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Umverteilung in Chile

Präsidentin Bachelet will Besserverdienende höher besteuern

Von Marianela Jarroud, Santiago (IPS) *

Chiles Staatspräsidentin Michelle Bachelet will Besserverdienende steuerlich stärker belasten, um Bildungs- und Gesundheitsreformen zu finanzieren und eine gerechtere Verteilung der Abgaben zu ermöglichen. Das Parlament, in dem die regierende Mitte-links-Koalition die Mehrheit hat, wird den Entwurf voraussichtlich Mitte des Jahres verabschieden. Bachelet will die Steuereinnahmen auf diese Weise um jährlich rund 8,2 Milliarden US-Dollar erhöhen. Die zusätzlichen Gelder sollen den Zugang zu kostenfreier Bildung, eine bessere Gesundheitsversorgung und andere Sozialleistungen ermöglichen. Zudem ist geplant, das von der Vorgängerregierung übernommene Haushaltsdefizit abzubauen.

Die erwarteten Mehreinnahmen entsprechen drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) des südamerikanischen Landes mit etwa 17 Millionen Einwohnern. 2013 betrug das Wirtschaftswachstum 4,1 Prozent, in den vorangegangenen Jahren durchschnittlich 5,8 Prozent. Steuern machen etwa 80 Prozent der Staatseinnahmen Chiles aus. Bachelet, die am 11. März für eine zweite Amtszeit vereidigt wurde, bewirbt die Steuerreform als den richtigen Weg zu einer »geeinten, demokratischen und gerechten Gesellschaft«. Das Land werde sich durch eine bessere Einkommensverteilung weiter in Richtung Gleichheit bewegen, sagte sie. Voraussetzung dafür sei allerdings, daß diejenigen, die mehr verdienten, mehr dazu beitragen.

Den Plänen zufolge soll sich die Steuerreform in einem 2,5 Prozent höheren BIP niederschlagen. Zu diesem Zweck soll etwa der 1984 während der Diktatur von General Augusto Pinochet (1973–1990) gegründete »Fondo de Utilidades Tributarias« (FUT) abgeschafft werden. Das Instrument, das Unternehmen erlaubt, die Zahlung der Einkommenssteuer im Fall einer Reinvestition zu verzögern, begünstigt die Steuerflucht. Eine Reihe weiterer Maßnahmen soll ebenfalls dazu beitragen, daß nicht länger 46 Prozent der eigentlich zu zahlenden Einkommenssteuer nicht für den Etat zur Verfügung stehen.

In den vergangenen 30 Jahren wurden dem chilenischen Fiskus durch den FUT fast 270 Milliarden Dollar an potentiellen Steuereinnahmen vorenthalten, so der Ökonom Gonzalo Durán von der Denkfabrik »Fundación Sol«. Der Fonds soll 2018 abgeschafft werden. Unternehmer und Aktionäre müssen dann auf alle Einnahmen Abgaben leisten.

Das Gesetz ist ein wesentlicher Bestandteil von Bachelets Regierungsprogramm, das sie am 31. März vorgestellt hatte. Vorgesehen sind mehr als 30 Änderungen an dem bisherigen Steuersystem. Einer der bedeutendsten Schritte ist die schrittweise Anhebung der Körperschaftssteuer von 20 auf 25 Prozent.

Nach Ansicht von Durán weist das neue Modell aber auch Lücken auf. So bleibt bei der der größten staatlichen Einnahmequelle in Chile, der Mehrwertsteuer, alles wie gehabt. Sie trägt zu 48,6 Prozent zum gesamten Steueraufkommen bei. Sie wird nach wie vor unterschiedlos erhoben, sowohl bei erbrachten Leistungen durch Gewerbebetriebe als auch solchen zugunsten von Bildung und Gesundheit. Kritik an der Steuerreform aber kommt vor allem aus dem konservativen Lager. Am lautesten wird sie von der ultrarechten Unabhängigen Demokratischen Union vorgebracht, die mit der Warnung, die Reform werde sich nachhaltig auf die Mittelschicht auswirken, Ängste in der Bevölkerung schürt.

Auch das »Instituto Libertad«, das der rechtsgerichteten Partei der Nationalen Erneuerung nahesteht, führt eine Kampagne gegen die Pläne und kritisiert unter anderem die Anhebung des Mehrwertsteuersatzes auf Alkohol, Erfrischungsgetränke und neue Immobilien.

Der parteilose Parlamentarier Giorgio Jackson, der im Kongreß die Studentenschaft vertritt, hält die vorgesehenen Änderungen hingegen für geeignet, »seit langem bestehende Probleme zu lösen«. Ziel sei es, die Barrieren niederzureißen, die den Staat daran hinderten, die notwendigen Mittel aufzubringen, um die Bevölkerung angemessen sozial abzusichern.

Zwei Drittel aller Familien in Chile müssen derzeit mit weniger als 1200 Dollar monatlich auskommen. Ein hoher Prozentsatz der Erwerbstätigen verdient weniger als 500 Dollar pro Monat, während die 4500 reichsten Familien des Landes über ein Durchschnittsmonatseinkommen von mehr als 40000 Dollar verfügen. Eine Studie, an der Steuerexperte und Regierungsberater Michel Jorratt mitgewirkt hat, fand heraus, daß das eine Prozent der reichsten Chilenen über bis zu 33 Prozent der Einnahmen verfügt, aber nur höchstens 17 Prozent Steuern zahlt.

Die Dividenden einer kostenlosen Bildung werden sich langfristig zeigen, ist Durán überzeugt. Von den Reichen im Lande 8,2 Milliarden Dollar an Steuern einzutreiben, sei auf jeden Fall ein wichtiger Beitrag zu einer faireren Einkommensverteilung.

* Aus: junge welt, Mittwoch, 7. Mai 2014


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