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Brasiliens Öl versteigert

Konsortium bekommt Zuschlag / Kritiker fürchten Ausverkauf der Bodenschätze

Von Andreas Behn, Rio de Janeiro *

Brasilien hat erstmals seit Jahren Konzessionen für ein Ölfeld verkauft. Es gab nur einen Bieter – ganz im Interesse Brasiliens, das seinen Einfluss nicht ganz verlieren will.

Begleitet von heftigen Protesten hat Brasilien am Montag erstmals die Förderrechte für ein Offshore-Ölfeld versteigert. Die Auktion wurde live im Fernsehen übertragen. Versteigert wurden die Förderrechte für das Erdölfeld »Libra«, das rund 180 Kilometer vor der Küste des Bundesstaates Rio de Janeiro liegt. Rund zehn Milliarden Barrel Öl werden dort vermutet. Das entspricht mehr als der Hälfte der bisher nachgewiesenen brasilianischen Erdöl-Reserven.

Den Zuschlag für die Ausbeutung von »Libra« erhielt ein Konsortium aus dem halbstaatlichen brasilianischen Konzern Petrobras, der britisch-niederländischen Shell, dem französischen Total-Konzern und den beiden chinesischen Staatsunternehmen CNPC und CNOOC. Das Konsortium hatte allerdings auch als einziges ein Gebot eingereicht. Weitere Ölkonzerne wie die spanische Repsol, Petronas aus Malaysia und Mitsui aus Japan waren bereits vorher ausgestiegen. Voraussetzung für den Zuschlag war, dass dem brasilianischen Staat ein Anteil von mindestens 41,65 Prozent am Öl zusteht.

Energieminister Edison Lobão bezeichnete die Versteigerung, die mit der Annahme des Mindestgebots endete, dennoch als Erfolg. Brasilien werde mittels Lizenzgebühren, Steuern und dem Einbehalt einer festgelegten Quote des geförderten Öls rund 70 Prozent des Gesamtgewinns aus dem 35 Jahre währenden Fördervertrag einnehmen.

Diesen Beteuerungen scheinen aber viele Brasilianer nicht zu trauen: Heftige Proteste begleiteten die Auktion, Hunderte Demonstranten versuchten, die Absperrungen vor dem Auktionsort im Küstenstadtteil Barra da Tijuca, im Westen der Stadt Rio de Janeiro, zu stürmen. Über tausend Uniformierte sollten das verhindern, sogar das Militär wurde zum Schutz der Veranstaltung mobilisiert. Zahlreiche Protestierer wurden durch Gummigeschosse verletzt.

Bereits seit Donnerstag hatten Erdöl-Arbeiter gegen die Versteigerung gestreikt, die sie als Privatisierung nationaler Ressourcen kritisieren. Der Ausstand unterbrach die Arbeiten auf über zehn Bohrinseln. Zu Wochenbeginn wurden zudem in zahlreichen brasilianischen Städten Raffinerien und Häfen blockiert.

Die Kampagne »Das Öl gehört uns« (o petróleo é nosso) wendet sich seit Jahren gegen eine Privatisierung des unterirdischen Reichtums des Landes. Die Aktivisten plädieren seit der Entdeckung neuer Reserven unter Brasilien dafür, die Ölförderung ausschließlich dem halbstaatlichen Konzern Petrobras zu überlassen. Die Gewinne daraus sollten allein in Brasilien und hier vor allem in Bildung und Gesundheit investiert werden.

Bei dem am Montag versteigerten Ölfeld handelt es sich um ein sogenannte »Pré-Sal«-Ölvorkommen, das tief unter der Salzschicht im Meeresboden liegt. Die Förderung im 6000 Meter tiefen »Pré-Sal« gilt als technisch sehr aufwendig und ist mit großen ökologischen Risiken verbunden. Um es zu fördern, muss zunächst eine dicke Gesteinsschicht und dann noch eine Salzkruste aufgebrochen werden.

Jahrelang hatte Brasilien auf die Versteigerung von Förderrechten verzichtet, um die Richtlinien der Gewinn- und Lastenverteilung umzuformulieren. Auch die Bundesstaaten stritten leidenschaftlich um die Verteilungsquoten, die bisher vor allem die Regionen, in denen das Öl gefördert wird, bevorzugten. Die neue Regelung sieht vor, dass Petrobras grundsätzlich einen Mindestanteil von 30 Prozent an allen Fördervorhaben behält.

Die Regierung argumentiert, dass ohne internationale technische und finanzielle Zusammenarbeit die aufwendige Tiefseeförderung nicht zu realisieren sei. Kritik an dem Verfahren kommt aber nicht nur von linker Seite: In Unternehmerkreisen wird die Richtlinie mit dem Argument kritisiert, der brasilianische Staat behalte sich eine zu große Einflussnahme im Fördergeschäft vor. Dies würde die Investoren verunsichern. US-Unternehmen beteiligten sich aufgrund dieser Vorbehalte gar nicht erst an der Versteigerung.

