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Burkina Fasos Präsident beugt sich Massenprotest

Blaise Compaoré legte sein Amt nieder / Wahlen angekündigt

Fast genau 27 Jahre nach seinem Putsch ist Burkina Fasos Präsident Blaise Compaoré zurückgetreten – unter dem Druck von Zehntausenden Demonstranten und der Armeeführung, die sich am Freitag auf die Seite der Protestbewegung stellte. »Die Macht gehört jetzt dem Volk«, erklärte Armeechef Honoré Traoré unter dem Jubel der Menge auf dem Platz der Nationen in der Hauptstadt Ouagadougou.

Kurz darauf ernannte sich der Armeechef selbst zum Präsidenten. Viele Demonstranten hatten dies gefordert, weil sie der als korrupt verrufenen politischen Klasse nicht trauen. In einer Erklärung, die im Staatsfernsehen verlesen wurde, sind Neuwahlen binnen 90 Tagen angekündigt. Compaoré selbst hatte Traoré am Donnerstag zum Chef einer Übergangsregierung ernannt.

Prominente Oppositionspolitiker traten am Freitag gemeinsam öffentlich mit Traoré auf – ein Zeichen, dass sie einem von ihm geführten Übergang womöglich zustimmen würden. Einer von ihnen, Roch Marc Kaboré, hatte am Morgen erklärt, über die Art der Übergangsregierung bis zu Neuwahlen müssten Politik und Gesellschaft gemeinsam nach Compaorés Rücktritt entscheiden.

Wo Compaoré sich nach der Erklärung aufhielt, war zunächst unklar. Berichte, dass er sich nach Ghana absetzen wollte, blieben unbestätigt. Seit Wochen hatten sich Tausende gegen den Plan Compaorés gewandt, seine Amtszeit über 2015 hinaus zu verlängern. Doch als das Parlament am Donnerstag über das Gesetz diskutierte, eskalierten die Proteste. Als das Parlament in Flammen stand, wurde wohl auch Compaoré klar, dass er sich verkalkuliert hatte.

nd, Samstag, 1. November 2014


Compaoré beugte sich der Revolte

Die Bevölkerung von Burkina Faso zwang Präsidenten zum Rücktritt

Von Stefan Lombé, Ouagadougou *


Der Präsident des westafrikanischen Staats Burkina Faso, Blaise Compaoré, ist zurückgetreten. Der 63-Jährige musste nach 27 Jahren im Amt Massenprotesten weichen.

»Es lebe das Volk! Es lebe Burkina Faso!« Der Jubel der Massen auf der Place de la Nation in der burkinischen Hauptstadt Ouagadougou kennt kaum Grenzen. Menschen jubeln, trillern auf Pfeifen, skandieren »Sieg, Sieg, Sieg!«, lassen ihrer Freude nach zwei aufreibenden Tagen des Umsturzes freien Lauf.

Es ist kurz nach 14 Uhr Ortszeit, als das zur Sicherheit wird, was gut eine Stunde schon als Gerücht die Runde macht: Blaise Compaoré, seit 27 Jahren Präsident von Burkina Faso, hat seinen Rücktritt erklärt. Mit Verweis auf Artikel 43 der Verfassung legte er die Ämter nieder. Dieser Artikel besagt auch, dass innerhalb der nächsten 90 Tage Neuwahlen stattfinden müssen. An die Stelle von Compaoré trat kurz nach Bekanntgabe von dessen Rücktritt der Generalstabschef des Militärs, Gal Honoré Traoré.

Compaoré selbst begab sich nach ersten Informationen unter starker Bewachung in einem Autokonvoi Richtung Pô, einer Stadt im Süden des Landes, an der Grenze zu Ghana. Von dort hatte er 1983 zusammen mit seinem damaligen Weggefährten Thomas Sankara den Aufstand begonnen, der zuerst Sankara und nach dessen Ermordung 1987 ihn selbst zum Präsidenten von Burkina Faso machte.

Damit ist die Revolte vorerst beendet, die seit Donnerstagmorgen das Land ergriffen hatte. Ein Tag, an dem plötzlich alles ganz schnell verlief. Noch eine Stunde vor der geplanten Abstimmung im Parlament über die Verfassungsänderung, die Compaoré mindestens eine weitere Amtszeit ermöglicht hätte, war es relativ ruhig in der Hauptstadt Ouagadougou. Dann rissen Demonstranten die Absperrungen vor dem Parlament ein und setzten das Gebäude in Brand. Wenig später fiel der staatliche Fernsehsender in ihre Hände, dann das Luxushotel, in dem viele Abgeordnete wegen der unmittelbaren Nähe zum Parlament die Nacht auf Staatskosten verbracht hatten.

Erst beim Marsch auf den Präsidentenpalast in dem südlich vom Zentrum gelegenen Stadtviertel Ouaga 2000 wurde der Zug der Zornigen gestoppt. Die Präsidentengarde hielt zu ihrem Chef. Zunächst mit Warnschüssen, dann mit scharfer Munition hielt sie die Demonstranten 500 Meter vor ihrem Ziel auf. Es gab Tote. Wie viele genau, ist bislang nicht klar.

Polizei und Militär verhielten sich landesweit anders. Keine Schüsse aufs Volk, nur halbherzige Versuche, die Bewegung aufzuhalten. Am Nachmittag kristallisierte sich heraus, dass aus den Reihen des Militärs der Krisenstab gebildet wird, der das plötzlich entstandene Machtvakuum ausfüllen wird. Ein ehemaliger und der aktuelle Generalstabschef schienen sich mit den Oppositionsführern geeinigt zu haben.

