Rousseff sagt Obama ab
Brasiliens Präsidentin verzichtet wegen NSA-Spionage auf Staatsbesuch
Von Andreas Behn, Rio de Janeiro *
Die Beziehungen zwischen Brasilien und den USA sind auf einem Tiefpunkt angelangt. Anlass der Verstimmung ist das Ausspionieren des größten Staates Lateinamerikas durch die US-Geheimdienstbehörde NSA. Jetzt hat Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff ihren für Oktober geplanten Besuch in Washington verschoben.
Die Erklärung ist sachlich: »Angesichts fehlender Aufklärung und mangels einer Zusage, das Abhören einzustellen«, sei ein Besuch zur vereinbarten Zeit nicht sinnvoll, sagte Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff in einer am Dienstagnachmittag veröffentlichten Erklärung. Das Überwachen von Gesprächen und Internet-Verbindungen sei ein »Angriff auf die nationale Souveränität und die individuellen Rechte, inkompatibel mit dem demokratischen Zusammenleben zwischen befreundeten Ländern«, so die Begründung.
Am Vorabend hatten beide Staatsoberhäupter 20 Minuten miteinander telefoniert. Offenbar war es ihnen nicht gelungen, den Sachverhalt zur beiderseitigen Zufriedenheit zu klären. Sie hätten sich daraufhin geeinigt, den Besuch zu verschieben, schließt die Erklärung des brasilianischen Präsidialamtes. Ein neuer Termin wurde bisher nichts ins Auge gefasst.
Anfang Juli hatte die Zeitung »O Globo« berichtet, dass auch Brasilien vom US-Geheimdienst überwacht worden sei. Der Bericht stützte sich auf Dokumente des ehemaligen Geheimdienstlers Edward Snowden, der nach seinen Aufsehen erregenden Enthüllungen über die NSA-Aktivitäten in Russland Asyl erhielt. Demzufolge unterhielt die NSA mindestens bis 2002 eine Schaltzentrale in der Hauptstadt Brasília und überwachte die brasilianische Botschaft in Washington sowie die brasilianische UN-Mission in New York.
Brasilien reagiert in scharfem Ton auf die Enthüllung, Washington wiegelte ab. Es handele sich lediglich um Sicherheitsvorkehrungen im Antiterrorkampf, beteuerte US-Botschafter Thomas Shannon. In keinem Fall sei innerbrasilianische Kommunikation abgehört worden. Doch wenig später veröffentlichte der Journalist Glen Greenwald, der für den britischen »Guardian« in Rio de Janeiro arbeitet, weitere Snowden-Dokumente, die das Gegenteil belegten: Die NSA habe auch den staatlichen Erdölkonzern Petrobras und die Kommunikation von Rousseff mit ihren engsten Mitarbeitern überwacht.
Rousseff warf den USA daraufhin Wirtschaftsspionage vor und forderte innerhalb kurzer Frist eine lückenlose Aufklärung über die Aktivitäten des NSA auf brasilianischem Boden. Die Fronten sind verhärtet, auch ein Vier-Augen-Gespräch mit Barack Obama während des G20-Gipfels in Petersburg brachte keine Annäherung der Standpunkte. Die Führungsmacht Südamerikas, die den USA in Wirtschaftsfragen wie auch im internationalen Krisenmanagement in den vergangenen zehn Jahren mehrfach die Stirn bot, baut nun erneut auf regionale Kooperation. Mit dem Nachbarland Argentinien wurde bereits vereinbart, Maßnahmen zur Sicherung der Cyberkommunikation zu ergreifen. Auch sollen internationale Internet-Firmen gezwungen werden, sich in Sachen Datenschutz den lokalen Gesetzen zu unterwerfen.
Obama zeigte Verständnis für die Haltung Brasilien und sprach sich dafür aus, möglichst bald ein neues Datum für einen Besuch zu finden. Er werde sich dafür einsetzen, die Missstimmung zu überwinden, so Obama in einer Stellungnahme am Dienstag. Obamas Sprecher Jay Carney sagte, die beiden Staatschefs hätten sich während eines Telefonats am Montag auf die Verschiebung geeinigt. Der Staatsbesuch »sollte nicht von einem einzigen bilateralen Problem« überschattet werden.
* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 19. September 2013
Mutige Präsidentin
Von Martin Ling **
Sie setzt wenigstens ein Zeichen: Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff. Während die deutsche Kanzlerin Angela Merkel zu der Ausspähung über den USA-Geheimdienst NSA schweigt und Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) sich bei seinem USA-Besuch mit fadenscheinigen bis dummdreisten Ausreden zufriedengab, sagte Rousseff ihren geplanten Besuch in Washington ab.
Das Vorgehen von Rousseff, einer ehemaligen Stadtguerillera, ist alles andere als ein Schnellschuss. Schon vor Wochen wurde bekannt, dass die NSA die Präsidentin persönlich abgehört und ihre E-Mails abgefangen hat. Dabei argumentieren die USA offiziell stets mit derselben Leier: Die NSA-Überwachung diene dem Anti-Terror-Kampf. Gilt Rousseff wegen ihrer Vergangenheit den USA als Terroristin? Das ist nicht anzunehmen – sowenig wie beim mehrheitlich staatlichen brasilianischen Ölriesen Petrobras, der sich ebenfalls der Ausspähung zu erwehren hat.
Rousseff hat USA-Präsident Barack Obama freundlichst und mehrfach um Erklärungen gebeten und gefordert, diese Praxis künftig zu unterlassen. Die Erklärungen und Zusicherungen fielen so wachsweich aus wie gegenüber Friedrich. Doch während der Bayer lächelt, wehrt sich Rousseff. Dafür gebührt ihr Respekt und dem Informanten Edward Snowden Dank bis hin zum Friedensnobelpreis. Zwar wird sich die einzig verbliebene Weltmacht so schnell nicht stoppen lassen. Aber alles, was öffentlich wird, trifft das Imperium. Das zeigt die Jagd auf Snowden.
** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 19. September 2013 (Kommentar)
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