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Bachelets Steuerreform unter Beschuss

Chiles Präsidentin stößt bei Oberschicht auf Widerstand

Von Benjamin Beutler *

Ausgerechnet im ehemaligen Musterland der Neoliberalen – Chile – soll es künftig mehr Steuergerechtigkeit geben.

Seit Wochen laufen Chiles Unternehmerverbände und Opposition Sturm gegen die Steuerpläne der Regierung von Präsidentin Michelle Bachelet. Die Sozialdemokratin, seit März 2014 erneut im Amt, drückt mit der ersten umfassenden Steuerreform seit der Militärdiktatur aufs Gaspedal. Die Einnahmen des Fiskus sollen dadurch um drei Prozent der heimischen Wirtschaftsleistung angehoben werden. Die Linksregierung will den niedrigen Staatseinnahmen ein Ende bereiten und die wohlhabende Oberschicht in die Pflicht nehmen. Dafür sollen Unternehmensabgaben deutlich erhöht werden. Zu Wochenbeginn nahmen die Pläne in der Abgeordnetenkammer die erste Hürde. Noch muss der Senat zustimmen, auch hier hat das Regierungsbündnis die Mehrheit.

»Diejenigen, die mehr haben, werden auch mehr beisteuern«, gibt die Novelle die Richtung vor. Die erwarteten Mehreinnahmen von umgerechnet 8,2 Milliarden US-Dollar sollen vor allem Kindergärten, Schulen und Universitäten zugute kommen. Am Ende des Weges erhoffen sich die Planer im Regierungspalast La Moneda »die Verringerung der Kluft zwischen Arm und Reich«. Für dieses hehre Ziel soll die Körperschaftsteuer bis 2017 schrittweise von aktuell 20 auf 25 Prozent steigen. Auch wird die bisherige Steuerbefreiung auf reinvestierte Unternehmensgewinne gestrichen. Bisher liegt in Chile die Besteuerung für Unternehmensgewinne im OECD-Vergleich – das Land ist im Club der Industrieländer das einzige Mitglied aus Südamerika – deutlich unter dem Durchschnitt. Statt 41 Dollar pro 100 Dollar Gewinn seien es in Chile nur 26 Dollar, rechnet die Regierung vor. Steuereinnahmen würden nur 18,4 Prozent der Wirtschaftsleistung betragen, in den Industrieländern aber 21,6 Prozent.

Ebenfalls abgeschafft werden soll die Steuerbefreiung auf Gewinne aus Immobiliengeschäften. Neu sind zudem Abgaben für Alkohol und zuckerhaltige Getränke sowie Umweltsteuern für Klimagase und Dieselmotoren. Angegangen werden soll zudem die Steuerhinterziehung. Allein bei der Mehrwertsteuer werden offiziellen Angaben zufolge fast 30 Prozent nicht abgeführt. Künftig wird die Steuerbehörde personell und finanziell gestärkt, leichtere Einsicht in Online-Bankgeschäftsverkehr haben und den gängigen Handel mit gefälschten Rechnungen verfolgen.

Für Chile – seit dem Siegeszug marktradikaler Wirtschaftsexperten im Schlepptau der Pinochet-Diktatur als neoliberales »Musterland Südamerikas« gefeiert – sind die Pläne nichts weniger als eine Zeitenwende. Entsprechend laut ist die Gegenwehr. Unternehmensverbände und rechtskonservative Opposition malen das Gespenst von Kapitalflucht und Investitionsstopp an die Wand. Chile würde gerade dank niedriger Unternehmerbelastung prosperieren, giftete Ex-Haushaltsminister Eduardo Aninat. Bachelet und ihre »Kumpels im Senat« würden eine »Polarisierung wie Anfang der 1970er« betreiben. Das Londoner Wirtschaftsblatt »The Economist« warnte Bachelet angesichts fallender Weltmarkt-Kupferpreise davor, die Wirtschaft auf dem »Altar des Populismus« zu opfern.

* Aus: neues deutschland, Freitag 16. Mai 2014


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