In Bulgarien hat Borissow fortan alle Macht
Regierungskandidat Plewneliew gewann die Präsidentenwahl / Sozialisten klagen über Manipulationen
Von Thomas Frahm, Sofia *
Trotz beeindruckender Aufholjagd hat
es am Ende für den sozialistischen
Präsidentschaftskandidaten Iwailo
Kalfin nicht ganz gereicht: Mit 47,4
Prozent der Stimmen musste er sich
Rossen Plewneliew, dem Kandidaten
der Regierungspartei GERB, geschlagen
geben, der 52,6 Prozent der
Stimmen erhielt.
Iwailo Kalfin, ehemaliger Außenminister
und jetziger EU-Parlamentarier,
kommentierte auf der
Pressekonferenz am späten Abend
nach der Wahl: »In den zwanzig
Jahren seit dem Fall der Berliner
Mauer ist noch nie ein bulgarischer
Präsident mit so knappem Ergebnis
gewählt worden wie Plewneliew.
« Bulgarische Politologen
führen dies darauf zurück, dass die
Bewegung für Rechte und Freiheiten
(DPS), seit 20 Jahren Zünglein
an der Waage in der bulgarischen
Politik, diesmal ihre Wählerschaft
nicht so umfassend aktiviert hätte.
Die DPS, Partei der ethnischen
Türken, sympathisiert in der Regel
mit den bulgarischen Sozialisten.
Im Zuge der Vorwürfe an die Regierung,
wonach fast die komplette
Medienmeute in Bulgarien nur
noch »pro Borissow« – also im
Sinne des Regierungschefs Boiko
Borissow – berichte und die Opposition
denunziere, wurde aber
deutlich, dass ein Großteil dieser
Medien sich im Besitz eines DPSMitgliedes
befindet. Auf wessen
Seite steht die DPS also?
Wie so oft in Bulgarien weiß
man nicht, was von den Spiegelfechtereien
vor Publikum auf
wirklicher Gegnerschaft beruht,
und was davon nur dazu dient,
dem Wahlvolk Sand in die Augen
zu streuen. Die Wahlbeteilung lag
übrigens mit knapp 48 Prozent
noch ein wenig unter derjenigen
des ersten Wahlgangs.
In dieses Bild passen auch die
alarmierenden n Berichte ausländischer
Wahlbeobachter, die von
massenhaftem Stimmenkauf vor
allem in den Gettos der Roma berichten,
von Einschüchterungen
bis hin zur Streichung unliebsamer
Wähler aus den Wahllisten, zu denen
Innenminister Zwetanow –
zugleich Leiter des Wahlstabs der
Regierungspartei – Zugang hatte.
Es gibt »tote Seelen« in den Wahlregistern,
und es gibt Wohnadressen,
an denen Hunderte Bewohner
mit gekauften Stimmen registriert
sind. Auch hier ist schwer zu sagen,
ob tatsächlich eine Zunahme
von Wahlmanipulationen vorliegt
oder ob diese Manipulationen, die
in Bulgarien lange Tradition haben,
nur in letzter Zeit stärker beobachtet
und registriert werden.
Der Parteichef der Sozialisten,
Sergej Stanischew, war über die
Missstände jedenfalls so empört,
dass er sich weigerte, den Wahlsiegern
der Borissow-Partei GERB
zu gratulieren. (Neben dem Präsidenten
waren auch die Bürgermeister
in den Städten und Gemeinden
zu wählen, in denen der
erste Wahlgang vor Wochenfrist
keinen eindeutigen Sieger ergeben
hatte.) Stanischew kündigte an, er
wolle alle rechtlich erlaubten Hebel
in Bewegung setzen, »damit die
Wahrheit über diese Wahlen ans
Licht kommt.« Ohne Ansehen des
Abschneidens seiner Partei gelte es
festzuhalten: »Die Frage ist prinzipiell:
Werden so in Zukunft Wahlen
aussehen, oder wollen wir ein
Land sein, das wenigstens den Minimalanforderungen
demokratischer
EU-Standards genügt?«
Auf den ersten Blick ist das Abschneiden
der BSP so schlecht
nicht: 24 Prozent Zustimmung zur
Partei in der bulgarischen Wählerschaft,
34 Prozent der Gemeinden
werden einen sozialistischen
Bürgermeister haben. Bei genauer
Betrachtung erweist sich jedoch,
dass die BSP nur noch auf den
Dörfern und in den kleineren
Kreisstädten bis maximal 100 000
Einwohnern führt, während alle
wirtschaftlich wichtigen Regionalzentren
– Plowdiw, Warna, Russe,
Weliko Tarnowo, Plewen, Jambol
und Stara Sagora sowie die
Hauptstadt Sofia – von GERB-Bürgermeistern
geführt werden. GERB
hat auch die Zahl ihrer Stadt- und
Gemeinderäte fast verdoppelt.
Auf die Fragen mehrerer Journalisten,
ob es nicht eine bedenkliche
Situation sei, wenn eine einzige
Partei die Macht über so viele
staatliche Institutionen bündele,
erwiderte Premier Borissow, dies
geschehe ja nicht zum ersten Mal
nach 1989, sondern »in den letzten
zwanzig Jahren hat es sowohl in
den Händen der Union der Demokratischen
Kräfte als auch in den
Händen der Sozialisten schon einmal
eine derartige Machtkonzentration
gegeben.« Er betrachte das
Wählervotum als Anerkennung
seines rigiden Kurses der Haushaltsgesundung
in schwerster Krisenzeit.
Und wo es, wie etwa in der
nordostbulgarischen Stadt Widin,
einen schlechten GERB-Bürgermeister
gegeben habe, sei der ja
auch nicht wiedergewählt worden.
Und da ihm vorgeworfen worden
war, er habe Plewneliew nur
zum Präsidentenstuhl verholfen,
damit er den für ihn »die nächsten
fünf Jahre warm halte«, äußerte er
in Anwesenheit zahlreicher Botschafter
und ausländischer Beobachter:
»Ich werde mich in fünf
Jahren definitiv nicht um die Präsidentschaft
bewerben, sondern
die viele Arbeit, die auf uns jetzt
wartet, erledigen und dann in den
Ruhestand gehen.«
Eine Pause wird es im bulgarischen
Polittheater nach diesen
zwielichtigen Wahlen nicht geben,
denn das Budget 2012 steht zur
Debatte. Die BSP will es für ein
Misstrauensvotum nutzen.
* Aus: neues deutschland, 1. November 2011
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