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Zheng He, Konfuzius und der Rohstoffhunger

Ängste ebenso wie Hoffnungen / Peking setzt auf kooperative Außenpolitik

Von Anna Guhl, Peking *

Chinas Außenpolitik wird aktiver – nicht zuletzt wegen des steigenden Rohstoffbedarfs des Landes. Unveränderlich allerdings ist Pekings Position in der Taiwan-Frage.

Anfang des 15. Jahrhunderts stach der chinesische General Zheng He mit 62 Schiffen und fast 30 000 Mann gen Westen in See und landete an der ostafrikanischen Küste. Es war bereits seine dritte Reise in ferne Welten. Und wäre es nach ihm und der Admiralität gegangen, dann hätte er seine Entdeckungen fortgeführt. Doch »Führungswechsel« am chinesischen Kaiserhof änderten grundlegend dessen »Außenpolitik«: Seefahrer Zheng He und seine Mannen wurden zurückgeholt und Chinas gesamte Seeflotte eingestampft. Die Kaiser zogen sich hinter »große Mauern« zurück und wurden kurze Zeit darauf selbst von expandierenden Industrie- und Seemächten im Westen entdeckt.

Jahrhunderte danach besinnt sich Chinas Führung wieder auf den berühmten Seefahrer. Er soll für die friedlichen Absichten stehen, wenn sich das Land heutzutage öffnet und wieder mächtig und stark werden will wie zu Zeiten Zheng Hes.

Harmonisch soll es zugehen auf der Welt

Ob Zheng He und seine Armee nur friedliche Botschaften überbrachten, sei dahingestellt. Tatsache ist, dass China heute für seinen Aufstieg in die Moderne – wie alle großen Industriemächte in den letzten 500 Jahren – ausreichend Energie- und Naturressourcen, aber auch Absatzmärkte braucht. Zwar verfügt das Land selbst über eine Vielzahl von Ressourcen. Bis vor kurzem auch in ausreichender Menge, so dass selbst das Ausland davon profitieren konnte. Doch das schnelle Wirtschaftswachstum in den letzten Jahren ließ den Bedarf an Rohstoffen im Land stetig ansteigen. Bereits jetzt entfallen auf Chinas Wirtschaft rund 40 Prozent der weltweit verheizten Kohle, knapp 30 Prozent des benötigten Stahls, 47 Prozent des verarbeiteten Zements und mehr als 30 Prozent des in der Welt eingesetzten Eisenerzes. Der tägliche Rohölkonsum liegt mit rund 7,4 Millionen Barrel zwar noch weit unter dem, was die USA Tag für Tag schlucken. Doch China holte in den letzten Jahren deutlich auf: Um gut 20 Prozent auf über 300 Millionen Tonnen soll der Verbrauch pro Jahr angestiegen sein. Da können die einheimischen Raffinerien nicht mehr für Nachschub sorgen. Schon heute bezieht das Land 35 Prozent seines Rohölbedarfs aus dem Ausland, sehr bald wird es mehr als die Hälfte sein.

Knapp 80 Prozent der chinesischen Ölimporte kommen aus dem Nahen Osten und aus Afrika. Das macht diese Regionen für China außerordentlich wichtig. Dass sich Peking jeglicher Einmischung in die Politik der Lieferanten enthält, kommt gerade bei den Ölriesen Saudi-Arabien, Iran, Sudan und Angola sehr gut an. In China weiß man, dass bis 2010 etwa 20 Prozent des Rohöls auf dem afrikanischen Kontinent gefördert werden. Mit viel diplomatischem Aufwand – erinnert sei an den Afrika-Gipfel in Peking im November 2006 – und kräftigen Finanzspritzen (zinsgünstige Kredite oder Schuldenerlass) ist man deshalb bemüht, sich langfristig Anteile an den großen Ölgesellschaften zu sichern. In Sudan kontrollieren chinesische Unternehmen bereits mehr als 40 Prozent des Ölgeschäfts.

Immer öfter reisen Chinas Mächtige durch die Welt, setzen sich für »fairen Handel« und »freien Zugang zu allen Märkten« ein, fordern gleichberechtigten Umgang von Nord nach Süd und das »Win-Win-Prinzip« in der Wirtschaftskooperation. Stabil und kalkulierbar wollen sie das Verhältnis mit ihren Partnern gestalten. Konflikte, gar Konfrontationen, sollen möglichst vermieden werden, harmonisch soll es zugehen. Natürlich könne mit China über alles geredet werden: Klimawandel, Urheberschutz, Demokratieentwicklung und Pressefreiheit. Selbstverständlich respektiert die chinesische Führung die Menschenrechte und die religiöse Freiheit des Einzelnen – wenn auch anders, als die »führenden Demokratien« es sich vorstellen und wünschen. Politischen Bindungen, internationalen Verpflichtungen geht die Führung in Peking aber gern aus dem Weg. Sie konzentriert sich auf Handels- und Wirtschaftskooperation und knüpft ihre Fäden in alle politischen und ideologischen Richtungen – von ganz links bis ganz rechts.

