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Goldabbau: "Was für ein Geschäft!"

Von Antje Krüger *

Der kanadische Rohstoffkonzern Barrick Gold will in den Anden nach Gold schürfen. Die Bevölkerung schwankt zwischen der Hoffnung auf Arbeitsplätze und der Angst vor Umweltzerstörung.

«In den Tälern des Huasco liegt ein natürlicher Schatz, ein Kristall, transparent, das der Erde Leben gibt. Hört, ihr Grossen des Nordens mit euren gewaltigen Maschinen, wie schon vor 500 Jahren zerstört ihr, was ihr berührt», schallt eine Knabenstimme aus dem Autoradio, begleitet von Panflöte,

Quena und Charango, Instrumenten der Region. Karg zieht die Landschaft dahin, Geröll und Staub, neben dem Weg ein Fluss. Eine Frau treibt Ziegen vor sich her, Weinreben ziehen sich die Hänge hinauf. Am Horizont sieht man die Anden, auf ihren Gipfeln liegt ewiger Schnee. Chiles Norden - hier liegt auch die Atacamawüste - ist ein trockenes Gebiet mit dem Huasco als wichtigem Wasserlieferanten. Die Quelle des Flusses liegt rund 800 Kilometer nördlich von Santiago de Chile hoch oben in den Anden. Doch dort unter den Gletschern Toro I und II und Esperanza auf über 4500 Metern Höhe gibt es noch einen anderen Schatz: Gold. Pascua Lama ist eines der grössten Goldvorkommen der Welt. Hier im chilenisch-argentinischen Grenzgebiet will der kanadische Rohstoffkonzern Barrick Gold Corporation Edelmetalle abbauen (vgl. Kasten «Das Milliardenprojekt»).

Absurder Plan

Das Milliardenprojekt Pascua Lama ist Dauerthema im Huascotal. Es wurde 2006 von den Regierungen beider Länder bewilligt, trotz des ewigen Eises und diverser kritischer Umweltgutachten. Allerdings mit der Auflage, dass die Gletscher nicht zerstört werden dürfen. Wie das geschehen soll, bleibt offen.

Noch verhindern verschiedene juris-tische Streitigkeiten den Start für den Goldabbau. Angesichts der Grösse des Projektes und der Macht von Konzern und Regierungen schwanken die AnwohnerInnen zwischen Resignation und Hoffnung, Ohmacht und Optimismus. Denn die Angst vor der möglichen Zerstörung ihrer Umwelt geht Hand in Hand mit der Hoffnung auf dauerhafte Arbeitsplätze und Entwicklung. «Ich will deine metallenen Versprechen nicht ertragen müssen, will meine Zukunft, meine Träume nicht verkaufen. Wasser verhökert man nicht, Gold kann man nicht essen. Pascua Lama, No!», beendet der Junge im Autoradio sein Lied.

«Es gibt keine Mine, nicht eine, die die Umwelt nicht verschmutzt. Wer was anderes sagt, lügt!», sagt Nelson*, ein Bergarbeiter. Im Dämmerlicht seines kleinen Hauses scheint der Satz in der Luft hängen zu bleiben. Hinter dem Haus rauscht der Huasco. «Es macht mich irre, wenn Leute öffentlich reden, die keine Ahnung haben. Da hat neulich einer auf einer Versammlung behauptet, die würden die Umwelt gar nicht verschmutzen. Der hat doch noch nie eine Mine von innen gesehen!», schimpft er.

Ein Grossteil der BewohnerInnen des Huascotals, das für seine süssen Weintrauben berühmt ist, ist gegen Pascua Lama. Sie befürchten unkalkulierbare Umweltschäden. Nelson, wie viele Nordchilenen auf die Arbeit in hoch gelegenen Minen spezialisiert, weiss, wovon er spricht. «Wenn die da oben die Steine sprengen, wird Arsen freigesetzt, das der Wind durch das ganze Tal trägt. Und ein Milligramm des für die Goldwäsche verwendeten Zyanids reicht, um zehn Menschen zu töten. Und hier werden täglich neunzig Lastwagen vorbeifahren, mit diesen und anderen gefährlichen Chemikalien beladen - direkt durch die Dörfer, zwischen den Häusern hindurch.» Dazu kommt laut Nelson ein weiteres Problem: «Der Huasco hat eine grosse Fliessgeschwindigkeit. Wenn es in den Bergen gewittert, kommt der Schlamm vier Stunden später hier vorbei. Wenn da oben was passiert, haben wir hier keine Chance.» Der Bergarbeiter gibt ein Beispiel: «Ich habe einst in einer Goldmine gearbeitet, da gab es ein Becken, das mit einer kris-tallinen, zyanidhaltigen Flüssigkeit -gefüllt war. Sah aus wie Wasser, aber die Vögel, die das tranken, starben auf der Stelle», sagt Nelson.

