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"Bulgarischer Frühling"

Nach Rücktritt der Regierung Neuwahlen im Mai

Von Tina Schivatcheva, Sofia *

Am 12. Mai sollen in Bulgarien Neuwahlen stattfinden. Das kündigte Staatspräsident Rossen Plewneliew am vergangenen Donnerstag an. Gespräche über die Bildung eines »gesellschaftlichen Rates«, zu denen Plewneliew am Freitag eingeladen hatten, sind hingegen noch am selben Tag gescheitert. Wie die Nachrichtenagentur dpa berichtet, verließen die Vertreter der Protestbewegung, die im Februar den Sturz der Regierung ausgelöst hatte, den Sitzungssaal nach nur einer halben Stunde. Der Rat sei eine »Clique aus lobbyistischen Organisationen und Monopolen«, kritisierten die Aktivisten und riefen zu neuen Demonstrationen auf. Am Sonntag forderten Zehntausende Menschen in Sofia und anderen Städten unter anderem ein neues Wahlgesetz und höhere Löhne.

Die Regierung um den bulgarischen Premierminister Boiko Borissow war am 21. Februar zurückgetreten, nachdem hohe Energiepreise landesweit Proteste ausgelöst hatten. Die Energienetze waren 2004 privatisiert und in drei Holdings aufgeteilt worden. So entstanden Monopole der österreichische EVN im Südosten, der tschechischen CEZ im Westen und der inzwischen ebenfalls tschechischen Energy Pro im Nordosten des Landes. Diese baten die Bulgaren zur Kasse. Vor allem im Südwesten waren die Preisanstiege so hoch, daß eine Massenbewegung für die Forderung, der CEZ die Lizenz zu entziehen, entstand. Wegen Anzeichen für falsch berechnete Strompreise kündigte schließlich auch die bulgarische Energiekommission SEWRC eine Untersuchung und die Möglichkeit eines Lizenzentzugs an. Das löste zunächst nicht nur einen Fall der Aktienkurse aus, sondern auch bilaterale Spannungen zwischen Sofia und Prag. Der tschechische Staat stellte sich als größter Anteilseigner hinter das Unternehmen. Während die bulgarische Öffentlichkeit »Hau ab, CEZ!« forderte, erklärte Tschechiens Premierminister Peter Nechas, er erwarte von Bulgarien, sich an internationale Investitionsvereinbarungen und Verträge zu halten.

Hinzu kam im Zuge der weltweiten Finanzkrise eine brutale Kürzungspolitik von Bulgariens Finanzminister Simeon Djankow, einem ehemaligen Vizepräsidenten der Weltbank. Die Streichungen der Sozialprogramme sorgten dafür, daß der Lebensstandard der Bulgaren immer weiter absank und ließen Borissows Beliebtheit einbrechen. Mit Monatslöhnen um 130 Euro, den niedrigsten im gesamten EU-Raum, konnten die Menschen kaum mehr über die Runden kommen, die Preissteigerungen bei der Energieversorgung waren dann der letzte Auslöser für die Protestbewegung. Auch noch nach dem Rücktritt der Regierung waren mehr als 100000 Menschen auf die Straße gegangen, um ihre Wut zum Audruck zu bringen und wirtschaftliche und politische Veränderungen zu fordern: »Verstaatlichung oder Tod!«, »Energiemafia raus aus Bulgarien!«, »Werft die Monopole raus!« und »Revolution!« waren vielgerufene Slogans bei den Kundgebungen.

Dabei hatte die bulgarische Bevölkerung bei dessen Wahl 2009 noch große Hoffnungen auf Borissow und seine Mitte-Rechts-Gruppierung »Bürger für eine Europäische Entwicklung Bulgariens« (GERB) gesetzt. »Endlich gibt es eine starke Hand in der bulgarischen Politik«, sagte eine Wählerin damals. Die Wähler hofften auf ein »europäisches« Bulgarien mit »europäischem« Lebensstandard und weniger Korruption. Bekommen hatten sie lediglich einen Premier, der sich in Machogehabe gefiel.

* Aus: junge Welt, Montag, 4. März 2013


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