Die USA – Partner oder Konkurrent?

Nicht als gieriger Drache will China auf der internationalen Bühne erscheinen. Der friedliche Seefahrer Zheng He, der die Harmonie fördernde Konfuzius – sie sollen heute für Pekings Außenpolitik stehen. China besinnt sich auf die reichhaltige Kultur und die zahlreichen Erfindungen seiner 5000-jährigen Geschichte, die dem Land Ansehen und Anerkennung in der Welt verschafften. Mit diesen Pfunden will Chinas Führung wuchern. Und die Entwicklung der letzten Jahre gibt ihr Recht. Das Interesse an chinesischer Sprache und Kultur ist überall groß. Innerhalb von drei Jahren entstanden über einhundert Konfuzius-Institute weltweit, die ähnlich wie das deutsche Goethe-Institut Sprachkurse anbieten und die Kultur des Landes vermitteln. In Deutschland sind bereits vier Institute tätig.

Einzig die USA sorgen immer wieder für Unsicherheit bei der chinesischen Führung, die sich zunehmend selbstbewusst gibt. Strategischer Partner oder Konkurrent, Freund oder Feind – Peking ist sehr an berechenbaren Arrangements mit der derzeit einzigen Weltmacht interessiert, die Chinas Entwicklung zu einem modernen Industriestaat noch stören kann. Immer wieder ringt sie mit der USA-Führung um die Einrichtung effizienter Mechanismen, die Missverständnisse und Friktionen im bilateralen Verhältnis rechtzeitig erkennen helfen und Konflikte weitestgehend vermeiden lassen. Aber die stete Modernisierung und Aufrüstung der chinesischen Armee wird gerade vom USA-Militär argwöhnisch beobachtet und immer wieder als Gefahr für die Region, ja die gesamte Welt gegeißelt. China ist daher gerade in den letzten Monaten deutlich auf die militärische Führung der USA zugegangen, hat selbst in sensible Bereiche seiner Armee Einblick gewährt und vor kurzem nach mehr als zehn Jahren Unterbrechung die Teilnahme am UNO-Waffenregister wieder aufgenommen.

Allein in Sachen Taiwan kennt Chinas Führung keinen politischen Spielraum. In Antisezessionsgesetz von 2005 hat sie die »rote Linie« deutlich markiert, aufmerksam verfolgt sie alle Entwicklungen auf der Insel. Auch deshalb hält Parteichef Hu Jintao an der absoluten politischen Kontrolle über die Armee fest. Aus dem Alltag wurde die Armee in den letzten Jahren weitgehend verdrängt. Immer mehr konzentriert sie sich – wie die Streitkräfte anderer Staaten – auf reine Verteidigungsaufgaben. Das wachsende Militärbudget wird vor allem für die notwendige Modernisierung von Militärtechnik und die Werbung hochqualifizierter Experten verwendet. Und doch bleibt die Armee ein wichtiges politisches Instrument der KP Chinas. Jedweder »Entpolitisierung und Verstaatlichung der Armee« wird eine klare Absage erteilt. Und Hu Jintao soll im internen Kreis hinzugefügt haben, Hauptaufgabe der Armee bleibe Wiederherstellung und Sicherung der Einheit des Landes.

Zahlen und Fakten: China im Vergleich

Bruttoinlandsprodukt (BIP) (in Milliarden Dollar vergleichbarer Kaufkraft 2004)
  • USA 11 651,1
  • China 7 642,3
  • Japan 3 737,3
  • Deutschland 2 335,5
  • Großbritannien 1 845,2
BIP pro Kopf (US-Dollar verglb. Kaufkraft)
  • USA 39 676
  • Großbritannien 30 821
  • Japan 29 251
  • Deutschland 28 303
  • China 5 896
Anteil am weltweiten Erdölverbrauch 2006
  • USA 24,1 %
  • China 9,0 %
  • Japan 6,0 %
  • Russland 3,3 %
  • Deutschland 3,2 %
  • Indien 3,1 %
Anteil am weltweiten Kohleverbrauch 2006
  • China 38,6 %
  • USA 18,4 %
  • Indien 7,7 %
  • Japan 3,9 %
  • Russland 3,6 %
  • Deutschland 2,7 %
Elektrizitätsverbrauch pro Kopf im Jahr 2003 (kWh)
  • USA 14 057
  • Japan 8 212
  • Deutschland 7 258
  • Russland 6 303
  • China 1 440
  • Indien 594
Anteil am weltweiten CO2-Ausstoß (2003)
  • USA 23,0 %
  • China 16,5 %
  • Russland 5,7 %
  • Indien 5,1 %
  • Japan 4,9 %
  • Deutschland 3,2 %
CO2-Ausstoß pro Kopf (2003)
  • USA 19,8 t
  • Russland 10,3 t
  • Deutschland 9,8 t
  • Japan 9,7 t
  • China 3,2 t
  • Indien 1,2 t
Quelle: Human Development Report 2006



* Aus: Neues Deutschland, 26. Oktober 2007


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