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Neoliberaler Massenmörder

Friedrich Paul Heller hat eine Biographie des chilenischen Diktators Pinochet geschrieben

Von Gerd Bedszent *

Augusto José Ramón Pinochet Ugarte (1915–2006) gilt als eine der finstersten Figuren in der Reihe lateinamerikanischer Diktatoren. Er stürzte durch einen Militärputsch am 11. September 1973 die frei gewählte sozialistische Allende-Regierung, verbot Parteien, zerschlug Gewerkschaften, ließ Tausende politischer Gegner foltern und umbringen und lieferte als erster Staatschef der Welt sein Land einer neoliberalen Schocktherapie aus.

Der Publizist Friedrich Paul Heller, Autor mehrerer Werke über die in Chile ansässige faschistoide Sekte »Colonia Dignidad«, beabsichtigt mit seinem neuen Buch »Pinochet. Eine Täterbiographie in Chile«, der südamerikanischen Republik »einen Teil der Erinnerungen zurückzugeben, der im Lande selbst nicht rekonstruiert werden kann«.

Extrem angepaßt

Der Autor stützt sich bei der Biographie auch auf Materialien des diplomatischen Dienstes der Bundesrepublik Deutschland. Damit kam er an sonst kaum zugängliche Informationen heran. Da – wie er schreibt – das bundesdeutsche Botschaftspersonal dem Regime positiv gegenüberstand, färbt diese Quellenlage allerdings auch auf seine Betrachtungsweise ab. Die Zeit der Allende-Regierung erscheint im Buch mehrfach als »Chaos mit Warteschlangen an den Läden«, ihre sozialen Errungenschaften kommen kaum vor.

Sehr verdienstvoll ist aber Hellers Schilderung zahlreicher Verbrechen des Regimes, die Darstellung der kaum verbrämten Sympathie Pinochets für Hitler und die Analyse der Unterstützung oder zumindest Tolerierung der Militärjunta durch bundesdeutsche Politiker. Das Buch liefert außerdem das Psychogramm eines Diktators, der vom farblosen Nur-Militär zum faschistoiden Massenmörder aufstieg.

Der Autor schildert, wie Pinochet es durch völlig angepaßtes Verhalten schaffte, von Präsident Salvador Allende zum Oberbefehlshaber der Landstreitkräfte ernannt zu werden. Bei mehreren mißlungenen Putschversuchen hielt er sich im Hintergrund. Auch am Staatsstreich 1973 war er nicht führend beteiligt, sondern sicherte erst nach massiven Drohungen führender Militärs seine Unterstützung zu. Anschließend gelang es ihm allerdings schnell, die anderen Generäle der Junta kaltzustellen und sich zum Alleinherrscher zu machen. Ob er das der Überlegenheit der von ihm geführten Teilstreitkraft gegenüber anderen Waffengattungen verdankte oder dem von ihm gegründeten Geheimdienst DINA, den er auch zur Bespitzelung führender Militärs einsetzte, bleibt im Buch offen.

Der Autor unterscheidet mehrere Phasen der Diktatur. In den ersten Jahren wurde die politische Linke von Pinochets Militärjunta gewaltsam zerschlagen. In der zweiten Phase, unter seiner Alleinherrschaft, verhalf er neoliberalen Ideologen zu Ministersesseln. Nachdem sie darauf Platz genommen hatten, unterzogen sie Chile einem wirtschaftspolitischen Schockprogramm. Es war, wie Heller richtig schreibt, nur gewaltsam, unter den Bedingungen einer Diktatur, durchsetzbar.

Kupfer zum Überleben

Zu den gesellschaftlichen Folgen dieser Politik findet man im Buch nur die Feststellung, daß es dem Diktator gelang, die soziale Basis seiner Herrschaft ins Bürgertum zu verbreitern. Interessant ist allerdings Hellers Auffassung, daß das neoliberale Experiment schon nach wenigen Jahren scheiterte. Bereits Anfang der 1980er Jahre geriet die chilenische Wirtschaft in eine schwere Rezession. Banken krachten und mußten vom Staat »gerettet« werden – ein Vorgehen, das aus der Gegenwart gut bekannt ist.

Wie der Autor schreibt, hat das kleine Chile damals im Blitzdurchlauf den Neoliberalismus absolviert inklusive dessen Scheitern – was der wirtschaftspolitische Mainstream allerdings nie wahrnehmen wollte. Im Rest der Welt dauerte es Jahrzehnte, bis die neoliberale Blase platzte – allerdings mit deutlich lauterem Knall.

Die chilenische Wirtschaft verdankt ihr Überleben in den 1980er Jahren hauptsächlich einem Relikt der Allende-Zeit. Die damals verstaatlichte Kupferförderung war von Pinochet entgegen den Forderungen seiner neoliberalen Minister nie privatisiert worden. Er hielt damit führende Militärs bei der Stange, die er klammheimlich an den Gewinnen dieser Unternehmen beteiligte.

Pinochets zuletzt keynesianistisch geprägte Reaktionen auf den von den Neoliberalen verursachten Crash kosteten ihn die Unterstützung des Bürgertums. Da weder dieses, noch die im Hintergrund agierende USA an einem revolutionären Umsturz und dem Wiederaufleben der Allende-Politik interessiert waren, entzogen sie quälend langsam der Diktatur ihre Unterstützung. In der dritten Phase von Pinochets Herrschaft wurde der zur Belastung gewordene Alleinherrscher schrittweise von den Hebeln der Macht verdrängt.

Im Buch werden auch die für den letzten Lebensabschnitt Pinochets tragikomischen Momente dokumentiert: So befahl der Noch-Diktator nach einem Attentatsversuch gegen ihn in alter Manier den Mord an oppositionellen Politikern, was aber seine eigene Polizei sabotierte. Bei der Amtsübergabe 1990 an den gewählten Präsidenten Patricio Aylwin wurde der abtretende Autokrat mit Eiern beworfen. Als der Sohn Pinochets wegen Scheckbetrug angeklagt werden sollte, drohte der Noch-General und Armeechef (bis 1998) mit einem erneuten Putsch - und mußte kleinbeigeben. Später stellte sich heraus, daß Pinochet während seiner Herrschaft kräftig in die eigene Tasche gewirtschaftet hatte – knapp 20 Millionen US-Dollar an Schwarzgeld konnten bisher sichergestellt werden. Seine Familie wurde wegen Steuerbetrugs und Falschaussage belangt, sein Sohn außerdem wegen Handels mit geklauten Autos.

Im Jahre 2002 wurde der Ex-Diktator für dement erklärt. Wegen der nachweislich von ihm auch persönlich angeordneten Morde wurde er nie verurteilt, verstarb friedlich im Bett. Bei seiner Beerdigung spuckte der Enkel eines seiner Opfer auf den Sarg.

Friedrich Paul Heller: Pinochet - Eine Täterbiografie in Chile. Schmetterling Verlag, Stuttgart 2012, 352 Seiten, 24,80 Euro

* Aus: junge Welt, Samstag, 03. November 2012


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