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Linke am Scheideweg

Zweite Runde der Präsidentschaftswahlen in Chile: Stimmabgabe für Eduardo Frei oder Enthaltung? Rechter Kandidat Piñera in der Favoritenrolle

Von Nico Weinmann, Concepción *

Endphase im Zwischenwahlkampf: Am 17. Januar sind die über acht Millionen wahlberechtigte Chilenen zum zweiten Mal zur Stimmabgabe über die Präsidentschaft aufgefordert. Der rechte Kandidat Sebastián Piñera verfehlte im ersten Wahlgang am 13. Dezember mit 44 Prozent nur knapp die absolute Mehrheit. Er hielt Eduardo Frei vom Regierungsbündnis der »Concertación« (»Absprache«) mit 30 Prozent deutlich auf Distanz, auch, weil der unabhängige Kandidat Marco Enriquez-Ominami unerwartet 20 Prozent der Stimmen erlangte. Das Linksbündnis Jorge Arrates, »Juntos podemos más« (»Gemeinsam können wir mehr«), kam im ersten Wahlgang auf sechs Prozent der Stimmen.

Obwohl Piñera als Favorit ins Rennen geht, wird letztlich wahlentscheidend sein, welcher der beiden Kontrahenten die Stimmen der zwei ausgeschiedenen Kandidaten für sich gewinnen kann. Enriquez-Ominami gibt für die Stichwahl keinerlei Wahlempfehlung ab. Arrates Linksbündnis hingegen unterstützt in der Endphase des Wahlkampfs offen die Kandidatur Freis auf der Grundlage einer zwölf Punkte umfassenden Vereinbarung. Guillermo Teillier, der Vorsitzende der Kommunistischen Partei, die wichtiger Teil des Bündnisses ist, verkündete unmittelbar nach der Jahreswende, daß seine Partei sich nach Kräften für eine Niederlage der Rechten einsetzen werde. Auch der Vorstand der Gewerkschaft der Staatsangestellten, ANEF, verabschiedete jüngst eine Erklärung zur Unterstützung Freis.

Ob dieser durch die Unterstützung von links das Blatt noch mal wenden kann, ist jedoch fraglich. Der erste Wahlgang attestierte der Parteienkoalition aus Christdemokraten (DC), Demokraten (PPD), Sozialisten (PS) und Radikalen (PRSD) eine tiefe Krise. Das Bündnis regiert das Land seit zwei Jahrzehnten ununterbrochen. Die letzte Regierungsperiode wurde begleitet von internen Machtkämpfen und allgemeinen Abnutzungserscheinungen. Entscheidende Abstimmungen im Kongreß gingen verloren, führende Minister und Senatoren verließen die »Concertación«. Frei vermag es bislang nicht, im Wahlkampf dieses Krisenimage abzustreifen. Nach der Bekanntgabe des Ergebnisses der ersten Runde hatte der Christdemokrat versucht, mit einer personellen Umbildung des Wahlkampfstabes der enormen Wechselstimmung entgegenzusteuern. In einem internen Strategiepapier ließ Frei verkünden, daß er in der Endphase des Wahlkampfs gegenüber Piñera stärker polarisieren wolle. Schließlich traten mit José Antonio Gómez (PRSD) und Pepe Auth (PPD) zwei Parteivorsitzende der »Concertación« zurück, um eine personelle Erneuerung zu symbolisieren.

Die Stärke Piñeras resultiert jedoch aus mehr als nur der Schwäche seiner Gegner. Es gelang ihm früh, das rechte Lager geschlossen hinter sich zu vereinen. Mit hohem finanziellen Aufwand führt der Milliardär einen geschickten Wahlkampf. Wie kein anderer Kandidat der Rechten seit dem Ende der Diktatur distanziert er sich verbal von Pinochet. Sein Wahlkampflogo, ein Stern in Regenbogenfarben, adaptiert die Farben der »No-Kampagne« im Plebiszit gegen den Diktator vor zwanzig Jahren, bei dem Piñera nach eigener Aussage für die Demokratie gestimmt haben will. Auf zahlreichen Hütten in Armenvierteln wehen seine Fahnen mit der Aufschrift »Wandel und Zukunft«. Den Hüttenbesitzern winken Essens- oder Geldgeschenke. Piñera konnte im ersten Wahlgang einen Großteil der Stimmen eben in jenen Städten und Regionen mit hoher Armut und Arbeitslosigkeit ergattern.

Der »Concertación« gelingt es derweil nicht, die Wahlversprechen Piñeras als heiße Luft zu entzaubern. Neben den internen Querelen lasten 20 Jahre neoliberale Politik auf den Schultern des Regierungsbündnisses. Trotz einer Reduzierung der absoluten Armut klafft die Schere zwischen Arm und Reich in Chile seitdem immer weiter auseinander. In zwei Jahrzehnten gelang es der »Concertación« nicht, das Wahlsystem und die Verfassung, die noch aus der Feder Pinochets stammt, grundlegend zu ändern. Immer mehr Menschen bleiben auch deshalb den Wahlen fern. 60 Prozent der Chilenen geben an, daß keiner der Kandidaten ihre Interessen vertritt. Bereits der erste Durchgang wurde deshalb von Aufrufen linker Gruppen zur ungültigen Stimmabgabe begleitet. Eine Unterstützung des »kleineren Übels« verbaue auf lange Sicht den Aufbau einer unabhängigen linken Alternative, argumentieren die Vertreter der verschiedenen »Anular el voto«-Kampagnen.

* Aus: junge Welt, 5. Januar 2010


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