Barrick Gold dagegen betont andere Fakten. Carolina, eine Angestellte, reicht Informationsmaterial über den Tisch, bunt bedruckte Blätter, wie sie auch im Bürgermeisteramt und der Bibliothek ausliegen. «Für den Bau der Mine werden wir 5500 Leute einstellen. Später arbeiten dann dort rund 1600 Menschen. Damit werden wir einer der grössten Arbeitgeber der Region.» Laut der jungen Frau bringt Barrick neben Arbeitsplätzen auch sozialen und ökonomischen Fortschritt. «Wir haben eine Strasse durch das Tal gebaut, Computer installiert und ans Internet angeschlossen sowie Krankenwagen gekauft. Wir bieten in allen Dörfern Unterstützung an und vergeben Stipendien. Und wir arbeiten eng mit den chilenischen und argentinischen Umweltbehörden zusammen. Das ist die Grundlage der Politik unserer Firma», sagt die junge Frau.

Die Präsenz von Barrick Gold ist überall im Tal zu spüren. Die Firma gibt sich offen und ist sehr um Verständnis für ihr Projekt bemüht. In persönlichen Gesprächen mit den TalbewohnerInnen will sie über Pascua Lama aufklären.

Handgemalte Schilder an Häusern und Felsen jedoch bezichtigen den Konzern der Lügen und der Skrupellosigkeit. Auffällig viele neue und teure Autos wirken wie Fremdkörper in der ärmlichen Kargheit der Umgebung. Den Jeeps mit Allradantrieb der Ingenieure und anderen MitarbeiterInnen des kanadischen Unternehmens wird mit Misstrauen hinterhergesehen. «Barrick gibt und gibt. Mal sehen, wer sich zuletzt verweigert. Inzwischen marschieren sogar die Schulkinder mit Basketballkappen mit dem Firmenlogo auf», sagt Padre Enrique, der Pfarrer des Tales. «Klar ist die Mine die Rettung für die nächsten zwanzig Jahre. Sie bringt Arbeit. Aber meine Frage ist: Was kommt danach?»

Die Kirche sagt Nein

Die Kirche im Huascotal bezieht eine klare Position. Den Kirchturm im Dorf Alto del Carmen ziert ein Wandgemälde, grüne, frohe Farben für das heutige Tal, grau und schwarz für die Zukunft. Bagger zerreissen darauf die Erde, Särge schwimmen im Fluss. Das Lokalradio Profeta sendet Beiträge über Pascua Lama und bringt Lieder wie das des Jungen im Autoradio. «Wasser ist mehr wert als Gold», steht auf dem Rückfenster von Padre Enriques Jeep. Doch auch er wird Pascua Lama nicht verhindern können: «Um ehrlich zu sein: Man ist ohnmächtig gegen die Maschinerie dieser Multis. Aber ich glaube, dass zum Schluss die Gerechtigkeit triumphiert. Und die Wahrheit.» Die Wahrheit. Sie ist schwer zu finden im Huascotal, im Gegeneinander der Meinungen, der Fakten, der Ansichten. «Es gibt so viele Widersprüche. Hätten wir die Mittel, diese aufzudecken, könnte Barrick einpacken», sagt Luis Faura, ein Gemeinderatsmitglied und bekennender Gegner von Pascua Lama. Er schiebt Tee, Brot und Butter beiseite und breitet eine Landkarte aus. Mit dem Finger fährt er beim Erzählen über Berge, Grenzen, Gletscher und Flüsse. Hin und wieder reicht er Dokumente hinüber - Beweismaterial, mit Akribie gesammelt. «Pascua Lama ist nur der Anfang. Ist dieses Projekt erfolgreich, hat Barrick freie Bahn im Grenzgebiet. Was für ein Geschäft! Die zahlen noch nicht einmal Gewinnsteuer, ein Erbe von Pinochet. Mit Rücksicht braucht man da nicht zu rechnen. Hier gehts ums Geld und nichts anderes», sagt er verbittert.

