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72 Stunden für Chiles neues Kabinett

Präsidentin Bachelet forderte nach Affären den Rücktritt der Regierung und formiert eine neue

Von Jürgen Vogt *

Chiles Präsidentin Bachelet nahm sich drei Tage und auch am Freitag noch Zeit, eine neue Regierung zu formieren. Der alten hatte sie im Zuge von Affären in einer Fernsehsendung den Laufpass gegeben.

Buenos Aires. Unerwartet und zur besten Sendezeit überraschte Chiles Präsidentin Michelle Bachelet am vergangenen Mittwochabend ihre Landsleute. Per Fernsehinterview verkündete die 63-jährige Sozialistin, dass sie gerade ihr gesamtes Kabinett zum Rücktritt aufgefordert hatte. In drei Tagen wolle sie alle Ministerposten überprüfen und neu besetzen. »Vor einigen Stunden habe ich den Rücktritt aller Minister eingefordert und ich werde mir 72 Stunden Zeit nehmen um zu entscheiden, wer bleibt und wer geht,« sagte sie dem in Chile bekannten Fernsehmoderator Mario Kreutzberger ins Mikrofon.

Bisher wurde lediglich Außenminister Heraldo Muñoz in seinem Amt bestätigt. Mit ziemlicher Sicherheit dürfte Bachelets bisheriger Innenminister Rodrigo Peñailillo nicht mehr dabei sein. Das Innenministerium ist gleich nach dem Präsidenten das wichtigste Exekutivamt in dem südamerikanischen Land. Denn einen Vizepräsidenten wie beispielsweise in den USA sieht die chilenische Verfassung nicht vor.

Dass der 41-jährige Peñailillo zum Innenminister avancierte, bestätigte seine Rolle als politischer Ziehsohn Bachelets und engster Vertrauter. Doch Peñailillo geriet spätestens wegen eines schlechten politischen Managements der Finanzaffäre um Bachelets leiblichen Sohn in ernste Turbulenzen. Mitte April landete er dann sogar selbst in einer zwielichtigen Parteispendenaffäre. Es wurde bekannt, dass er für offensichtlich nicht geleistete Beratertätigkeiten Honorare kassiert hatte.

Dass Bachelets Sympathiewerte bei der Bevölkerung in den letzten Monaten auf 31 Prozent Zustimmung gesunken sind, kann nicht der Grund für den Wechsel sein. Chilenische Präsidenten dürfen sich nicht unmittelbar zur Wiederwahl stellen. Die meisten von ihnen scheiden mit schlechten Werten aus dem Amt. Bachelet machte da eine Ausnahme als sie mit 80 Prozent Zustimmung nach ihrer ersten Amtszeit ausschied.

An der politischen Handlungsfähigkeit der Präsidentin nagt jedoch der Finanzskandal, in den ihr Sohn verwickelt ist. Hinzu kommen die nicht gerade nur »Peanuts« ausmachenden Korruptionsskandale, die in den letzten Monaten bekannt wurden. Bei denen kommt vor allem die rechte Opposition schlecht weg. Aber einreihen musste sich dort nun auch ihr bisheriger Innenminister.

Dass die Präsidentin ihre Kabinettsumbildung nicht via Fernsehansprache an die Nation, sondern in einer populären politischen Fernsehsendung bekannt gab, wird als ihr Versuch gewertet, wieder näher an die Bevölkerung heranzurücken.

Noch Ende April hatte Michelle Bachelet versucht das Steuer anderweitig herumzureißen. In einer ihrer seltenen Fernsehansprachen an die Nation kündigte sie eine umfassende Neuregelung der Parteienfinanzierung und beim Umgang mit »Interessenkonflikten« an. Das wären nach landläufiger Sprachregelung Maßnahmen gegen die Vetternwirtschaft.

Die Wirkung dieses Befreiungsschlags hielt keine zwei Wochen an. Als am vergangenen Wochenende bekannt wurde, dass Innenminister Peñailillo mit mutmaßlich gefälschten Berichten seine Beratertätigkeit nachweisen wolle, war das Maß voll. Vielleicht auch um den engen Vertrauten Peñailillo nicht völlig zum Buhmann werden zu lassen, forderte die Präsidentin dann eben gleich den Rücktritt des ganzen Kabinetts.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 9. Mai 2015


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