chaos gestürzt werden. Präsident Obama hat einen solchen Cyberangriff mit verheerenden realen Folgen offiziell als Kriegsgrund klassifiziert. Aber als erste haben die USA und Israel einen solchen Krieg geführt. Das war 2010 mit dem Einsatz des Cybervirus Stuxnet, der in Iran die Atomzentrifugen lahmgelegt und teilweise auch zerstört hat.

Neben Mandiant gehen auch andere US-Sicherheitsunternehmen davon aus, daß Chinas Cyberkrieger staatlich gefördert werden. Der gemeinsame Jahresbericht der US-Geheimdienste, der »National Intelligence Estimate«, sieht ebenfalls eine von Pekings Regierung ausgehende Cyberbedrohung. In dem streng geheimen Konsensdokument werde, so hochrangige Vertreter der daran beteiligten 16 Nachrichtendienste, eine »starke« Indizienkette präsentiert, wonach viele dieser Hackergruppen der PLA angehören und andere als »freie Mitarbeiter« im Auftrag von PLA-Einheiten wie 61398 arbeiten.

Mit dem Mandiant-Bericht sei es zum ersten Mal gelungen, die einzelnen Mitglieder der brillantesten chinesischen Hacker-Gruppen mit der Adresse des Hauptsitzes einer Einheit der PLA zu verbinden, so das New Yorker Blatt, samt Straßennamen und Fotos des Gebäudes der PLA-Einheit 61398. Dagegen hat Chinas Verteidigungsministerium prompt dementiert, daß es für digitale Angriffe verantwortlich sei. Und letztlich hat auch Mandiant eingeräumt, keine Beweise dafür zu haben, daß die Attacken der Schanghai-Hacker tatsächlich von der PLA-Einheit 61398 ausgingen. Deshalb ist die Frage gerechtfertigt, weshalb der Mandiant-Bericht bei so vielen Unsicherheiten gerade jetzt soviel Aufmerksamkeit bekommt? Unzweifelhaft liefert er den Gegnern Pekings im US-sicherheitspolitischen Establishment medienwirksame Argumente, endlich zu einer schärferen Gangart gegen China zu wechseln, was das Weiße Haus, unterstützt von Vertretern von Industrie und Handel, bisher zu verhindern wußte.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 20. Februar 2013


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