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"Trifft das Herz"

Die Genehmigung eines exorbitanten Projekts zur Erzeugung von Wasserkraft hat in Chile die größten Massenproteste seit vielen Jahren ausgelöst *

80000 Demonstranten wurden am vergangenen Freitag (20. Mai) in der Hauptstadt Santiago gezählt. In der Hafenstadt Valparaíso gingen 50000 Chilenen gegen »HydroAysén« auf die Straße. Dazu kamen Tausende in weiteren 26 Städten. »Das ist nur der Anfang der Proteste«, versprach die Umweltschützerin Sara Larraín, die sich 1999 als unabhängige Kandidatin um das Präsidentenamt bewarb. HidroAysén werde das Vertrauen des Volkes in die Institutionen und die Regierung von Staatspräsident Sebastián Piñera nachhaltig erschüttern.

61 Prozent der Chilenen hatten sich in einer repräsentativen Umfrage vom April gegen das Energieprojekt im südlichen Patagonien ausgesprochen, für das unter anderem 5900 Hektar Land geflutet werden sollen. Larraín zufolge liegt die Ablehnung bei 85 Prozent.

Der Bau der Staudämme war am 9. Mai von der Umweltkommission der südlichen Region Aysén genehmigt worden. Fünf Kraftwerke sollen die Flüsse Baker und Pascua stauen und insgesamt 2750 Megawatt Strom generieren. Finanziert werden soll der Komplex mit spanischem, italienischem und chilenischem Kapital.

Um den Strom abzutransportieren, sind Hunderte 70 Meter hohe Hochspannungsmasten in sechs Nationalparks, elf Reservaten, 26 schützenswerten Zonen, 16 Feuchtgebieten und 32 privaten Schutzgebieten vorgesehen. Dieser Teil des Projektes, der den Einschlag von 2000 Quadratkilometern Wald erforderlich macht, muß in einem gesonderten Verfahren erst noch bewilligt werden.

Die Gesamtkosten des HydroAysén-Projekts werden mit sieben Milliarden US-Dollar veranschlagt. Staatspräsident Piñera unterstützt es mit der Begründung, die Energieproduktion müsse in den nächsten Jahren verdoppelt werden, um das Wirtschaftswachstum von derzeit sechs Prozent nicht zu gefährden.

»Das Megavorhaben trifft das Herz des chilenischen Patagonienwaldes«, meint Sara Larraín, Leiterin des Programms »Nachhaltiges Chile«. Mit der teilweisen Genehmigung sei der Kampf nicht verloren. Man werde jetzt erst recht versuchen, die Zerstörung der einzigartigen Landschaft zu verhindern. Der wachsende Strombedarf ließe sich bekanntlich auch mit Wind- oder Sonnenenergie decken. Was die Zehntausenden Demonstranten eint, brachte Patricio Rodrigo vom »Rat zum Schutz Patagoniens« auf der Kundgebung in Santiago so auf den Punkt: »Wir fordern mehr Mitsprache in der Frage, welche Entwicklungsprojekte uns Chilenen nützen.«

* Aus: junge Welt, 26. Mai 2011


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