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130 Jahre Zweisamkeit

Russlands Präsident Wladimir Putin auf Staatsbesuch in Sofia

Von Thomas Frahm, Sofia *

In Bulgariens Hauptstadt wehen die weiß-blau-roten Flaggen Russlands. Mit einem Galakonzert wurde am Donnerstagabend (17. Januar) das »Bulgarisch-Russische Jahr« eröffnet. Auf Plakaten in Sofias Straßen heißt es indes »Putin raus!«

Fünf Jahre nach seinem ersten Staatsbesuch weilt der russische Präsident Wladimir Putin zum zweiten Mal in Bulgarien. Anlass ist die Eröffnung des »Bulgarisch-Russischen Jahres«, das an den maßgeblichen Beitrag Russlands zur nationalen Wiedererstehung Bulgariens vor 130 Jahren erinnert. Welches der Ereignisse im kulturellen Begleitprogramm Putin während seines zweitägigen Aufenthalts in Sofia wahrnehmen wird, blieb bis zum letzten Moment offen. Ohne Zweifel jedoch wird er seinen Fuß in die Alexander-Newski-Kathedrale setzen, denn eine der größten und prunkvollsten orthodoxen Kreuzkuppel-Basiliken auf der Balkanhalbinsel ist nicht etwa ein Kulturdenkmal aus weit zurückliegenden Jahrhunderten. Vielmehr wurde sie errichtet zum Gedenken daran, dass zigtausende russische Soldaten 1877/78 in einem Krieg gefallen sind, der Bulgarien die Befreiung von osmanischer Herrschaft brachte und die eigenständige nationalstaatliche Entwicklung ermöglichte.

Am Ende dieser Entwicklung -- 2004 -- trat das Land indes der NATO bei, was zuvor heftige Proteste des heutigen Staatsgastes ausgelöst hatte. Dabei war auch die Mitgliedschaft in der EU, die 2007 Wirklichkeit wurde, keineswegs die einzige Perspektive Bulgariens nach 1989. Im Gespräch waren seinerzeit auch eine südosteuropäische Wirtschaftsföderation und eine Freihandelszone, die über Russland bis nach Asien reichen sollte. Doch dazu kam es nicht. Teils wegen der Zerstrittenheit der Balkanstaaten, teils wegen der betont antirussischen Linie Bulgariens vor allem zwischen 1996 und 2001, teils aber auch deshalb, weil selbst für Russland der EU-Wirtschaftsraum von viel größerer Bedeutung war als der südosteuropäische mit seinen darniederliegenden Volkswirtschaften.

Umso überraschender ist die Tatsache, dass sich ausgerechnet im ersten EU-Jahr Bulgariens das Handelsvolumen mit Russland im Vergleich zum Vorjahr fast verdoppelt hat. Genau genommen ist die EU sogar verantwortlich dafür, dass sich dieser Trend fortsetzen wird. Eine der Bedingungen für den Beitritt Bulgariens war Sofias Zusage, die 1982 gebauten Blöcke 3 und 4 des Kernkraftwerks Koslodui bis Ende 2006 zu schließen. Dies führte zum Entschluss der bulgarischen Regierung, das Kernkraftwerk bei Belene weiterzubauen, und zwar mit Russland. Der Auftragswert wird auf 4 Milliarden Euro geschätzt. Ein weiteres wichtiges Projekt, das heute beschlossen werden soll, ist die Gründung einer russisch-bulgarisch-griechischen Gesellschaft zum Bau einer Erdöl-Pipeline zwischen dem bulgarischen Hafen Burgas und dem griechischen Alexandropolis.

Kritiker beklagen, dass Bulgarien -- zu RGW-Zeiten treuester Verbündeter Moskaus -- sich damit erneut in völlige Abhängigkeit von Russland begeben und damit politisch erpressbar werden könnte. Solche Stimmen werden vor allem aus den Reihen der rechten Opposition laut, die es sich zu ihren Regierungszeiten gründlich mit Moskau verdorben hatte. Tatsache ist, dass Bulgarien seinen Kernbrennstoff aus Russland bezieht, die größte Petrolfirma im Lande, Luk-oil, ist russisch, und auch die Gaslieferungen kommen aus Russland. Außenminister Iwailo Kalfin entgegnete den Kritikern vor dem Putin-Besuch: »Über viele Jahre waren die Beziehungen zu Russland ideologisch belastet, doch heute ist es im Interesse Bulgariens, seine geografische Lage zu nutzen, um ein zentraler Energieverteiler zu werden.« Und Ministerpräsident Sergej Stanischew, der in der Sowjetunion geboren wurde, dort studiert hat und von den Rechten natürlich gerne als Moskaus Agent diffamiert wird, dämpfte Befürchtungen, Bulgarien könne sich erneut willenlos russischer Übermacht beugen: Keiner der Verträge müsse unterschrieben werden. Was den Plan einer Gas-Pipeline auf dem Grund des Schwarzen Meeres angeht, schloss Stanischew eine Vereinbarung zum gegenwärtigen Zeitpunkt sogar aus.

