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Späte Gerechtigkeit

Chiles Justiz will die Mörder Victor Jaras zur Rechenschaft ziehen. Volkssänger wurde bei Militärputsch 1973 erschossen

Von Luka Steffen und Lukas Schmiedekamp, Santiago de Chile *

Im Fall der Ermordung des chilenischen Volkssängers Victor Jara nach dem Putsch vom 11. September 1973 hat der zuständige Ermittlungsrichter Miguel Vásquez in der vergangenen Woche die der Tat verdächtigen Offiziere früheren Untergebenen gegenübergestellt. Vor Journalisten sagte der Jurist, es sei darum gegangen, Unstimmigkeiten in den Aussagen der Beschuldigten und verschiedener Zeugen auszuräumen.

Santiago de Chile, 11. September 1973: Während andere Einheiten den Präsidentenpalast umstellt haben, in dem sich der demokratisch gewählte Präsident Salvador Allende aufhält, dringen bewaffnete Militärs in die Technische Universität der chilenischen Hauptstadt ein und verhaften alle Teilnehmer einer dort gerade stattfindenden antifaschistischen Kundgebung, unter ihnen Victor Jara. 5000 Aktivisten werden in das zum Folterzentrum umfunktionierte Nationalstadion deportiert. Doch drinnen geht der Protest weiter. Von den Rängen ertönt das Wahlkampflied Salvador Allendes: »Venceremos – Wir werden siegen«. Es ist die Stimme Victor Jaras. Die Militärs brechen ihm die Hände, damit er nicht weiter auf seiner Gitarre spielen kann. Doch sein Wille bleibt stark, und seine Stimme ermutigt die Massen. Erst 44 Schüsse der Soldaten bringen den damals 41jährigen Sänger zum Schweigen.

Fast 40 Jahre nach seiner Ermordung verhafteten die chilenischen Behörden Ende vergangenen Jahres sechs der acht angeklagten Folteroffiziere (jW berichtete). Zwei der des Mordes beschuldigten Soldaten sind noch nicht gefaßt, die Staatsanwaltschaft hat in den USA die Auslieferung des hochrangigen Pinochet-Offiziers Pedro Barrientos Núñez beantragt. Dieser hatte sich nach dem Ende der Diktatur 1990 nach Nordamerika abgesetzt, wo er von Journalisten der chilenischen Fernsehsendung »En La Mira« ausfindig gemacht wurde. »Die chilenische Gesellschaft hat das Recht darauf, endlich die Wahrheit über die Verbrechen der Vergangenheit zu erfahren«, sagte dazu der Produzent der Sendereihe, Pedro Azócar, in einem Interview mit der Tageszeitung La Tercera.

»Justicia para Victor Jara« – Gerechtigkeit für Victor Jara – ist der Name einer Kampagne, die seine mittlerweile 86jährige Witwe Joan Jara ins Leben gerufen hat und die Gerechtigkeit für den ermordeten Sozialisten und alle anderen Opfer des Pinochet-Regimes fordert. Mit Protestmärschen, Infoständen und kreativen Aktionen im Herzen Santiagos, aber auch in ganz Chile machen die Aktivisten auf ihr Anliegen aufmerksam.

Der rechten, 1983 unter der Diktatur gegründeten und heute an der Regierung beteiligten Unabhängigen Demokratischen Union (UDI) scheint die Aufklärung der Foltermorde hingegen nicht sonderlich wichtig zu sein. Victor Jara werde zu einer Heldenfigur stilisiert, kritisierte Parteiideologe Kevin Ortega Ponce. Werde ein einzelnes Verbrechen aufgeklärt, schaffe das noch lange keine Gerechtigkeit für alle.

Die Kommunistische Partei Chiles weist solche Argumente zurück. Das Land warte schon viel zu lange auf die Aufklärung der Morde und die Bestrafung der Täter.

* Aus: junge Welt, Montag, 28. Januar 2013


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