Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Lücke geschlossen

Die DDR und Chile: Eine Geschichte der bilateralen Beziehungen

Von Ulrich van der Heyden *

Seit 1990 entstanden nicht wenige Fallstudien über chilenische politische Flüchtlinge, die nach dem Militärputsch von General Pinochet 1973 in der DDR Asyl fanden. Auch einige Erinnerungsberichte sind erschienen. Die gesamte Geschichte der Beziehungen zwischen dem ostdeutschen Staat und Chile war bislang allerdings noch nicht beschrieben. Diese Lücke schließt Inga Emmerlings Buch »Die DDR und Chile. Außenpolitik, Außenhandel und Solidarität (1960–1989)« weitgehend. Es handelt das Verhältnis der DDR zu dem südamerikanischen Land, das seit Jahrhunderten durch deutsche Einwanderer besondere Beziehungen mit der hiesigen Bevölkerung besaß, recht allumfassend ab. Das spannende und überaus kenntnisreich geschriebene Buch beginnt nicht erst mit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen den beiden Staaten, schon zuvor gab es vornehmlich wirtschaftliche Kontakte, auf die Inga Emmerling ausführlich in sechs systematisch aufgebauten Kapiteln eingeht. Im Mittelpunkt steht hier das »Kupferprojekt«, aber auch die Ausbildung von Chilenen in der DDR im Rahmen der wissenschaftlich-technischen Zusammenarbeit. Ob das Beispiel Kupfer mit moralischer Entrüstung bedacht werden muß, ist diskussionswürdig. Ohne eine halbwegs funktionierende Wirtschaft hätte es keine DDR gegeben, die als Partner und Asylland dann zur Verfügung gestanden hätte.

Die Autorin widmet der »Kaderausbildung« von Chilenen in der DDR in ihrer für den Druck überarbeiteten Dissertation besondere Aufmerksamkeit. Sie konstatiert richtig: »Da die DDR über ein hochentwickeltes Bildungssystem verfügte, waren eine Lehre oder ein Studium in der DDR für Personen aus Ländern der Dritten Welt erstrebenswert, auch wenn dazu die politische Ausrichtung in Kauf genommen werden mußte.« Ob dazu die Ausbildung an Parteihochschulen gezählt werden sollte, ist zu bezweifeln, wird jedenfalls den Intentionen nicht gerecht.

Es fällt auf, daß die Verfasserin den besonderen Beziehungen der SED zu den verschiedenen linken Parteien der Unidad Popular keinen besonderen Platz einräumt. Dabei wäre interessant gewesen, worin etwa, falls vorhanden, die Unterschiede im Umgang mit Sozialisten, Kommunisten und ähnlichen Parteien bzw. politischen Gruppierungen in Chile bestanden.

Breiten Raum nehmen die Ausführungen über die chilenischen Emigranten in der DDR ein, besonders über die Unterstützung der Flüchtlinge bei der – nicht immer erfolgreichen – Integration in die DDR-Gesellschaft. Auch die Rolle des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) bei der Aufnahme und Beobachtung von chilenischen politischen Flüchtlingen wird beleuchtet. Streng gestützt auf die Auswertung der überlieferten Archivalien, wird auf die ansonsten übliche plumpe Verurteilung der Sicherheitsbehörden verzichtet. Die Autorin legt vielmehr dar, daß die Aktivitäten des MfS sich auch gegen westliche Geheimdienste und vor allem gegen den chilenischen Geheimdienst DINA richteten. Denn zumindest die politischen Führungspersönlichkeiten des Exils befanden sich in Lebensgefahr. Pinochet hatte mit seinem blutigen Militärputsch bewiesen, wie er mit politischen Gegnern umging. Diese Feststellung bedeutet nicht, daß das MfS auch bei den Exilanten das Ohr offen hatte.

Hervorzuheben ist, daß es der Autorin gelingt, die Rolle der Ideologie in der Politik der DDR richtig zu bestimmen. In einschlägigen Publikationen wird die damalige Situation häufig von heutigen Standards aus bewertet. Die Ideologie, zu der auch Solidarität gehört, hatte im kleineren deutschen Staat Wirkungsmacht.

Beeindruckend ist die breite Literaturauswertung, vor allem die von Akten in deutschen und chilenischen Archiven. Auch eine Reihe von Zeitzeugen stand der Verfasserin für Auskünfte zur Verfügung. Resultat ist ein wichtiges, für die Forschungen zur Außenpolitik der DDR richtungweisendes Buch, das jedem an der Thematik Interessierten empfohlen sei.

Inga Emmerling: Die DDR und Chile - Außenpolitik, Außenhandel und Solidarität (1960–1989). Ch. Links Verlag, Berlin 2012, 523 Seiten, 49,90 Euro

* Aus: junge Welt, Montag, 25. Februar 2013


Zurück zur Chile-Seite

Zur Seite "Deutsche Außenpolitik"

Zurück zur Homepage