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Ein eiskaltes Geschäft

Goldabbau in Chiles Andenregion stößt auf lokalen Widerstand, weil die Menschen eine Zerstörung der Gletscher befürchten

Von Antje Krüger *

In einer der abgelegensten Regionen Chiles will die kanadische Barrick Gold Corporation Edelmetalle unter Gletschern bergen. Die Mine Pascua Lama erhitzt die Gemüter in den südamerikanischen Anden.

»In den Tälern des Huasco liegt ein natürlicher Schatz, ein Kristall, transparent, das der Erde Leben gibt. Hört, ihr Großen des Nordens mit euren gewaltigen Maschinen, wie schon vor fünfhundert Jahren zerstört ihr, was ihr berührt«, schallt eine Knabenstimme aus dem Autoradio, begleitet mit Panflöte, Quena und Charango, Instrumenten der Zone. Karg zieht die Landschaft dahin, Geröll und Staub, neben dem Weg ein grüner Fluss. Eine Frau treibt Ziegen nebenher, Weinreben sind fein säuberlich gespannt. Am Horizont wuchten sich Berge auf – die Anden. Auf den Gipfeln ewiger Schnee. Chiles Norden, seine III. Region, ist trocken, nur vereinzelt durchquert von Tälern, dem Lebensquell der Atacamawüste.

Gold unter dem ewigen Schnee

Unter der Quelle des Huasco-Tals gut 800 Kilometer nördlich von Santiago de Chile, unter den Gletschern Toro I und II und Esperanza auf über 4500 Metern Höhe, liegen jedoch noch andere Schätze – Gold, eines der größten Vorkommen der Welt. Hier will die kanadische Barrick Gold Corporation schürfen, gut 1,5 Milliarden US-Dollar sollen für die Mine Pascua Lama investiert werden. Mit Hingabe singt noch immer der Junge: »Ich will deine metallenen Versprechen nicht ertragen müssen, will meine Zukunft, meine Träume nicht verkaufen. Wasser verhökert man nicht, Gold kann man nicht essen. Pascua Lama, No!«

Pascua Lama ist Thema im Huasco-Tal, immer und überall. Niemand kann sich dem entziehen, kein Einheimischer und kein Fremder. Und wer dafür ist, gehört zur Opposition. Denn alle anderen sind dagegen. Die Barrick Gold Corporation, im Tal kurz die Barrick genannt, erregte Aufsehen mit ihrem Projekt. Um an das Gold zu kommen, wollte der Konzern, einer der führenden Goldförderer der Welt, Gletscher versetzen. Nach massivem Protest und mehreren Umweltgutachten ist dieses Vorhaben gescheitert, die Mine selbst jedoch bewilligt. In diesem Jahr soll mit dem Bau, 2010 mit der Förderung begonnen werden. Wie die Edelmetalle jedoch geborgen werden sollen, ohne die Gletscher zu beschädigen, bleibt offen. Gut 70 000 Anwohner sind im Huasco-Tal direkt oder indirekt von der Mine betroffen. Sei es durch einen Arbeitsplatz oder durch Lkw, die unterm Fenster eines ehemals ruhigen Haus vorbeifahren. Sei es, weil ein Hotel plötzlich Gäste hat oder das Wasser für den Weinanbau knapp wird, da sie es in der Mine nutzen. »Es gibt hier so viele Unregelmäßigkeiten. Hätten wir die Mittel, die zu verfolgen, könnte die Barrick einpacken«, sagt Luis Faura, Lucho genannt und Gemeinderatsmitglied des Huasco-Tals sowie bekennender Gegner von Pascua Lama. Er schiebt Tee, Brot und Butter beiseite, breitet eine Landkarte aus und fährt mit dem Finger über Berge, Grenzen, Gletscher und Flüsse. »Pascua Lama ist doch nur der Anfang. Ist dieses Projekt erfolgreich, hat die Barrick freie Bahn im Grenzgebiet. Was für ein Geschäft!« ruft Lucho aus.

Gut zwei Drittel der Bodenschätze liegen in Chile, der Rest in Argentinien, beide Länder haben dem Projekt inzwischen zugestimmt. Ein 2001 ratifizierter Bergbauvertrag ermöglicht den Abbau im Grenzgebiet. Die Mine ist somit das erste binationale Projekt dieser Art weltweit. In 20 Jahren sollen gut 17,6 Millionen Unzen Edelmetalle aus dem Berg geholt werden. »Die zahlen nicht einmal Gewinnsteuer, ein altes Gesetz von Pinochet. Mit Rücksicht braucht man da nicht zu rechnen. Hier geht's ums Geld und nichts anderes«, sagt Lucho verbittert. Ende Januar, als er mit anderen Bewohnern des Huasco-Tals die Zufahrtsstraße zur Mine blockierte, damit Lkw und schweres Gerät nicht in die unberührte Natur der Berge vordringen können, kamen die Carabineros, die chilenische Polizei, und trieben mit Schlagstöcken die Menge auseinander. Lucho war unter den Verhafteten.

