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Das Grün unserer Seele

Der Widerstand der Mapuche in Chile gegen große Bauprojekte ist mehr als ein Landkonflikt

Von Antje Krüger *

Bei der Planung des Flughafens Temuco nimmt die chilenische Regierung erneut keine Rücksicht auf das Recht der Mapuche, über ihre Erde mitzuentscheiden. Dabei geht es den Indigenen nicht nur um Landverluste. Mit ihrem Widerstand stoßen sie eine Umweltschutzbewegung an.

»Ihr wisst in Europa viel mehr über die Mapuche als wir«, sagt Leonardo Fernández. Er steuert sein Auto durch die chilenische Hauptstadt Santiago gen Süden. Fernández ist auf dem Weg zum Familienbesuch. Er ist in Chiles Araukarienregion groß geworden, dem angestammten Gebiet der Mapuche. Doch einen Bezug zu seinen ehemaligen Nachbarn, den ursprünglichen Bewohnern Südchiles, hat er kaum. »Ich lebe schon zu lange in Santiago. Mir geht es wie den meisten Chilenen, ich höre von den Mapuche nur im Fernsehen und da wird erdenklich wenig berichtet«, sagt Fernández. So kennt man sie bestenfalls in ihrer traditionellen Tracht, im seltensten Fall persönlich und meistens nur aus Schlagzeilen, wenn die Konflikte zwischen Regierung und Mapuche wieder eskalieren.

»Wir sollen verschlossen und radikal sein«, lacht Eleonora Quirúa, schiebt einen Teller mit Spiegelei über den Küchentisch. Eleonora Quirúa wohnt in Makewe, einem der Mapuchegebiete, das aufgrund seiner Proteste gegen einen internationalen Flughafen nahe der Stadt Temuco in die Medien kam. 95 Prozent der Einwohner von Makewe sind Mapuche. »Klar gibt es bei uns auch einige, die radikal unser Land zurückfordern. Aber das sind die wenigsten«, sagt Eleonora. »In unserer Weltsicht steht Respekt ganz oben. Für uns ist alles in einer Einheit miteinander verbunden – die Erde, die Natur und alle Menschen. Wer das wirklich verinnerlicht hat, kann gar nicht verschlossen sein«, erklärt die junge Frau, während ihre fünfjährige Tochter neugierig den Gast mustert.

Mit der »Winkisierung« kam die Armut

Über 600 000 Mapuche leben heute noch in Chile. Das Volk hatte sich lange jeglicher Eroberung widersetzt, ob durch die Inka oder die Spanier. Erst vor etwas mehr als 100 Jahren begann ihre Winkisierung, wie sie es nennen. »Winka, das seid ihr für uns, die Nichtmapuche«, erläutert Eleonora. In der Folge zerfiel die indigene Gesellschaft. Die Mapuche weisen heute die höchste Armutsrate innerhalb der chilenischen Bevölkerung auf. Der Zwang, chilenische Schulen, Kirchen und Hospitäler zu besuchen, zerstörte ihr gesamtes Wertesystem und stempelte es als minderwertig ab. Die Fremdnutzung ihres Landes tat ein Übriges. Letzte offizielle Landenteignungen erfolgten noch in der Zeit der Diktatur Pinochets zwischen 1973 und 1989. »Die Mapuche unterschrieben Verträge zum Landverzicht. Unter welchen Bedingungen? Wahrscheinlich mit der Waffe am Kopf«, sagt Salvador Carmona von der Zeitung »La Cuarta«, einer der wenigen Journalisten Chiles, die häufiger über die Mapuche berichten.

Auch heute drehen sich die Konflikte mit der Regierung zumeist um die Nutzung des Landes, das ursprünglich den Mapuche gehörte. Nur ein Teil davon ist ihnen zurückgegeben worden. Und die Projekte, die auf privatem Großgrundbesitz oder staatlichen Ländereien vorangetrieben werden, gehen oft über die Bedürfnisse der Mapuche hinweg.

So hat sich Chiles Süden in den letzten 15 Jahren optisch stark verändert. Wo einst Urwälder mit dichtem Gestrüpp die Anden bedeckten, ziehen sich heute Pinien- und Eukalyptusplantagen die Hänge hoch. Die Machi, die Mapucheheilerinnen, können die Kräuter für ihre Medikamente kaum noch sammeln. Die wenigen verbliebenen, für sie heiligen Araukarienwälder, werden in Nationalparks geschützt. Die monokulturelle Ausbeutung ihres Landes steht der Weltsicht der Mapuche konträr gegenüber. »Früher gab es hier keine Zäune. Das Land gehörte allen und wir achteten darauf, dass es im Gleichgewicht blieb. Nahm man an einer Stelle, musste man an einer anderen geben. Jeden Baum, den wir fällten, baten wir um Erlaubnis und Entschuldigung«, erzählt Eleonora Quirúa.

