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Chiles Rechte wähnt sich bereits am Ziel

Unternehmer Sebastián Piñera in der ersten Runde der Präsidentenwahl weit vorn

Mit großem Vorsprung hat der milliardenschwere Unternehmer Sebastián Piñera den ersten Durchgang der Präsidentschaftswahlen in Chile gewonnen. Er könnte im kommenden März die amtierende Präsidentin Michelle Bachelet ablösen, die laut Verfassung nicht wieder kandidieren durfte.

Mehr als 44 Prozent der 8,3 Millionen wahlberechtigten Chilenen stimmten am Sonntag (13. Dez.) für Sebastián Piñera, den Kandidaten der Rechten, die damit erstmals seit Jahrzehnten wieder realistische Chancen hat, auf demokratischem Weg die Macht in dem südamerikanischen Staat zu übernehmen. Vorher muss er allerdings am 17. Januar die Stichwahl gegen den ehemaligen Präsidenten Eduardo Frei gewinnen, der als Vertreter der regierenden Mitte-Links-Koalition Concertación am Wahlsonntag mit knapp 30 Prozent die zweithöchste Stimmenzahl auf sich vereinigen konnte.

Freis Abstand zum Drittplatzierten, dem Concertación-Dissidenten Marco Enríquez-Ominami, fiel mit weniger als zehn Prozentpunkten recht knapp aus. Linkskandidat Jorge Arrate, der auch von der KP Chiles unterstützt wurde, erreichte mit mehr als sechs Prozent ein respektables Ergebnis.

In seiner vor Pathos triefenden Siegesansprache versprach Piñera nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses »ein freieres, großes, gerechtes und brüderliches Chile« und sparte nicht mit populistischen Floskeln: »Es kommen bessere Zeiten! Die Zeit des Wechsels, der Zukunft und der Hoffnung klopft an unsere Türen.« Ganz in der Pose eines künftigen Staatsmanns würdigte er seine Kontrahenten und vor allem Marco Enríquez-Ominami, der einen erheblichen Teil der Unzufriedenheit mit der 20-jährigen Regierungszeit der Concertación in Stimmen ummünzen konnte. So darf Piñera bei der Stichwahl auf einen erklecklichen Teil der 20 Prozent Wählerstimmen hoffen, die den in Frankreich aufgewachsenen Sohn des Gründers der militanten Linken Revolutionären Bewegung (MIR) auf den dritten Platz hievten. Trotz größerer politischer Nähe wird der Christdemokrat Frei, der bereits 1994 bis 2000 Präsident war, längst nicht alle Stimmen des jungen Dissidenten für sich gewinnen können.

Sicherer sind ihm die 6,2 Prozent des linken Bewerbers Jorge Arrate, der seine Anhänger zur Wahl Freis in der zweiten Runde aufrief. Die Vereinbarung der linken Gruppierung Junto Podemos Más (Gemeinsam können wir mehr) um die Kommunistische Partei mit der Concertación ging auf: In drei der vier Wahlkreise, in denen sich die Koalition für die Kandidaten der außerparlamentarischen Linken einsetzte, wählten die Bürger einen Vertreter des Linksbündnisses ins Abgeordnetenhaus. Erstmals nach 36 Jahren kehrten die Kommunisten Chiles damit ins Parlament zurück. »Die Ausgrenzung ist überwunden, das ist der entscheidende Erfolg dieser Wahl« jubelte Arrate.

Für die seit 20 Jahren regierende Mitte-Links-Koalition Concertación war der dritte Advent indes ein schlechter Tag. Nicht nur ihr Präsidentschaftskandidat fuhr das schlechteste Wahlergebnis seit dem Ende der Pinochet-Diktatur ein, sie verlor auch ihre Mehrheit im Abgeordnetenhaus und kann künftig nur noch auf 54 von 120 Stimmen zählen, während Piñeras Rechtsbündnis mit nunmehr 58 Abgeordneten auf die fünf Unabhängigen angewiesen ist. Nur im Senat verfügt die Concertación noch über die Mehrheit.

Die Verluste der Concertación überraschten keineswegs. Das Bündnis hatte sich überlebt, interne Querelen um gockelhaft agierende, ewig gleiche Politikkader und vor allem die zunehmende Korruption bestimmten das Bild der Koalition, die einst das Ende der Pinochet-Diktatur besiegelte. Schmutzige Machenschaften um die Auswahl des Kandidaten für die Präsidentenwahl gaben dem Ansehen der Concertación den Rest.

Sebastián Piñera konnte daraus mit seiner Botschaft vom Wechsel erfolgreich Kapital schlagen. Wie die Politik einer künftigen konservativen Regierung konkret aussehen wird, ist indes unklar. Piñera tritt für ein Bündnis der rechtsliberalen Renovación Nacional und der Pinochet-Nachfolgepartei Unión Democrática Independiente an. Er selber ist einer der erfolgreichsten Unternehmer des Landes, gilt als gerissener, oft über den Rand der Legalität hinaus agierender Geschäftsmann und als beratungsresistenter Egomane. Für politische Entscheidungsträger nicht die besten Voraussetzungen.