70 000 Personen betroffen

Mit der Absegnung der geplanten Goldmine durch die chilenische und argentinische Regierung wurde auch der Startschuss für das Projekt «Distrito Frontera», die Erschliessung des Grenzgebietes, gegeben. Schon existieren oben in den Bergen mehrere Tunnel nach Argentinien, eine Strasse quer über einen Gletscher und ein Flugplatz. «Wer kontrolliert das dann?», fragt Gemeinderatsmitglied Luis Faura. «Die haben ja jetzt schon völlig freie Hand. Dort entsteht ein Land Barrick», sagt er. Faura erzählt von Enteignungen, die nicht hätten stattfinden dürfen, oder von vorzeitigen Entlassungen trotz unbefris-teter Arbeitsverträge durch Barrick. Und vor allem geht es laut Fauro auch um den Kampf um das Trinkwasser, ein Kampf, der bereits heute mit ungleich langen Spiessen geführt würde.

Barrick verpflichtete sich, während der Laufzeit der Mine jährlich drei Millionen US-Dollar für die Infrastruktur der Wasserversorgung zu bezahlen. Die einen sehen darin eine Investition. Für die anderen ist es nichts anderes als Augenwischerei, denn sie glauben nicht daran, dass die Mine, die pro Sekunde 370 Liter Wasser benötigt, die Versorgung im Tal sicherstellen kann.

Und schliesslich gab es auch noch diese «Unregelmässigkeit» bei der Bürgermeisterwahl Anfang 2006, als erst -die Kandidatin gewann, die gegen Barrick war, kurz darauf wegen «Wahlfehler» jedoch die Befürworterin von Pascua Lama den Posten bekam.

Mittlerweile hat sich die Nacht über Nelsons Haus gesenkt. Eine winzige Glühbirne flackert im Raum. Seit je hat Nelson im Bergbau gearbeitet. Jetzt hat er Angst, von Barrick abberufen zu werden wie seine Kumpel, um hier weiterzumachen, hoch über den Köpfen seiner Familie, seines Tales.

Gut 70 000 TalbewohnerInnen werden direkt oder indirekt von der Mine betroffen sein. Sei es, weil sie dort arbeiten oder weil das Wasser für den Weinanbau knapp werden wird. Sei es, weil Hotels voller kanadischer Gäste entstehen werden oder das ganze Leben im Tal ausssterben könnte. «Ich habe nie nachgefragt, wie es in solchen Minen ist. Nelson kam mit dem Geld nach Hause, mehr war nicht wichtig. Aber jetzt, wo unser Tal betroffen ist, frag ich mich, wie ich so blind sein konnte», sagt Nelson Ehefrau Silvia. Was sollen sie beide in zwanzig Jahren tun, wenn die Auswirkungen der Mine zu spüren sein werden? Nelson und Silvia schauen sich an, dann schauen sie weg. Eine Antwort haben sie nicht.

** Name der Redaktion bekannt.

Das Milliardenprojekt

Die Goldvorkommen Pascua Lama unter den Andengletschern wurden bereits in den siebziger Jahren entdeckt, doch verhinderte ihre Lage an der Grenze von Chile und Argentinien bis vor kurzem ihren Abbau. Erst ein im Jahr 2001 ratifizierter Bergbauvertrag zwischen beiden Ländern ermöglicht nun die Förderung des Goldes. Rund zwei Drittel des gelben Metalls liegen in Chile, der Rest in Argentinien. Pascua Lama ist das erste binationale Bergbauprojekt weltweit. Etwa 2,4 Milliarden US-Dollar will der kanadische Rohstoffkonzern Barrick Gold Corporation in Pascua Lama inves-tieren und während mehr als zwanzig Jahren schätzungsweise siebzehn Millionen Unzen Gold und 630 Millionen Unzen Silber und Kupfer im Tagebau abbauen. Im September dieses Jahres will das Unternehmen mit dem Bau, 2010 mit der Förderung beginnen.

Die Barrick Gold Corporation zählt zu den grössten Goldminenbetreibern der Welt. Erstmalig legte sie ihr Projekt im Jahr 2000 den Behörden vor. Dabei wurden in Chile die Gletscher über der geplanten Mine verschwiegen. Bäuer-Innen der Umgebung machten auf deren Existenz aufmerksam. Die Barrick Gold Corporation stellte dar-aufhin eine Technologie vor, mit der sie glaubt, das Eis mit riesigen Bohrmaschinen und Baggern loslösen und an einem neuen Standort wieder aufbauen zu können. Noch ist nicht entschieden, wie und wann Barrick das Gold ab-bauen kann.



* Aus: Wochenzeitung WOZ (Schweiz), 21. Juni 2007


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