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Bachelet strebt in Chile Comeback an

Ex-Präsidentin ist aussichtsreiche Kandidatin bei den Vorabstimmungen zu den Präsidentschaftswahlen

Von Jürgen Vogt, Buenos Aires *

Bei den Vorwahlen in Chile werden dieses Wochenende die Kandidaten der Präsidentenwahl im kommenden November bestimmt. Gute Aussichten hat Chiles frühere Präsidentin Michelle Bachelet. Für die Wahlen wurden 28 besetzte Schulen, die als Wahllokale vorgesehen sind, am Donnerstag von der Polizei geräumt.

Chiles frühere Präsidentin Michelle Bachelet versucht ihr Comeback. Am Sonntag stellt sich die 61 Jahre alte Sozialistin erstmals seit dem Ende ihrer Amtszeit 2010 wieder zur Wahl. Als eine von vier Aspiranten des oppositionellen Mitte-Links-Bündnisses »Neue Mehrheit«, das an die Stelle des bisherigen Wahlbündnisses Concertación tritt, stellt sie sich den Vorwahlen für die Präsidentschaftswahl am 17. November.

Bachelet hatte schon im März ihre Bereitschaft zur Wiederwahl angekündigt, nachdem sie das Amt als Leiterin der Frauenorganisation der Vereinten Nationen in New York abgeben hatte und nach Chile zurückgekehrt war. Ihr Motto: mehr soziale Gerechtigkeit. »Die soziale Ungleichheit ist der Grund für die Empörung in Chile und diese Wut ist gerechtfertigt«, sagte sie im Hinblick auf die seit über zwei Jahren stattfindenden Proteste der Schüler und Studenten, die in der Gesellschaft auf breite Akzeptanz stoßen.

Die Anhänger der rechten Regierungsallianz von Staatspräsident Sebastián Piñera entscheiden sich zwischen Andrés Allamand, dem ehemaligen Verteidigungsminister sowie dem ehemaligen Wirtschaftsminister, Pablo Longueira. Nach den letzten Umfragen gelten Michelle Bachelet und Andrés Allamand als Favoriten ihres jeweiligen politischen Lagers.

Die siegreichen Kandidaten treten im November gemeinsam mit vier Kandidaten von kleineren Parteien bei der Präsidentschaftswahl an. Der amtierende Staatspräsident Sebastián Piñera kann gemäß der Verfassung nicht unmittelbar zu einer Wiederwahl antreten. Zu den erstmals stattfindenden Vorwahlen sind rund 13,3 Millionen Wahlberechtigte aufgerufen.

Sollte sich Michelle Bachelet als Kandidatin für die Präsidentschaftswahl im November durchsetzen, hat sie gute Aussichten auf den Wahlsieg. Bachelet war von 2006 bis 2010 die erste Frau im Präsidentenamt und beendete ihre Amtszeit mit außerordentlich hohen Sympathiewerten bei der Bevölkerung. Würde die chilenische Verfassung eine direkte Wiederwahl zulassen, hätte sie wohl vor vier Jahren erneut gewonnen.

Ihrem Nachfolger Piñera kamen die Bilder der Gewalt bei den Schüler- und Studierendenprotesten am Mittwoch gerade recht. Noch bevor die eigentlichen Demonstrationszüge gegen Mittwochmittag losgingen, brannten um sieben Uhr morgens an rund zehn Straßenkreuzungen im Großraum von Santiago bereits Barrikaden. Vermummte lieferten sich Auseinandersetzungen mit der Polizei.

Während dann der eigentliche Marsch von über 100 000 Schülern und Schülerinnen sowie Studierenden friedlich durch die Straßen der Hauptstadt Santiago zog, kam es in der Nacht zu Donnerstag erneut zu Ausschreitungen. Das diente dem Präsidenten nicht nur dazu, die Verschärfung der Polizeikontrollen anzukündigen, sondern auch die Räumung besetzter Schulgebäude anzuordnen. Am frühen Donnerstagmorgen räumten dann Spezialeinheiten der Polizei die 28 besetzten Schulgebäude. Dabei wurden 151 vorwiegend junge Menschen vorübergehend festgenommen.

Die Schulbesetzungen waren Teil der seit mehr als zwei Jahren andauernden Proteste von Schülern und Studenten. Innenminister Andrés Chadwick hatte die Räumung angeordnet, da die Gebäude bei den am Sonntag stattfindenden Vorwahlen der Kandidaten für die Präsidentschaftswahl im November als Wahllokale vorgesehen sind. Eine Sprecherin der Schüler kündigte die Wiederbesetzung der Schulen für Anfang kommender Woche an.

Von den 28 geräumten Gebäuden befinden sich 21 im Großraum der Hauptstadt Santiago. Nach Angaben von Innenminister Chadwick haben die Schüler in 24 Schulen die Gebäude freiwillig verlassen. Der Mehrzahl der Gebäude war bereits seit Monaten besetzt. In einigen Schulen beschlossen die Schüler jedoch erst kurz zuvor die Besetzung ihres Schulgebäudes aus Solidarität angesichts der von der Regierung angekündigten Räumungen. Die Regierung hatte wiederholt den Vorschlag der Schüler abgelehnt, andere Schulgebäude als Wahllokale zu nutzen.

Schüler und Studenten fordern in Chile seit langem eine umfassende Reform des Bildungssystems. Immer wieder kommt es zu Massenprotesten in vielen Städten. Unter anderem verlangen die Demonstranten kostenlose Schulen und Universitäten. Staatspräsident Sebastián Piñera hat dies wiederholt abgelehnt. Kinder von bedürftigen Eltern sollen aber eine stärkere finanzielle Unterstützung erhalten.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 29. Juni 2013


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