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Zuckerhut und Peitsche

Mit Franziskus kommen Pilger und Proteste

Von Andreas Behn, Rio de Janeiro *

Papst Franziskus erwarten in Brasilien neue Proteste gegen Pomp und Geldverschwendung. Derweil bedrohen protestantische Pfingstkirchen die Vormachtstellung der Katholiken.

Das Spektakel im Nachbarland des gebürtigen Argentiniers soll die katholische Kirche für ihre Anhänger wieder attraktiv machen, in keinem Land leben so viele Katholiken wie in Brasilien.

Während sich Rio de Janeiro auf den Besuch von zwei Millionen Pilgern vorbereitet, planen die Einheimischen neue Proteste. Für sie ist der Papstbesuch ein weiteres Mega-Event, in einer Reihe mit der Fußball-WM im kommenden Jahr und den Olympischen Spielen 2016. Auftakt war der Confed-Cup im vergangenen Monat, willkommener Anlass, der Wut über gestiegene Lebenshaltungskosten, Immobilienspekulation und Arroganz der Herrschenden Luft zu machen.

Hunderttausende gingen landesweit auf die Straßen, um für bessere öffentliche Dienstleistungen, gegen miserable Verkehrsmittel und Korruption sowie brutale Polizeieinsätze zu demonstrieren. Immer wieder legten Zusammenstöße mit der Polizei ganze Stadtteile lahm, mit brennenden Barrikaden und Verwüstungen. Zuletzt traf es das Nobelviertel Leblon, wo Hunderte Demonstranten die Wohnung des Gouverneurs von Rio, Sergio Cabral, belagerten. Er ist Symbol für Verschwendung öffentlicher Gelder für Stadienbauten und schlecht durchdachte Millioneninvestitionen in Verkehrsprojekte für Großveranstaltungen.

Auch die hohen Ausgaben der öffentlichen Hand für das katholische Woodstock werden kritisiert. Mindestens 80 Millionen Euro wird es den Staat kosten. Erfolglos versuchte die Staatsanwaltschaft, eine zwielichtige Ausschreibung für die Übernahme der Gesundheitsversorgung in Millionenhöhe während des Weltjugendtages zu stoppen.

So bleibt es der Straße überlassen, die Ausgaben für eine religiöse Veranstaltung der nicht gerade armen katholischen Kirche zu hinterfragen. »Der Ruf nach einer gerechteren Welt steht im Einklang mit dem Gedanken des Weltjugendtages«, kommentierte Orani Tempesta, Erzbischof von Rio, die erwarteten neuen Aktionen. Auch Bürgermeister Eduardo Paes, selbst Adressat heftiger Proteste im Juni, glaubt, der Papst sei nicht Objekt des Unmuts der Bevölkerung: »Franziskus ist nicht für die Sünden der brasilianischen Politiker verantwortlich. Aber wenn Korrupte beichten sollten, wird der Papst ihnen vergeben.«

Kritiker der Dominanz religiöser Wertemuster in Brasilien wird diese Ironie nicht besänftigen. Feministinnen kündigten einen Slutwalk (»Schlampenmarsch«) an, die Schwulenbewegung wird für die Homoehe und gegen das Rollback im Bereich der sexuellen Rechte demonstrieren. Der Geheimdienst warnte bereits vor spontanen Protestaktionen, die über die sozialen Netzwerke organisiert werden. Und die Armee stockte die Zahl der Soldaten auf 10 000 Mann auf, um die örtliche Polizei im Verlauf der Woche zu unterstützen. Die Peitsche liegt bereit am Zuckerhut.

Die katholische Kirche in Brasilien erhofft sich vom Papstbesuch neuen Schwung. 65 Prozent der Menschen im größten Land Lateinamerikas sind katholisch, doch vor zehn Jahren waren es noch 74 Prozent. Der Mitgliederschwund liegt vor allem an den evangelikalen Pfingstkirchen, die insbesondere in den Armenviertel enormen Zulauf haben. Jeder fünfte Brasilianer geht mittlerweile in protestantische Kirchen, deren Gottesdienste mit viel Musik und populären Predigten die Menschen mehr anziehen als die strengen katholischen Riten. Zudem schätzen Experten, dass gerade einmal jeder zehnte Katholik in einer Gemeinde aktiv ist. Vom Image des neuen Kirchenoberhauptes werden wahre Wunder erwartet. Vier von zehn Katholiken leben auf dem Subkontinent, hier soll ihre Kirche zeigen, dass sie der Missionierung seitens evangelikaler Pfarrer Paroli bietet.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 23. Juli 2013

Chance für Sündenböcke

In Rio gibt's Ablass satt

Der Weltjugendtag gilt als das größte von der römisch-katholischen Kirche veranstaltete internationale Treffen. Initiator war der polnische Papst Johannes Paul II. 1984 wurde in Rom erstmals das »Internationale Jubiläum der Jugend« gefeiert. Weltjugendtage finden alle zwei bis drei Jahre statt. Köln war als erste deutsche Stadt 2005 Gastgeber, der deutsche Papst Benedikt XVI. ließ sich dort bejubeln. Er nahm auch an den Glaubensfesten 2008 in Sydney und 2011 in Madrid teil. Papst Franziskus kommt nun nach Rio de Janeiro – es ist seine erste Auslandsreise.

Unterdessen hat der Vatikan die Voraussetzungen für den Erhalt eines Ablasses während des Weltjugendtages in Rio präzisiert. Ablass bedeutet nach katholisch-klerikaler Lehre Erlass von sogenannten zeitlichen Sündenstrafen (nicht der Sünden selbst). Für in Rio nicht Anwesende reiche es nicht aus, einfach die Botschaften des Papstes zu lesen, online eine Messe des Weltjugendtages anzuschauen oder den Besuch des Papstes in Brasilien via Livestreaming zu verfolgen, sagte der vatikanische Medienverantwortliche, Erzbischof Claudio Maria Celli, der Tageszeitung »Corriere della Sera«. Einen Ablass erhalte man nicht »wie einen Kaffee am Automaten«, so der Präsident des päpstlichen Medienrates. Entscheidend für den Erhalt eines Ablasses sei, dass die Nutzung der Neuen Medien »geistliche Früchte im Herzen jedes Einzelnen« hervorbringe. Franziskus gewährt zum Weltjugendtag in Rio auch jenen einen vollkommenen Ablass, die das Treffen über die Neuen Medien verfolgen. nd




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