Auf politische Balance bedacht, traf sich Außenminister Kalfin erst Anfang Dezember in Washington mit Condoleezza Rice, um die Zusammenarbeit mit den USA zu beraten. Und wenige Tage nach Putins Abreise wird der ehemalige Dissident und Lagerinsasse Wladimir Bukowski nach Bulgarien kommen. Der hatte bei der Präsidentenwahl in Russland kandidieren wollen, was ihm jedoch wegen seiner zweiten, britischen Staatsbürgerschaft verwehrt wurde. Weshalb seine bulgarischen Anhänger in Sofia Plakate klebten: »Putin raus!«

* Aus: Neues Deutschland, 18. Januar 2008

Weitere Meldungen zum Staatsbesuch

Russland nimmt waffenfähiges Uran aus Bulgarien zurück

SOFIA, 18. Januar (RIA Novosti). Russland wird im Juni angereichertes Uran aus dem Institut für Kernphysik in der bulgarischen Hauptstadt Sofia zurücknehmen und dabei helfen, das Institut auf abgereichertes Uran umzustellen.
Das teilte Sergej Kirijenko, Generaldirektor von Rosatom (Russische Atomenergiebehörde), am Freitag (18. Jan.) mit. „Heute unterzeichnen wir ein Regierungsabkommen, dass Russland den Forschungsreaktor in der bulgarischen Akademie der Wissenschaften ersetzt, der von russischen Spezialisten gebaut worden war - denn dort wird das angereicherte Uran genutzt“, sagte er.
Ihm zufolge hat das angereicherte Uran einen Nachteil, weil daraus Waffen produziert werden können. Kirijenko verwies darauf, dass es ein Abkommen gibt, wonach Russland und die USA zur Verringerung der Gefahr der Verbreitung vom waffenfähigen Uran Forschungsreaktoren durch ungefährliche Reaktoren ersetzen. „Dementsprechend haben wir einen Plan ausgearbeitet und ein Abkommen vorbereitet, das heute unterzeichnet wird.

Russlands AKW-Bauer unterzeichnet Abkommen über Bau von AKW Belene in Bulgarien

SOFIA, 18. Januar (RIA Novosti). Der russische Atomkraftwerkbauer Atomstroiexport hat am Freitag im Rahmen des Besuchs von Russlands Präsident Wladimir Putin in Sofia mit der Nationalen Stromgesellschaft Bulgariens ein Abkommen über den Bau des Atomkraftwerks Belene geschlossen.
Das Projekt beläuft sich auf 3,997 Milliarden Euro für zwei Energieblöcke mit je 1000 Megawatt Leistung. Der erste Block soll Ende 2013 in Betrieb gehen, der zweite ein Jahr darauf.
Am Bauprojekt beteiligen sich eine Reihe von russischen Unternehmen. Einen Teil der Ausrüstung für das Atomkraftwerk, darunter das Kontroll- und Verwaltungssystem, wird der Hauptpartner von Atomstroiexport, das deutsch-französische Konsortium Carsib (Areva NP und Siemens), liefern.
In der ersten Dezemberhälfte 2007 hatte die EU-Kommission den Investitionsplan für den Bau des AKW Belene in Bulgarien genehmigt.

Putin erwartet weitere Projekte mit Bulgarien

SOFIA, 16. Januar (RIA Novosti). Russland und Bulgarien können in Zukunft noch größere Projekte umsetzen. Das sagte der russische Präsident Wladimir Putin am Freitag in der bulgarischen Hauptstadt Sofia.
Beim Festessen im Geschichtsmuseum in Sofia hielt Putin eine Rede zu den Ergebnissen der russisch-bulgarischen Gipfelverhandlungen.
Während der Verhandlungen waren acht Abkommen über Zusammenarbeit, darunter der Vertrag über den Bau des Atomkraftwerkes Belene und das Regierungsabkommen über die neue Pipeline South Stream, unterzeichnet worden.
Der russische Präsident rief seinen bulgarischen Amtskollegen Georgi Parwanow und die zahlreichen Gäste auf, auch künftig die Zusammenarbeit zu entwickeln. „Unsere historischen Wurzeln und unsere Vergangenheit haben eine Basis für beiderseitiges Vertrauen geschaffen - ein Vertrauen, ohne das weder im Wirtschaftsbereich noch in der Politik gearbeitet werden kann. Auf der Basis dieser historischen Beziehungen haben wir heute ein konkretes Ergebnis erzielt, das eine gewaltige Bedeutung für ganz Europa hat“, sagte der russische Präsident.

Russland und Bulgarien erzielen Durchbruch bei Energie-Kooperation

SOFIA, 18. Januar (RIA Novosti). Russlands Erster Vize-Premier und Präsidentenkandidat Dmitri Medwedew hat die Unterzeichnung von wichtigen Energieabkommen mit Bulgarien als einen Durchbruch in den bilateralen Beziehungen beider Länder bezeichnet.
"Heute gab es einen Durchbruch in den russisch-bulgarischen Beziehungen", sagte er auf einem Treffen mit dem bulgarischen Präsidenten Georgi Parwanow in der bulgarischen Hauptstadt Sofia. "Die beispiellose Anzahl von Dokumenten, die unterzeichnet wurden, und auch deren Bedeutung können wir heute vielleicht nicht vollends einschätzen. Sie geben das Tempo unserer Zusammenarbeit für die kommenden Jahrzehnte vor", äußerte Medwedew.
Am Freitag (18. Jan.) wurden zum Abschluss der Gespräche des russischen Präsidenten Wladimir Putin mit seinem bulgarischen Amtskollegen acht Abkommen geschlossen, darunter über den Bau der Gasleitung South Stream.
Jährlich sollen durch diese Pipeline 30 Milliarden Kubikmeter Gas nach Europa fließen.

Alle Meldungen: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti




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