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Bachelet vor Sieg

Chile wählt am Sonntag ein neues Staatsoberhaupt. Rechte vor klarer Niederlage

Von André Scheer *

Geht es nach den Umfragen, ist die Sache klar: Michelle Bachelet wird am Sonntag in den chilenischen Präsidentenpalast La Moneda zurückkehren. Die Frage vor der Wahl ist demnach nur noch, ob die Entscheidung bereits in der ersten Runde fällt, oder ob sich die beiden führenden Kandidaten am 15. Dezember einer Stichwahl stellen müssen. Das Zentrum für öffentliche Studien (CEP) etwa geht davon aus, daß Bachelet bereits am Wochenende ihren Sieg feiern kann. Eine am Dienstag veröffentlichte Umfrage sieht die Kandidatin der Sozialistischen Partei bei 47 Prozent, weit vor der zweitplatzierten Vertreterin der Rechten, Evelyn Matthei, die auf nur 14 Prozent kommt.

Praktisch chancenlos sind der Prognose zufolge die übrigen sieben Kandidaten, die bei zehn Prozent oder weniger liegen. Um die Stichwahl zu vermeiden, bräuchte Bachelet mehr als 50 Prozent der Stimmen – und die seien wahrscheinlich, so das CEP, wenn man aus der Umfrage diejenigen herausrechne, die letztlich doch nicht zur Wahl gehen oder ungültige Stimmzettel abgeben. Das konkurrierende Institut Ipsos hingegen geht von einer zweiten Runde aus, doch auch hier liegt Bachelet klar vorne. Sie komme auf 35 Prozent, heißt es in der bereits in der vergangenen Woche veröffentlichten Studie, während Matthei bei 22 Prozent liege. Dabei handelte es sich jedoch um eine Telefonbefragung, und diese Technik begünstigt in Südamerika erfahrungsgemäß rechte Politiker: Linke Kandidaten haben ihre Basis vor allem unter den ärmeren Schichten der Bevölkerung – wo viele Menschen keinen Telefonanschluß besitzen.

Michelle Bachelet regierte Chile bereits von 2006 bis 2010 und galt auch anschließend als eine der populärsten Politikerinnen des Landes. Links vom traditionellen Parteienbündnis Concertación Democrática, das Chile seit dem Ende der Pinochet-Diktatur regiert hatte, war die Bilanz ihrer Amtszeit jedoch kritisch bewertet worden. So machte Salvador Muñoz vom Linksbündnis Juntos Podemos Más (Gemeinsam schaffen wir mehr) nach den Wahlen 2009 im Gespräch mit dem Internetportal El Ciudadano Bachelet dafür verantwortlich, »daß die Rechte zum ersten Mal seit 50 Jahren an den Urnen siegen« konnte. Die damalige Präsidentin hatte entsprechend der geltenden Verfassung nicht für eine weitere Amtszeit kandidieren können. Als ihr Nachfolger war der Christdemokrat Eduardo Frei ins Rennen gegangen und Sebastián Piñera von der Rechtspartei RN unterlegen. Mehr als jeder vierte Wähler hatte damals in der ersten Runde den beiden großen Lagern die Stimme verweigert und entweder den Unabhängigen Marco Enríquez-Ominami oder den für Juntos Podemos Más antretenden Kommunisten Jorge Arrate gewählt. Bachelet habe es versäumt, die Concertación, in der sich Sozialisten, Christdemokraten und kleinere Parteien zusammengeschlossen hatten, zu erneuern und andere Kräfte in dieses Bündnis einzubeziehen, so Muñoz. Der peruanische Journalist Sergio Paz kommentierte damals in der Zeitschrift Generacción, es sei der Sozialistin in ihrer Amtszeit nicht gelungen, das drängendste Problem Chiles anzugehen: die Ungerechtigkeit. »Chile gehört zu den 15 Ländern der Welt mit der schlechtesten Einkommensverteilung zwischen Arm und Reich«, bestätigte das der Soziologe Manuel Garretón. Die Linke machte die Concertación dafür verantwortlich, nicht mit dem von Pinochet geerbten neoliberalen Wirtschaftsmodell gebrochen zu haben.

Nun aber soll alles anders werden. Die Kommunistische Partei Chiles unterstützt das aus den Überresten der Concertación entstandene Bündnis »Neue Mehrheit« und hatte schon bei den Vorwahlen dazu aufgerufen, Bachelet den Rücken zu stärken, obwohl es weiter links stehende Kandidaten gegeben hätte. Es müsse aber darum gehen, die Rechte zu besiegen, und dafür habe die Expräsidentin die besten Karten, argumentierte Parteichef Guillermo Teillier. Bis zuletzt hat die KP aber offengelassen, ob sie auch mit Ministern in ein künftiges Kabinett Bachelet eintreten würde. Es gehe um Inhalte, nicht um Personen, lautete das Mantra. Die Ziele der Kommunisten, auf deren Umsetzung sie mit der neuen Regierung hoffen, sind hochgesteckt. Durch eine Steuerreform sollen ein kostenfreies Bildungssystem und eine bessere Gesundheitsversorgung finanziert werden. Zudem soll die im Kern noch aus den Zeiten der Diktatur stammende Verfassung geändert werden, um das undemokratische »binominale« Wahlsystem abzuschaffen. Dieses bevorteilt das rechte Lager, während kleinere Parteien aus der Legislative ausgeschlossen bleiben.

* Aus: junge welt, Samstag, 16. November 2013


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