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Schüsse statt Boden

Nach dem Tod eines jungen Mapuche durch Polizeischüsse gerät Chiles Präsidentin Michelle Bachelet unter Druck

Von Daniela Estrada (IPS) *

Der langjährige Landkonflikt in der südchilenischen Dschungelregion Araukanien hat gleich zu Beginn des neuen Jahres ein Menschenleben gefordert. Mit dem Tod des 22jährigen Mapuche-Ureinwohners Matías Catrileo Quezada wächst der Druck auf die Regierung. Catrileo Quezada war während eines Zusammenstoßes mit der Polizei erschossen worden. Er gehörte zu einer Gruppe von Ureinwohnern, die sich am 3. Januar in der Ortschaft Vilcún gewaltsam Zugang zu einem Latifundium verschafft und mehrere Heuballen in Brand gesetzt hatten. Auf das Land und andere Grundstücke, die sich im Besitz von Bauern, Landwirtschafts- und Forstunternehmen befinden, erheben die Mapuche seit mehr als einem Jahrhundert Anspruch.

Um mögliche Manipulationen von seiten der Sicherheitskräfte zu verhindern, hatten die Ureinwohner den Leichnam Catrileo Quezadas zunächst versteckt, um ihn dann der katholischen Kirche zu übergeben. Wenig später berichtete der Rundfunksender Cooperativa, der Bischof von Villarrica, Sixto Partinger, und der regionale Menschenrechtsbeauftragte José Martínez hätten nach Sichtung des Leichnams die Schußverletzungen bestätigt.

Der Tod des indigenen Studenten, der zweite seit dem Mord an dem 19jährigen Mapuche Alex Lemún durch die Militärpolizei im Jahre 2003, veranlaßte die beiden Senatoren Alejandro Navarro und Nelson Ávila die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) um Intervention im Mapuche-Konflikt im Süden Chiles zu bitten. Auch nach Ansicht von José Aylwin von der Beobachtungsstelle für Menschenrechte der Indigenen Völker ist der Tod des Studenten »eine Folge der Komplizenschaft zwischen Regierung und Militärpolizei«.

Alwyn zufolge ist die Gewalt im Landkonflikt eine historische Konsequenz der Landpolitik, die im 19. Jahrhundert zur Vertreibung der Mapuche von ihren Territorien führte. Es sei Sache des Staates, die Gewaltspirale durch politische Lösungen zu stoppen.

Nicht nur der Tod von Catrileo Quezada, sondern auch der Hungerstreik von fünf indigenen Gefangenen bringt die Mitte-Links-Regierung von Staatspräsidentin Michelle Bachelet in Zugzwang. Die Regierung müsse endlich ihr »Schweigen« im Zusammenhang mit dem seit fast drei Monaten währenden Hungerstreik brechen, fordern Organisationen wie Amnesty International, die Beobachtungsstelle für Menschenrechte der Indigenen Völker, die chilenische Vereinigung der Nichtregierungsorganisationen (Acción) und der prominente ehemalige Richter Juan Guzmán Tapia, der dem inzwischen verstorbenen faschistischen Exdiktator Augusto Pinochet den Prozeß gemacht hatte.

Die Hungerstreikenden Patricia Troncoso, José Huenchunao, Jaime Marileo, Héctor Llaitul und José Millalén Handeln waren 2001 wegen Brandstiftung mit terroristischem Hintergrund zu Freiheitsentzug von bis zu zehn Jahren auf der Grundlage eines nur unmerklich modifizierten Antiterrorgesetzes aus der Zeit der Pinochet-Diktatur (1973-1990) verurteilt worden. Mit ihrem Hungerstreik fordern die Gefangenen die unverzügliche Freilassung aller rund 20 inhaftierten Mapuche, die Entmilitarisierung der Region Araukanien und ein »Ende der Repression gegenüber den Gemeinden, die für ihre politischen und territorialen Rechte eintreten«. Den Vorwurf, im Dezember 2001 einen 100 Hektar großen Pinienwald der Firma Forestal Mininco in der 670 Kilometer von Santiago gelegenen Ortschaft Ercilla niedergebrannt zu haben, haben sie stets zurückgewiesen.

* Aus: junge Welt, 7. Januar 2008


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