Von ihr erhofft sich Brasilien Investitionen in Höhe von 180 Milliarden und Einnahmen von insgesamt 350 Milliarden US-Dollar in den kommenden 35 Jahren. Die Ausbeutung des Ölfelds »Libra« soll in zehn Jahren bei über einer Million Barrel täglich liegen. Derzeit produziert das gesamte Land Brasilien gut zwei Millionen Barrel täglich.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 23. Oktober 2013


Profitquelle in 6000 Meter Tiefe

Brasilien vergibt Lizenz zur Ausbeutung gigantischer Ölvorkommen im Atlantik **

Großunternehmen aus Europa und China sollen dem brasilianischen Ölkonzern Petrobras bei der Ausbeutung gigantischer Ölvorkommen vor der Küste des süd­amerikanischen Landes helfen. Der niederländisch-britische Ölmulti Royal Dutch Shell, die französische Total sowie zwei chinesische Konzerne erhielten den Zuschlag. Dies hatte das Energieministerium in Brasilia am Montag mitgeteilt (jW berichtete). Im Lande hatte die Vergabe der 35 Jahre gültigen Konzession zu heftigen Protesten geführt. Demonstranten wandten sich gegen den »Ausverkauf« heimischer Ressourcen. Bei Auseinandersetzungen mit der Polizei wurden fünf Menschen verletzt.

An dem Konsortium zur Förderung der vermuteten Vorkommen im Feld Libra im Atlantik wird Brasiliens halbstaatlicher Energieriese Petrobras mit 40 Prozent beteiligt sein. Jeweils 20 Prozent entfallen auf Shell und Total. Die chinesischen Firmen CNOOC und CNPC sind mit Anteilen von jeweils zehn Prozent vertreten. Und es ist immerhin kein völliger Ausverkauf: Das geförderte Öl geht zu knapp 42 Prozent an den Staat. Das Konsortium war bei der Versteigerung der einzige von zehn Bietern, der diesen Anteil zugestand. Das Ölfeld Libra soll geschätzte zwölf Milliarden Barrel (Faß; 159 Liter) Erdöl enthalten.

Brasiliens Staatspräsidentin Dilma Rousseff wertete den Ausgang der Auktion als »Erfolg«. Die Vergabe der Förderkonzessionen war in Brasilien auf heftigen Widerstand gestoßen. Vor dem Hotel in Rio de Janeiro, in dem das Vergabeverfahren stattfand, demonstrierten Hunderte Menschen. Rund 1000 Polizisten feuerten Tränengas und Gummigeschosse ab. Gewerkschaften kritisieren, die Versteigerung der Förderrechte komme einem Verkauf staatlichen Tafelsilbers gleich. Beschäftigte von Petrobras waren vergangene Woche in einen unbefristeten Streik getreten.

Unternehmen aus den USA beteiligten sich nicht an der Versteigerung. Die Konzernführungen von Exxon und Co. waren zurückgeschreckt, weil sie mögliche Eingriffe des brasilianischen Staates fürchten. Der spanische Multi Repsol war kurz vor der Entscheidung aus dem Rennen gegangen. Mit ihren Geboten unterlagen auch Petronas aus Malaysia, Petrogal aus Portugal, Mitsui aus Japan, Ecopetrol aus Kolumbien und ONGC Videsh aus Indien.

In Brasilien war in diesem Jahr ein Gesetz verabschiedet worden, das dafür sorgen soll, daß Einnahmen aus der Ölförderung in das Gesundheits- und Erziehungssystem fließen. Finanzmarktanalysten und andere einschlägige, dem Wachstumsgedanken anhängende Experten gehen sogar davon aus, daß die Ausbeutung der Ölreserven Brasilien einen massiven Beschäftigungsschub geben und die Wirtschaftsleistung (Bruttoinlandsprodukt) des Landes deutlich erhöhen wird. Allerdings ist das Land auch dafür bekannt, natürliche Ressourcen gnadenlos dem Profitgedanken zu opfern. Resultat sind nach Ansicht großer Umweltschutzorganisationen weiter schwindende Regenwälder und Trockensavannen (Cerrados). Diese machten riesigen Anbauflächen für Genmais und -soja Platz. Trotz staatlicher Regulierung und halbherziger Umweltschutzprogramme werden Jahr für Jahr weitere Flächen gerodet und die Böden durch die Monokulturen später zerstört. Bei der jetzt geplanten Ölförderung geht es zudem um den Aufbruch des Meeresbodens, knapp 200 Kilometer vor der brasilianischen Küste. Die profitträchtigen fossilen Energieträger lagern in 6000 Metern Tiefe und müssen durch äußerst aufwendige – und gefährliche – Verfahren zutage gefördert werden. Eine Katastrophe wie die vor der US-Küste im Jahre 2010 wäre ein Horrorszenario. Damals havarierte die vom britischen Multi BP geleaste Bohrplattform »­Deepwater Horizon« und verseuchte weite Gewässer und Küstengebiete. Die Folgeschäden sind bis heute nicht absehbar oder werden auf Druck der mächtigen Öllobby kleingeredet.

Insgesamt verfügt Brasilien über 15,3 Milliarden Barrel Ölvorräte, die bislang bestätigt wurden. Das Land ist bereits jetzt nach Venezuela der zweitgrößte Erdölproduzent in Lateinamerika. Weltgrößte Ölförderer sind die USA, Rußland und Saudi-Arabien.

** Aus: junge welt, Mittwoch, 23. Oktober 2013


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