Heilung einer Kultur im Einklang mit der Natur

Nachhaltigkeit, von Umweltschützern heute mühsam propagiert, war Alltag für die »Menschen der Erde«, wie die Mapuche übersetzt heißen. Da viele Mapuche sich immer mehr auf ihre ursprünglichen Werte rückbesinnen, ist die Auseinandersetzung um ihr Land nicht nur ein bloßer Landkonflikt. »Wir wollen hier kein Museum errichten und so leben wie früher. Wir verändern uns ja schließlich auch. Aber wir wollen gesunden und das können wir nur, wenn wir unsere Kultur wieder im Einklang mit der Erde und der Natur leben können«, sagt Francisco Chureo, Nachbar von Eleonora Quirúa und Präsident der Indigenen Gemeinschaft für Gesundheit. Sie versuchen, die Heilung eines ganzen Landstriches und Volkes anzustoßen – die ansässigen Chilenen eingeschlossen. »Schließlich«, so Eleonora, »sind wir ja alle eins und unsere chilenischen Nachbarn sind oft genauso arm und haben die gleichen Probleme wie wir.«

Doch dieser Versuch wird immer wieder empfindlich gestört, wenn über die Köpfe der Mapuche hinweg Projekte wie der internationale Flughafen Temuco beschlossen werden, wofür 16 Mapuchegemeinden umgesiedelt werden müssten. Laut Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation, die Chile 2008 ratifiziert hat, müssen die Mapuche um Erlaubnis gefragt werden, wenn ihre Erde anderweitig genutzt werden soll. Doch das ist nicht geschehen und hinter den Kulissen offenbart sich, wie tief die Kolonialisierungsmentalität in Chile noch sitzt. »Der Mitarbeiter O.N. vom Bauministerium erklärte am Flughafenbau interessierten Unternehmern, dass sie aufgrund der Konvention 169 nicht ohne Zustimmung der Mapuche bauen können. Die Diskussion darüber wurde hitzig geführt und Vorschläge wie »Dann ändern wir eben das Gesetz«, wurden geäußert. O.N. betonte, dass dies internationales Recht und nicht einfach zu ändern sei. Die Antwort darauf: »Gut, dann gehen wir eben mit Geld zu den Mapuche und wenn das nichts hilft, mit Waffen«, berichtet Journalist Salvador Carmona.

Bislang ging Chiles Regierung mit unverhältnismäßiger Härte gegen die Mapuche vor. Die bis 2010 amtierende sozialistische Präsidentin Michelle Bachelet ließ sie vor Militärgerichte stellen – ein rechtliches Relikt aus der Pinochet-Diktatur. Verdächtigt als Terroristen erhielten sie keine Akteneinsicht und saßen bis zu einem Jahr in Untersuchungshaft. Ihnen wurde Brandstiftung und Besetzung von Privatbesitz vorgeworfen. Durch die Anonymität der Zeugen, die das Militärrecht zulässt, wurde jedoch nie glaubhaft erwiesen, was an den Vorwürfen dran war.

Diese Härte, die vor allem im Ausland für Verwunderung und Empörung sorgte, wurde inzwischen offiziell etwas zurückgefahren. Der derzeitige Präsident Sebastián Piñéra von der rechtsgerichteten Nationalen Erneuerung führte einige wenige Reformen der Militärgerichtsbarkeit durch, etwa die Abschaffung der Anklage gegen Minderjährige. »Piñera fürchtet um sein internationales Ansehen. Um die Mapuche geht es ihm nicht«, erklärt jedoch Salvador Carmona diesen Richtungswechsel.

Berichte über die Proteste der Mapuche sind selten

Wenig davon dringt bis nach Santiago vor, höchstens die Bilder von Demonstrationen, die mit Wasserwerfern aufgelöst werden. Leonardo Fernández weiß nichts vom Streit über den Flughafen. Er kannte nur den Konflikt um den Staudamm im Fluss Bío Bío, einem der wichtigsten Flüsse für die Mapuche. Der Bío Bío war lange Zeit ihre Grenze zu den von den Spaniern eroberten Gebieten. Als 1997 der Staudamm hochgezogen wurde, überschwemmte er nicht nur das Land mehrerer Mapuchegemeinden. Er greift auch massiv ins Ökosystem der Gegend ein. Der Kampf um den Fluss war der erste große Konflikt mit den Mapuche in Chile – und er war die erste große Auseinandersetzung der Chilenen mit dem Umweltschutz.

In der Öffentlichkeit wird der Konflikt mit den Indigenen jedoch weiterhin in erster Linie als Kampf um Land wahrgenommen und die dem Respekt der Erde geschuldete Motivation am liebsten ausgeblendet. Dabei hätte sie das Potenzial, eine Wertediskussion für das ganze Land anzustoßen. Doch als Fernández nun den Bío Bío überquert, gibt er noch einen Ratschlag. »Die Mapuche lassen sich jetzt von kolumbianischen Guerrillas ausbilden und Ausländer, die mit ihnen zu tun haben, machen sich schnell verdächtig. Also Vorsicht«, warnt er, bevor er weiter fährt zu seiner Familie, die die eigenen Nachbarn nicht kennt.

* Aus: Neues Deutschland, 13. September 2011


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