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Verfolgungsrennen in Bulgarien

Präsidentenwahl geht am kommenden Sonntag in die zweite Runde

Von Thomas Frahm, Sofia *

Am Sonntag (23. Okt.) waren die Bulgaren aufgerufen, einen neuen Staatspräsidenten, neue Bürgermeister und Gemeinderäte zu wählen. Knapp über 50 Prozent der Berechtigten nahmen die Chance wahr - deutlich mehr als bei vergangenen Wahlen dieser Art.

Rossen Plewneliew führt die höhere Wahlbeteiligung auf den »gewachsenen Bürgersinn der Bulgaren« zurück. Der Präsidentschaftskandidat der Regierungspartei »Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens« (GERB) muss die Wähler schon deshalb loben, weil er nach Auszählung von knapp 90 Prozent der Stimmen mit einem Anteil von 39,8 Prozent in Führung liegt. Sein stärkster Kontrahent, der von der Sozialistischen Partei Bulgariens (BSP) ins Rennen geschickte Iwailo Kalfin, kam auf 29,1 Prozent.

Kalfin hat damit enorm aufgeholt, denn nach der Fernsehdebatte der Kandidaten am vorletzten Sonnabend hatten seine Umfragewerte noch bei 20 Prozent gelegen. Einige Kommentatoren schreiben seine Gewinne der Tatsache zu, dass der populäre Schauspieler Stefan Danailow, von 2005 bis 2009 Kulturminister, im letzten Moment von den Sozialisten, deren Mitglied er im Gegensatz zu Kalfin ist, als Vizepräsident ins Rennen geschickt wurde.

Die meisten Beobachter glauben indes nicht, dass Kalfin den Rückstand bei der Stichwahl am kommenden Sonntag noch aufholen kann. Die Demoskopieinstitute wollen ermittelt haben, dass sich die 14 Stimmenprozente der ehemaligen EU-Kommissarin Meglena Kunewa am 30. Oktober im Verhältnis 3:1 auf Plewneliew und Kalfin verteilen werden. Dies berücksichtigt jedoch weder den Trend, der für Kalfin spricht, noch die Tatsache, dass alles davon abhängt, wer am nächsten Sonntag noch einmal und wer erstmals wählen geht.

Etwas klarer sieht es bei den Kommunalwahlen aus, die angesichts der »Regierungshalbzeit« als Test für die Parlamentswahlen 2013 betrachtet werden. In Bulgariens jüngerer Geschichte gelten zwei Jahre als die Zeit, in der die Zustimmung zur Regierung ihren Tiefststand erreicht. Insofern kann Ministerpräsident Boiko Borissow die 38 Prozent Zustimmung, die seine Bürgermeister-, Stadt- und Landratskandidaten landesweit erhalten haben, schon als Kantersieg verbuchen. Vor der Presse erklärte er, das Votum zeige, dass der Kurs seiner Regierung, »nicht mehr auszugeben, als der Staat an Einnahmen hat«, von den Wählern in Zeiten der Krise und in unmittelbarer Nähe Griechenlands honoriert wird. In diesem Jahr werde seine Regierung das Haushaltsdefizit Bulgariens unter 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes drücken.

Wichtig für Borissow waren zwei Ergebnisse: Jordanka Fandakowa, die das Amt des Sofioter Oberbürgermeisters 2009 ohne Wahl von ihm selbst übernommen hatte, ist mit 51,5 Prozent bereits sicher gewählt. Sie kann ihren Kurs fortsetzen, das verdreckte Sofia sauberer zu machen (auch in puncto Korruption), die Kanalisation zu erneuern und auf die Außenbezirke auszudehnen sowie den Ausbau der U-Bahn voranzutreiben. Zweiter wichtiger Akzent ist, dass der GERB-Kandidat in Kardshali, dem Zentrum des von muslimischen Türken besiedelten bulgarischen Südostens, gegen die in dieser Region auf Sieg abonnierten Kandidaten der Bewegung für Rechte und Freiheiten in die Stichwahl gehen wird.

Die Sozialisten, die landesweit 24 Prozent Unterstützung von den Wählern erhielten und damit im Vergleich zu den Parlamentswahlen vor zwei Jahren auch wieder zugelegt haben, behalten zwar einige ihrer Hochburgen wie Schumen oder Lowetsch, müssen aber in mehreren Bezirksstädten mit ihren Kandidaten gegen die der Borissow-Partei in die Stichwahl.

* Aus: neues deutschland, 25. Oktober 2011


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