* Aus: Neues Deutschland, 15. Dezember 2009


Rechtsruck in Chile

Sebastián Piñera gewinnt erste Runde der Präsidentschaftswahl. Stichwahl im Januar. Kommunisten erstmals wieder im Parlament

Von André Scheer **

Das Rennen um die Präsidentschaft in Chile entscheidet sich zwischen dem Kandidat der Rechten, Sebastián Piñera, und dem Vertreter des Mitte-Links-Bündnisses »Concertación«, Eduardo Frei. Zum ersten Mal nach dem Ende der Pinochet-Diktatur 1989 gelang es bei der Präsidentschaftswahl am Sonntag einem Vertreter der Rechten, die Mehrheit der Stimmen auf sich zu vereinigen. Mit 44,03 Prozent lag Piñera deutlich vor seinem Konkurrenten Frei, der nur auf 29,62 Prozent kam, verpaßte jedoch die absolute Mehrheit, um im ersten Wahlgang gewählt zu werden. Viele Chilenen sehen mittlerweile offenbar eine Rückkehr der Rechten an die Regierung als weniger schlimm an als ein »weiter so« unter der »Concertación«, die einst als Bündnis aller Demokraten zur Überwindung der Pinochet-Diktatur gegründet worden war. Darauf deutet auch der Achtungserfolg des unabhängigen Kandidaten Marco Enríquez-Ominami hin, der mit 20,12 Prozent einen starken dritten Platz errang. Der von Kommunisten und Christlicher Linken unterstützte Jorge Arrate erreichte 6,12 Prozent.

Am 17. Januar werden sich die beiden erstplatzierten Kandidaten in einer Stichwahl gegenüber stehen. Obwohl die drei nominell linken Kandidaten zusammen rein rechnerisch eine bequeme Mehrheit gegenüber Piñera haben, ist das Rennen in dieser zweiten Runde nicht ausgemacht. In Umfragen hatte bis zu einem Drittel der Wähler von Enríquez-Ominami angekündigt, ihre Stimme dem Rechten zu geben. Diesem war es im Wahlkampf offenbar gelungen, sich als »neues« Gesicht gegenüber dem bereits zwischen 1994 und 2000 regierenden Christdemokraten Frei zu präsentieren. Dabei ist Piñera selbst seit Jahrzehnten in der chilenischen Politik präsent. Bereits 1992 war er in einen Skandal verwickelt, der als »Piñeragate« in die chilenische Geschichte eingegangen ist. Er war damals bei dem Versuch belauscht worden, ein Komplott gegen seine innerparteiliche Konkurrentin Evelyn Matthei zu schmieden. Doch bei der Präsidentschaftswahl 1999 war er schon wieder der Favorit seiner Partei »Nationale Erneuerung« (RN), verzichtete jedoch zugunsten von Joaquín Lavín von der rechtsextremen »Unabhängigen Demokratischen Union« (UDI). Bei den Wahlen an der Jahreswende 2005/2006 trat Piñera dann als Kandidat seiner Partei gegen die Sozialistin Michelle Bachelet an, mußte sich dieser jedoch geschlagen geben.

Es ist Piñeras Vorteil, daß die chilenische Verfassung eine unmittelbare Wiederwahl Bachelets verbietet, denn gegen die trotz Kritiken populäre Präsidentin hätte sich der Rechte wohl kaum durchsetzen können. Frei jedoch kann nach zwanzig Jahren Regierungszeit der »Concertación« keinen Aufbruch verkörpern und muß darauf hoffen, daß die Wähler von Enríquez-Ominami und Arrate sich doch noch für das »kleinere Übel« entscheiden werden.

Der vor wenigen Monaten von der Sozialistischen Partei zu den Kommunisten gewechselte Jorge Arrate hatte bereits im Wahlkampf zu einem Minimalabkommen zwischen den drei »linken« Kandidaten aufgerufen, um in der Stichwahl eine Regierungsübernahme der Rechten zu verhindern. Seine Konkurrenten drückten sich jedoch davor, sich ebenfalls zu einer solchen Allianz zu bekennen. Auch nach der Wahl vermeidet Marco Enríquez-Ominami bislang eine klare Stellungnahme, obwohl er schon aus familiären Gründen eigentlich ein Interesse daran haben müßte, einen Durchmarsch Piñeras zu verhindern: Sein Vater war der 1974 von der Diktatur ermordete Generalsekretär der Bewegung der Revolutionären Linken (MIR), Miguel Enríquez. Auf seiner Homepage erklärte er jedoch mehrdeutig: »Ich bin nicht der Herr über eure Wünsche, ich bin nur der Überbringer von Botschaften, die ihr mir übergeben habt. Das macht es unmöglich, eure Stimmen irgendeinem anderen Kandidaten zu übergeben.«

Trotz des bescheidenen Ergebnisses ihres Präsidentschaftskandidaten sieht sich auch die Kommunistische Partei als Siegerin der Wahl. Bei der gleichzeitig durchgeführten Parlamentswahl gelang erstmals seit dem Militärputsch von 1973 mindestens drei Kommunisten der Einzug in die Deputiertenkammer. Der Vorsitzende der PCCh, Guillermo Tellier, ihr Generalsekretär Lautaro Carmona und der Menschenrechtsanwalt Hugo Gutiérrez konnten sich in ihren Wahlkreisen gegen die Vertreter der Rechten durchsetzen, nachdem ein Wahlbündnis mit der »Concertación« Konkurrenzkandidaturen vermieden hatte.

** Aus: junge Welt, 15. Dezember 2009


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