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Kahlschlag ungebremst

Kritik an Soja- und Ölpalmenanbau in Brasilien. Regierung fördert weiter Monokulturen – auf Kosten der Umwelt und sozialer Strukturen

Von Norbert Suchanek, Rio de Janeiro *

In Brasilien frißt sich das profitable Agrogeschäft weiter in Landschaft und soziale Strukturen. Ein Ende des Sojawahns ist nicht in Sicht, im Gegenteil. Immer mehr Gebiete werden für die Monokulturen geopfert, gestützt durch die Regierung und zum Nutzen der großen Unternehmen der Branche. So war zwischen 1992 und 2000 die Anbaufläche von 9,4 Millionen auf über 13,6 Millionen Hektar angewachsen. Seit 2000 hat sie sich auf über 27,6 Millionen Hektar mehr als verdoppelt. Tendenz weiter steigend. Und neben dem Sojaanbau wird auch immer häufiger eine weitere »Energiepflanze« kultiviert – die Ölpalme.

Wer die Schriften José Lutzenbergers (Träger des alternativen Nobelpreises 1988) gelesen hat, der weiß, daß dem Anbau der Sojabohne seit den 1940er Jahren in Brasilien zunächst große Teile des atlantischen Regenwaldes in den Bundesstaaten Rio Grande do Sul, Santa Catarina und Paraná zum Opfer fielen. Staatliche Subventionen, Forschungsunterstützung und eine auf rücksichtslosem Landraub basierende Kolonisierung trieben die dadurch höchst profitable Sache voran. Um die 1970er Jahre herum wurden die Anbauflächen in die Region der brasilianischen Savanne ausgedehnt, des Cerrado. Rund ein Jahrzehnt später beschleunigten die global zunehmende Massentierhaltung sowie die Industrialisierung und Monopolisierung der Nahrungsmittelproduktion diese Expansion. Heute sind der atlantische Regenwald wie auch der Cerrado in weiten Teilen des gößten Landes Südamerikas nur noch ein Mythos.

Bereits im Jahr 2000 – acht Jahre nach der ersten UN-Umweltkonferenz von Rio de Janeiro – machte der Forscher Philip M. Fearnside vom Nationalen Amazonasforschungsinstitut (­INPA) in Manaus klar: »Sojabohnen sind erheblich schädlicher als alle anderen Monokulturen, denn mit ihnen werden massive Transportinfrastrukturprojekte gerechtfertigt«. Diese verursachten zusätzlich zu den direkten Schäden durch den Anbau »Naturvernichtung über weite Gebiete«. In seinem Bericht »Soybean cultivation as a threat to the environment in Brazil« (Anbau von Sojabohnen als Bedrohung der Umwelt in Brasilien) schreibt Fearnside weiter, andere Landnutzungsformen wie etwa die Rinderzucht hätten zwar einen großen Flächenverbrauch. Doch deren Lobby besitze nicht das politische Gewicht, um die Regierung zum Bau von bis zu acht künstlichen Wasserstraßen, drei Eisenbahnlinien und einem ausgedehnten Fernstraßennetz zu bewegen. So diente ein Großteil der Regierungsprogramme »Brasil em Ação« (Brasilien in Aktion, 1996–1999) und »Avança Brasil« (Vorwärts, Brasilien, 2002–2003) dem Ausbau der Infrastruktur für die Sojaproduktion und deren Export.

Schlechte Jobbilanz

Brasilien bezahle einen hohen Preis für den Sojawahn, konstatiert Fearnside: Verlust an Artenvielfalt und natürlichen Ökosystemen, Bodenerosion und Belastungen für die Umwelt sowie die Gesundheit der Menschen durch Agrarchemikalien, Vertreibung der Bevölkerung, Verlust der lokalen Nahrungsmittelproduktion und von Arbeitsplätzen. So schaffen die Farmer im neuen Frontstaat der Sojamonokultur, Maranhão, im Schnitt einen Job je 167 Hektar Anbaufläche. Die kleinbäuerliche, auf Mischkultur setzende Landwirtschaft, beschäftigt im Bundesstaat auf derselben Fläche 25 Landarbeiter. Eine andere Statistik sagt: Für jeden durch die neue Branche geschaffenen Job gingen elf andere Arbeitsplätze verloren.

Es wiege auch schwer, daß die Subventionen für die Sojaindustrie in anderen Sektoren fehlten, beispielsweise im Gesundheitssystem sowie in der Bildung. 2013 gingen Brasiliens Lehrer wegen viel zu niedriger Gehälter auf die Straße, während Sojabarone wie Eraí Maggi Scheffer und Blairo Maggi »Rekordernten« einfuhren.

Seit Anfang des 21. Jahrhunderts bildet sich neben dem Sojaanbau eine zweite Agrarfront: Bei der Produktion von Palmöl. Bereits während der Militärdiktatur wurde in den 1970er Jahren die westafrikanische Ölpalme nach Amazonien geholt. Der großflächige Anbau kam aber erst mit dem Agrodieselboom in Schwung. Derzeitiges Hauptanbaugebiet ist der Amazonasstaat Pará. Seit 2008 verdoppelte sich dort die Fläche auf heute rund 166000 Hektar. Die negativen Folgen sind längst spürbar. Neben dem direkten Verlust von Wald und der nicht mehr möglichen Nahrungsmittelproduktion macht vor allem der Chemikalieneinsatz den Menschen in der Region zu schaffen. Es gebe Klagen über kontaminiertes Wasser bei den von Fischfang und nachhaltiger Waldnutzung lebenden Ribeirinhos, heißt es in einem 2013 veröffentlichten Bericht von Reporter Brasil. So sei das Wasser des Flusses Abaetuba, wo er an Ölpalmenplantagen grenze, vergiftet. Frauen, die darin Wäsche waschen müßten, klagten über Hautausschläge. Viele Kleinbauern wollten deshalb ihr Land verkaufen und wegziehen.

Nach Angaben von Arnaldo Martins, Agrartechniker im Landwirtschaftsministerium von Pará, versprühen die Palmölproduzenten im Schnitt zwei Liter Herbizide je Hektar und Jahr. Dabei steht die Expansion des Palmölgeschäfts erst am Anfang. Bis 2020 soll sich die Anbaufläche im Bundesstaat Pará auf rund 329000 Hektar verdoppeln.

Agrodiesel statt Nahrung

Das vom Bergbaumulti Vale kontrollierte Palmölunternehmen Biopalma läßt bereits 350 Kleinbauernfamilien für sich arbeiten. Ein von der Regierung gestütztes Förderprogramm vergibt an die Bauern Kredite, damit diese auf ihren Flächen Ölpalmen anbauen. Im Gegenzug bekommen sie von Biopalma technische Unterstützung und eine Abnahmegarantie. Bis 2015 hofft das Unternehmen so die Zahl seiner kleinbäuerlichen Produzenten auf rund 2000 zu erhöhen und bis 2019 seine Agrodieselproduktion bis auf 600000 Tonnen pro Jahr zu steigern.

Laut staatlichem Programm zur »nachhaltigen Palmölproduktion« stehen in der brasilianischen Amazonasregion insgesamt 29 Millionen Hektar Land zum Anbau der Ölpalme zur Verfügung. Das ist mehr als doppelt so viel wie die Anbaufläche der beiden derzeit größten Palmölproduzenten Indonesien und Malaysia (rund 12 Millionen Hektar) zusammen. Würde die Regierung ihr »nachhaltiges« Programm umsetzen, würde Brasilien zum mit Abstand größten Hersteller.

* Aus: junge Welt, Montag, 6. Januar 2014


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