Am Freitag ging die Angst um, um die Früchte der Revolution betrogen zu werden. Im Zentrum von Ouagadougou kamen wieder Tausende zusammen. Der Militärrat wurde unter Druck gesetzt. Wer und was Compaoré dann genau zu seinem Rücktritt bewegt hat, war zu Redaktionsschluss noch nicht klar.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 1. November 2014


Aufstand in Westafrika

Burkina Faso: Dutzende Tote bei Massenprotesten. Abgesetzter Präsident will weitermachen

Von Simon Loidl **


Zum Ende der Woche haben sich die Meldungen aus Burkina Faso überschlagen. Am Donnerstag konnte die Bevölkerung des westafrikanischen Landes durch Massenproteste die Beendigung der Debatte über eine Verfassungsänderung erreichen. Diese sollte dem langjährigen Präsidenten Blaise Compaoré bis zu 15 weitere Jahre im Amt sichern. Seit Wochenbeginn hatten Zehntausende Menschen im ganzen Land gegen dieses Vorhaben protestiert. Immer wieder war es zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften gekommen. Während am Donnerstag im Parlament in der Hauptstadt Ouagadougou über die Vorlage der Regierungspartei beraten wurde, eskalierten die Proteste. Dutzende Menschen drangen ins Parlament ein, verwüsteten Büros von Abgeordneten und legten Feuer in dem Gebäude. Auch der Sitz des »Congrès pour la démocratie et le progrès«, der Partei des Präsidenten, sowie der staatliche Rundfunksender wurden angegriffen.

Die Polizei versuchte zunächst, die Demonstranten zurückzudrängen, zog sich jedoch im Verlauf der Auseinandersetzungen Augenzeugenberichten zufolge teilweise zurück. Dennoch wurden Schusswaffen eingesetzt, nach unterschiedlichen Meldungen wurden mindestens 30 Menschen getötet.

Am Donnerstag abend stellten sich Armeevertreter auf die Seite der Protestierenden und erklärten den Präsidenten für abgesetzt. Es solle eine Übergangsregierung gebildet und binnen zwölf Monaten die »verfassungsmäßige Ordnung« wiederhergestellt werden. Compaoré wollte sich dem nicht fügen. Statt dessen kündigte er am Donnerstag spätabends in einem offenen Brief an, selbst einer Übergangsregierung vorstehen zu wollen. Die geplante Verfassungsänderung sei vom Tisch, die Regierung aufgelöst, er habe den Wunsch nach Veränderung verstanden. Am Ende der Übergangsperiode werde er die Macht an einen »demokratisch gewählten Präsidenten« übergeben. Mehrere Medien berichteten am Freitag, dass der Aufenthaltsort des von der Armee abgesetzten Präsidenten unklar sei. Oppositionsvertreter erklärten, die Proteste würden weitergehen, sollte der abgesetzte Präsident nicht sofort zurücktreten. Zehntausende forderten auf den Straßen Burkina Fasos auch am Freitag die sofortige Demission des Präsidenten.

Compaoré war 1987 nach einem Putsch gegen den legendären Revolutionär Thomas Sankara an die Macht gekommen. Dieser hatte die ehemalige französische Kolonie Obervolta seit 1983 sozialistisch umgestaltet, 1984 wurde das Land in Burkina Faso umbenannt – zu Deutsch etwa »Land der Aufrichtigen«. Ehemalige Weggefährten Sankaras – unter ihnen Blaise Compaoré – warfen diesem Verrat an der Revolution vor und organisierten einen Staatsstreich, bei dem Sankara und Dutzende seiner Mitstreiter ermordet wurden. Was folgte, war allerdings keine Vertiefung der progressiven Gestaltung des Landes, sondern die allmähliche Rückkehr zu alten Mustern. Compaorés Politik stand während der vergangenen Jahre zunehmend im Einklang mit den strategischen Interessen Frankreichs und der USA in der Region. Burkina Faso gilt als »Stabilitätsfaktor« – dies beinhaltet die Stationierung französischen Militärs ebenso wie US-»Antiterror«-Ausbildung für die burkinische Armee. Diese ist auch Teil der »Trans-Saharan Counterterrorism Initiative«, des Ablegers des »Krieges gegen den Terror« der USA für die Sahara-Region. Compaorés Unvermögen, die unzufriedenen Teile der Bevölkerung ruhigzustellen, beunruhigt allerdings auch seine westlichen Gönner. Frankreichs Präsident Francois Hollande wies Anfang der Woche seinen burkinischen Kollegen auf Passagen in der Charta der Afrikanischen Union hin, die sich gegen Verfassungsänderungen zum Zweck des Machterhalts richten.

Kommentatoren burkinischer Medien blieben am Freitag abwartend, zeigten sich jedoch erleichtert, dass durch das Verhalten der Armee weiteres Blutvergießen vermieden wurde. »Was kommen musste, ist gekommen«, titelte die Tageszeitung Le Pays in ihrer Onlineausgabe und verglich die Ereignisse vom Donnerstag mit dem Sturm auf die Bastille 1789. Wie es nach diesem Tag weitergehen wird, lasse sich noch nicht sagen, so der Kommentator des Blattes, allerdings werde »nichts sein wie vorher«.

** Aus: junge Welt, Samstag, 1. November 2014


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