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Rio Xingú wird gestaut

Brasiliens Umweltbehörde genehmigt Megaprojekt Belo Monte. Trotz Auflagen fürchten Gegner des Wasserkraftwerks um Ureinwohner und Umwelt

Von Andreas Knobloch *

War es das? Nach jahrzehntelangem Hin und Her hat die brasilianische Umweltbehörde Ibama in der vergangenen Woche endgültig grünes Licht für das Megastaudammprojekt Belo Monte im Herzen des Amazonas-Regenwaldes erteilt. Die Genehmigung ist ein Sieg für Präsidentin Dilma Rousseff. Die sieht sich zwar gegenwärtig mit der ersten ernsten Krise seit Amtsantritt im Januar konfrontiert – ihr Kabinettsminister wurde zum Rücktritt gezwungen, weil er einen enormen Zuwachs seines Privatvermögens in kurzer Zeit nicht erklären konnte. Doch mit Belo Monte glaubt Rousseff beim Wahlvolk – und beim Unternehmerlager – punkten zu können. Ebenso wie ihr Vorgänger Luiz Inácio da Silva gehört sie zu den eifrigsten Befürwortern des Projekts, das nach mehr als zwei Jahrzehnten Planung nun wohl realisiert wird.

Der Präsident der Ibama, Curt Trennepohl, erklärte, daß die von seiner Behörde gemachten vierzig Umwelt- und Wirtschaftsauflagen »zufriedengestellt« worden seien. Es sei aber noch nicht möglich gewesen, alle zu erfüllen, da einige langfristig angelegt sind und sich auf die Zeit nach Inbetriebnahme des Wasserkraftwerkes bezögen.

Das Staudammprojekt ist das Herzstück des riesigen staatlichen Infrastrukturprogramms PAC (Programa de Aceleração do Crescimento), das auf den massiven Ausbau von Infrastruktur und die Realisierung von Großprojekten setzt. Man brauche Energie, um zu wachsen, so die Regierung. Und bei dieser Wachstumspolitik spielt die Amazonasregion eine zentrale Rolle. Sie verfügt nicht nur über Potential für Wasserkraft, sondern ist darüber hinaus reich an Bodenschätzen. Das Aluminiumerz Bauxit kommt reichlich vor. Schon jetzt ist die energieintensive Aluminiumindustrie der größte Stromverbraucher in der Region. Die Industrialisierung soll durch weitere Großinvestitionen, wie den Bau eines Stahlwerks in Marabá, vorangetrieben werden.

Umweltbelange werden indes der bedingungslosen Hingabe der brasilianischen Wirtschaftspolitik an das Wachstum untergeordnet. Die Regierung in Brasilia hat das Projekt in Belo Monte trotz langer Kampagnen von Umweltgruppen, Widerstands von Teilen der katholischen Kirche, indigenen Gemeinden und unabhängigen Wissenschaftlern vorangetrieben. All diese Kritiker warnen auch weiterhin vor kaum zu bemessenden Auswirkungen auf das Ökosystem des Xingú und die regionale Sozialstruktur. Durch den Staudamm würde ein Gebiet von rund 440 Quadratkilometern geflutet, 20000 Menschen müßten umgesiedelt werden. Zwar sollen nach Angaben der Ibama nach der aktuellen Planung keine Gebiete indigener Gemeinden mehr überschwemmt werden. Aber die Aufstauung des Xingú verändert deren Möglichkeiten des Fischfangs.

Seit den Regierungsjahren von Präsident Fernando Henrique Cardoso in den Neunzigern haben alle Regierungen den Bau als notwendig angesehen, um »saubere« und günstigere Energie zu gewinnen. Im Bundesstaat Pará war die Staatsanwaltschaft vom ersten Moment an dagegen; Richter hatten die Bauarbeiten zwischenzeitlich immer wieder auf Eis gelegt, da Umweltauf­lagen nicht erfüllt worden seien.

Umweltgruppen und Indigenenverbänden kündigten weiteren Widerstand und neue Gerichtsverfahren gegen Belo Monte an – zumal zusätzliche Dämme in Planung sind. Ebenfalls in der vergangenen Woche erteilte die Ibama die Lizenz für den Bau eines Wasserkraftwerkes in Santo Antônio do Jari. Insgesamt sollen in der Amazonasregion etwa 45000 Megawatt pro Jahr durch Wasserkraftwerke erzeugt werden.

Brasiliens Anstrengungen zum Schutz des Regenwaldes waren zuletzt vermehrt in die Kritik geraten. Mitte Mai wurden Regierung und Öffentlichkeit aufgeschreckt, nachdem Satellitenaufnahmen gezeigt hatten, daß die Abholzungen im Amazonasgebiet zwischen August 2010 und April 2011 um 27 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum zugenommen hatten. Präsidentin Rousseff hatte daraufhin einen Krisenstab einberufen und sogar den Einsatz der Armee erwogen, um die Rodungen zu stoppen. Ende des Monats dann verabschiedete das Bundesparlament mit überwältigender Mehrheit eine Revision des Codigo Forestal (eine Art Waldgesetz). Unter anderem wird damit die als geschützt geltende Regenwaldfläche reduziert. Zudem gibt es eine Amnestieregelung für vor 2008 erfolgte illegale Abholzungen. Das hat unter Umwelt- und Klimaschützern heftige Proteste hervorgerufen. Die Gesetzesänderung muß noch den Senat passieren. Dort gilt eine Zustimmung als relativ sicher. Allerdings könnte die Präsidentin ihr Veto einlegen. Politische Beobachter gehen davon aus, daß sie von diesem Recht Gebrauch machen könnte. Das Klima in der Region ist aufgeheizt, die Goldgräberstimmung der Unternehmer – Holzindustrie, Bergbau, Viehzüchter, Sojabauern – und damit das Tempo der Abholzung kann durch Gesetze und Versordnungen kaum gebremst werden. Das verschärft auch die sozialen Konflikte. So hat es in den vergangenen Wochen im Bundesstaat Pará eine Welle von Morden an Landaktivisten gegeben – dort, wo auch Belo Monte entstehen soll.

* Aus: junge Welt, 10. Juni 2011


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