Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Ein Dorf siegt gegen E.on

Chile: Oberster Gerichtshof verbietet Bau von Kohlekraftwerk

Von Marinela Potor, Santiago de Chile *

Mit einer kleinen Meldung auf seiner Webseite hat der Oberste Gerichtshof Chiles am Dienstag (Ortszeit) für Feierstimmung in einem kleinen Dorf an der Pazifikküste gesorgt. Einstimmig lehnten die Richter der Dritten Kammer den Bau des Kohlekraftwerks »Castilla« ab. Das ist ein herber Rückschlag für die Unternehmen MPX aus Brasilien und E.on aus Deutschland. Der Energieriese aus Düsseldorf ist in diesem Jahr trotz Warnungen vor den Risiken mit 50 Prozent in das Projekt eingestiegen, um damit die Tür zum lateinamerikanischen Markt zu öffnen. Das ist nun zunächst einmal gescheitert. Die Obersten Richter erklärten nun, daß die Baugenehmigung für »Castilla« rechtswidrig erteilt worden sei und legten das Bauvorhaben, das ein Investitionsvolumen von etwa fünf Milliarden Dollar umfaßt, auf Eis.

Castilla ist eine Kommune im Norden Chiles. MPX versucht hier bereits seit 2008, eine Baugenehmigung für ein Kohlekraftwerk und einen Industriehafen zu bekommen, um die Stromversorgung für die vielen Bergbaufirmen in der Region zu übernehmen. Der Norden des südamerikanischen Landes ist eine hochindustrialisierte Region, in der vor allem Kupfer abgebaut wird. Doch MPX hat die Rechnung ohne die Bürger der anliegenden Gemeinde Totoral gemacht. Diese befürchten, daß ein weiteres Kohlekraftwerk in der Region, das zudem das größte in ganz Südamerika werden sollte, die Umwelt noch weiter belasten würde. »Wir haben schon seit Jahren beobachtet, wie durch die umliegenden Kraftwerke die Meereswelt zerstört wird und die Fischer ohne Arbeit bleiben. Außerdem ist die Krebsrate in der Region stark gestiegen. Jetzt zusätzlich noch ein Megaprojekt wie Castilla würde den Tod und die Zerstörung der gesamten Gegend bedeuten, « kritisiert etwa Lidia Araya aus Totoral. Deshalb klagten die Einwohner der Gemeinde bereits 2010 erstmals gegen das Projekt und bekamen recht. MPX stellte daraufhin einen neuen Antrag, dessen Genehmigung jetzt wieder als rechtswidrig eingestuft wurde.

Der deutsche E.on-Konzern wußte von der ersten Gerichtsentscheidung und dem anhängigen zweiten Verfahren. Trotzdem entschied sich das Unternehmen für den Einstieg. Unternehmenssprecher Alexander Ihl beharrte noch vor wenigen Tagen im Gespräch mit dem Deutschlandfunk: »Wir haben alle Risiken des Joint Ventures untersucht und keine Vorbehalte gefunden.«

Um das Projekt doch noch realisieren zu können, müßten E.on und MPX einen dritten Antrag zur Genehmigung das Kohlekraftwerks stellen und dazu ein neues Umweltgutachten mitliefern. Vor allem dieses war von den Richtern kritisiert worden. In der geschützten Region mit ihrer einzigartigen Flora und Fauna, die auch UNESCO-Weltnaturerbe ist, dürfen nur Industrien der Kategorie »störend« angesiedelt werden. In diese Kategorie stufte das von den Konzernen im nun von den Richtern kassierten Verfahren vorgelegte Gutachten das geplante Kraftwerk ein. »Das war eine sehr zweifelhafte Einschätzung«, kommentiert Lucio Cuenca von der Umweltschutzorganisation OLCA, die die Bürger Totorals im Kampf gegen die Konzerne unterstützt. »Ein Kohlekraftwerk wie Castilla würde die CO2-Emissionen in ganz Chile um 40 Prozent steigern, von den Schäden für die Tier- und Pflanzenwelt ganz zu schweigen.«

»Für die Bürger von Totoral bedeutet die Gerichtsentscheidung, daß das Projekt gestorben ist. Weitere rechtliche Schritte sind daher erstmal nicht geplant«, bestätigt Rechtsanwalt Alvaro Toro, der die Betroffenen vertritt, gegenüber junge Welt. »Wir werden jetzt im Dorf ausgiebig feiern.«

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 30. August 2012


Zurück zur Chile-Seite

Zurück zur Homepage