Ein Milligramm Zyanid ist tödlich

Lucho fürchtet wie die meisten Bewohner des Tales, berühmt für seine süßen Weintrauben und den erstklassigen Weinbrand Pisco, unkalkulierbare Umweltschäden. »Es gibt keine Mine, nicht eine einzige, die die Umwelt nicht verschmutzt. Wer was anderes sagt, lügt«, sagt Nelsón und verschränkt die Arme vor der Brust.

Wie so viele Nordchilenen ist auch er Bergarbeiter, spezialisiert auf die Höhe der Anden. Nelsón weiß, was auf sein Tal zukommt. »Wenn die da oben die Steine sprengen, wird Arsen freigesetzt, das der Wind durch das ganze Tal trägt. Ich habe in einer Goldmine gearbeitet, da war ein Becken mit einer kristallinen Flüssigkeit. Sah aus wie Wasser, aber die Vögel, die das tranken, starben auf der Stelle. Nur ein Milligramm Zyanid ist tödlich für zehn Menschen, und hier werden täglich 90 Lkw mit diesen und anderen Chemikalien zur Goldwäsche vorbeifahren. Außerdem hat unser Fluss eine große Fließgeschwindigkeit. Wenn da oben was passiert, haben wir hier keine Chance«, erklärt er. Die Angst vor einer möglichen Zerstörung der Gegend geht Hand in Hand mit der Sehnsucht nach Arbeitsplätzen und Entwicklung in einer der abgelegensten Regionen Chiles. Denn der Konzern selbst legt andere Fakten auf den Tisch. »Für den Bau der Mine werden wir 5500 Leute einstellen. Später arbeiten dann dort um die 1660 Menschen. Damit werden wir einer der größten Arbeitgeber der Zone. Wir integrieren den sozialen und ökonomischen Fortschritt in unsere Arbeit. Wir haben eine Straße durch das Tal gebaut, Computer installiert und ans Internet angeschlossen sowie Krankenwagen gekauft. Wir bieten in allen Dörfern Unterstützung an und vergeben Stipendien. Das ist die Grundlage der Politik der Firma«, sagt Carolina im Büro der Barrick und dreht sich zu einem gigantischen Poster hinter ihr um. Eine Frau bückt sich zu einem munteren Bach. »Barrick Gold Corporation – verantwortungsvoller Bergbau«, künden die Lettern.

Die Präsenz des Konzerns ist überall im Tal zu spüren, der Konflikt um Pascua Lama ebenso. Die Firma selbst zeigt sich offen und ist um Verständnis für ihr Projekt bemüht, während handgemalte Schilder an Häuserwänden und Felsen die Barrick der Lügen und der Skrupellosigkeit bezichtigen. Auffällig viele neue und teure Autos wirken wie Fremdkörper in der ärmlichen Kargheit der Umgebung. Den Jeeps mit Allradantrieb, den grünen Helmen der Arbeiter wird mit Misstrauen hinterher gesehen. »Die Barrick gibt und gibt, mal sehen, wer sich verweigert. Inzwischen marschieren sogar die Schulkinder mit Barrick-Basecaps auf. Wenn sie überall mit drin ist, macht sie schwupp ...«, Padre Enrique, der Pfarrer des Tales, schließt die Hand in der Luft und lauscht seinen Worten hinterher. Dann fügt er hinzu: »Klar ist die Mine die Rettung die nächsten 20 Jahre. Sie bringt Arbeit. Aber meine Frage ist, was kommt danach?«

Koalition der Unwilligen von unten

Die katholische Kirche im Huasco-Tal bezieht Position. Den Kirchturm im Dorf Alto del Carmen ziert ein Wandgemälde, grüne, frohe Farben für das heutige Tal, grau und schwarz für die Zukunft. Bagger zerreißen die Erde, Särge schwimmen im Fluss. Neben der Glocke sendet das Radio Profeta Beiträge über Pascua Lama. »Man muss das Paradies schützen, das Gott uns gegeben hat. Die Bibel spricht viel vom Wasser, darauf beziehen wir uns«, sagt Schwester Bonifacia mit leiser Stimme. Die deutsche Nonne gehört wie der Padre zur Pastoral »Salvaguarda de la Creación« (Schutz der Schöpfung), die sich für den Stopp der Mine einsetzt. Sie arbeiten eng mit Lucho zusammen, der die Feinheiten der Geschäfte hinter den Kulissen kennt: Enteignungen, die nicht hätten stattfinden dürfen, Entlassungen trotz unbefristeter Verträge. Die ungleiche Beteiligung der Bürger – je nach Geldbeutel – am schon heute geführten Kampf um das Wasser. Die Nutzung von Land, das eigentlich den Diaguita-Indianern gehört ... Die Liste ist lang, verbunden mit Namen und Gesichtern. Mit Pascua Lama ist der Startschuss für das Projekt »Distrito Frontera«, die Erschließung des Grenzbereiches und seiner schon in den 70er Jahren entdeckten Bodenschätze, gegeben. »Und wer kontrolliert das dann?«, fragt Lucho und fährt fort: »Die haben ja jetzt schon völlig freie Hand. Dort entsteht ein Land Barrick.«

* Aus: Neues Deutschland, 23. Mai 2007


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