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Chinas Aufstieg – Boom oder Blase?

Das Reich der Mitte befindet sich in einem beispiellosen Aufschwung

Von Tomasz Konicz *

Chinas Wirtschaft boomt, das ist eine Tatsache. Doch worauf gründet sich der wirtschaftliche Erfolg und wie groß ist die Gefahr einer erneuten Spekulationsblase?

Chinas Aufstieg zur neuen globalen Führungsmacht scheint unausweichlich. 2009 nahm das Reich der Mitte der BRD den Titel des Exportweltmeisters ab, 2010 wird China wohl Japan als zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt ablösen. Die Konjunkturabkühlung bei Ausbruch der Krise ist inzwischen überwunden. Chinas Wirtschaft wuchs 2009 um 8,7 Prozent, wobei die Konjunktur im Schlussquartal sogar noch auf 10,7 Prozent (im Jahresvergleich) beschleunigte. Regelrecht schwindelerregend ist auch das Wachstum der chinesischen Fahrzeugindustrie – China bildet inzwischen den größten Automarkt der Welt –, die allein im Januar mit ca. 1,3 Millionen verkauften Pkws ein Absatzplus von 115,5 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat erzielte.

Wird nun China künftig die Rolle eines globalen Konjunkturmotors übernehmen, der dank seines Booms auch andere Weltmächte – wie die EU und USA – aus Rezession und Stagnation führen kann? Ein erster Blick auf die Geld- und Konjunkturpolitik Pekings muss stutzig machen. Das chinesische Konjunkturwunder mitten in der Krise ist einerseits auf ein enormes Konjunkturprogramm der Regierung von umgerechnet 586 Milliarden US-Dollar zurückzuführen, das Ende 2008 für zwei Jahre aufgelegt wurde. Hinzu kommen Konjunkturmaßnahmen regionaler Regierungsstellen und milliardenschwere Investitionen staatlicher Betriebe. Damit konnte der zeitweilige Einbruch der chinesischen Exporte abgefedert werden.

Expansive Kreditpolitik

Andrerseits öffnete die Führung die Tresore des staatlich kontrollierten Bankensektors, was 2009 zu einem Anstieg der Kreditvergabe um circa 100 Prozent gegenüber 2008 auf umgerechnet 1,46 Billionen US-Dollar führte. Die expansive Kreditpolitik führte zu einem rasanten Anstieg der Immobilienpreise in vielen Boomstädten und zu einer Hausse an den chinesischen Aktienmärkten. Die spekulative Blasenbildung wird beim Platzen zwangsläufig zu einer Schwemme fauler Kredite führen und den Finanzsektor in Schieflage bringen. Handelt es sich also beim chinesische Wirtschaftswunder um eine durch staatliche und private Kreditaufnahme befeuerte Defizitkonjunktur, die jederzeit zusammenbrechen könnte?

Eine einfache Analogiebildung zwischen China und der Blasenbildung auf dem US-Immobilienmarkt 2001 bis 2007 ist nicht möglich. Während die US-Verbraucher hoch verschuldet und ohne Ersparnisse sind, verfügt die Volksrepublik über eine Sparquote von ca. 20 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP). Viele US-Hypotheken wurden auf dem Höhepunkt der Immobilienbonanza ohne Eigenkapital aufgenommen. In China müssen Immobilienkäufer laut Gesetz mindestens 20 Prozent Eigenkapital mitbringen – beim Erwerb von Zweitwohnungen gar 40 Prozent. Schließlich verfügt China mit Währungsreserven von 2,4 Billionen Dollar und einer Verschuldung in Höhe von nur 20 Prozent des BIP über enorme Reserven, um kurzfristig die Folgen einer platzenden Blase in Grenzen zu halten. Nichts könnte Peking überdies davon abhalten, einen Teil der zu erwartenden faulen Kredite zu übernehmen. Schließlich gilt es zu bedenken, dass es sich bei China um ein in Industrialisierung begriffenes Land handelt, dass von einer Urbanisierung erfasst wurde, die viele Spekulationsexzesse im Immobiliensektor relativiert.

Neue Herausforderungen

Mittelfristig steht China aber vor enormen Herausforderungen, da der gegenwärtige Entwicklungspfad exportfixierter kapitalistischer Modernisierung hauptsächlich auf einem gigantischen chinesischen Handelsüberschuss mit den USA basiert, der selbst im Krisenjahr 2009 rund 226 Milliarden US-Dollar erreichte. Bezahlt wird dieses US-Defizit mit US-Schuldverschreibungen, die wiederum einen großen Teil der chinesischen Währungsreserven ausmachen.

Schließlich dürfte das Wachstumsmodell Chinas langfristig auch an ökologische Grenzen stoßen, da sowohl Energieträger wie auch Rohstoffressourcen für eine vollständige kapitalistischen Industrialisierung des 1,3-Milliarden-Einwohner-Landes nicht verfügbar sind. Spätestens dann wird sich Peking vor einer grundlegenden Systemalternative wiederfinden.

* Aus: Neues Deutschland, 17. Juli 2010


Merkel fordert von China weitere Marktöffnung

Ministerpräsident Wen betont Vertrauen in den Euro / Merkel: Peking muss geistiges Eigentum besser schützen **

Im Rahmen ihrer Rundreise besuchte Bundeskanzlerin Merkel am Freitag China. In der Volksrepublik wurden »freundliche« Gespräche geführt und milliardenschwere Wirtschaftsverträge abgeschlossen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat China bei ihrem Besuch in Peking zu einer weiteren Öffnung seiner Märkte für ausländische Produkte aufgefordert. Chinesische Firmen hätten einen sehr guten Zugang zum deutschen Markt, sagte Merkel am Freitag nach einem Treffen mit Ministerpräsident Wen Jiabao. Sie hoffe daher, dass deutsche Unternehmen ebenso vom Zugang zum chinesischen Markt profitieren könnten, sagte sie.

Der Handel zwischen den beiden exportstärksten Ländern der Welt nahm in den vergangenen Jahren stark zu und erreichte nach Angaben des Statistischen Bundesamtes im vergangenen Jahr ein Volumen von knapp 92 Milliarden Euro. Allerdings lag der Wert chinesischer Exporte nach Deutschland mit 55,4 Milliarden Euro deutlich über dem Wert der Exporte in umgekehrte Richtung: Deutschland exportierte Waren im Wert von 36,5 Milliarden Euro nach China. China wurde 2009 erstmals Exportweltmeister.

Wen hob während der gemeinsamen Pressekonferenz hervor, weder China noch Deutschland hätten Interesse an einer unausgeglichenen Handelsbilanz. Beide Seiten hofften auf einen »ausgeglichenen und geordneten Handel«, sagte er. Merkel erklärte, sie habe darauf gedrungen, dass Peking mehr für den Schutz des geistigen Eigentumsrechts tue. Das Treffen bezeichnete sie als »freundlich«. Beide Seiten hätten engere Handelsbeziehungen vereinbart.

Wen betonte das Vertrauen Chinas in den Euro. Trotz der Eurokrise werde der europäische Markt auch künftig einer der wichtigsten Bereiche für chinesische Auslandsinvestitionen sein. China sei ein »verantwortungsvoller« und langfristig planender Investor. Der Wert chinesischer Devisen erreichte nach Angaben der Zentralbank Ende Juni einen neuen Rekord von 2,45 Billionen Dollar (1,91 Billionen Euro). China hat damit weltweit den größten Devisenbestand.

Am Rande der Gespräche wurden mehrere Verträge geschlossen. Chinesischen Staatsmedien zufolge vereinbarte der Technologiekonzern Siemens mit der Schanghai Electric Group of China eine Zusammenarbeit für die Entwicklung von Dampf- und Gasturbinen. Die Vereinbarung hat ein Volumen im Milliardenhöhe.

Der deutsche Autobauer Daimler und der chinesische Nutzfahrzeughersteller Foton Motor of China beschlossen eine Zusammenarbeit für den Bau von Lkw. Geplant ist nach Angaben von Daimler die Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens, an dem Daimler und Foton je zur Hälfte beteiligt sind. Daimler will für die gemeinsame Lkw-Produktion Motoren und Abgastechnologie liefern.

Merkel war am Freitagmorgen in Peking eingetroffen, wo sie nach ihren Gesprächen mit Wen auch Staatschef Hu Jintao traf. Am Abend wollte sie zusammen mit Wen in die ehemalige zentralchinesische Hauptstadt Xianyang reisen, wo Gespräche mit Wirtschaftsführern auf dem Programm standen. Am Sonntag reist Merkel nach Kasachstan weiter.

** Aus: Neues Deutschland, 17. Juli 2010


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