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Klerus gegen Frauen

Brasilien: Opposition und Kirchen wettern gegen Liberalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen. Regierung will sexuelle Gewalt stärker verfolgen

Von Andreas Knobloch *

Bereits vor ihrem Amtsantritt hat die neue brasilianische Frauenministerin, Eleonora Menicucci de Oliviera, für Wirbel gesorgt. In der vergangenen Woche versprach sie in einem Interview mit der Tageszeitung Folha de São Paulo, auch als Ministerin die Liberalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen zu verteidigen. »Abtreibung ist eine Frage der Gesundheitspolitik und keine ideologische Frage«, unterstrich die Politikerin. Bei Kirchenvertretern und rechten Politikern rief dies prompt harsche Reaktionen hervor. Der Abgeordnete der oppositionellen PMDB, Eduardo Cunha, kündigte an, daß sich die evangelischen Abgeordneten zusammentun würden, »um die Abtreiberin zu bekämpfen«.

Unter dem Druck der Opposition versuchte Menicucci kurz darauf, die Gemüter zu beruhigen. Dem Kongreß liege ein Projekt vor, das noch von der bis Ende 2010 amtierenden Ministerin Nilcéa Freire stamme und von deren Amtsnachfolgerin Iriny Lopes unterstützt wurde. Es sei also kein Kurswechsel der Regierung zu befürchten. »Dieses Projekt wird im Kongreß durchkommen, wenn die Parlamentarier das wollen und sie seine Bedeutung verstehen. Derzeit können wir in der Exekutive nicht viel machen.« Gleichzeitig machte sie aber klar, daß sie weiter eine Liberalisierung von Abtreibungen anstrebt. Es könne niemanden kalt lassen, wenn immer noch Frauen sterben, weil sie gezwungen seien, illegal abzutreiben. Sie werde sich in der Angelegenheit aber zukünftig nicht mehr äußern. »Meine persönliche Meinung steht in allen Zeitungen, in den Interviews, die ich gegeben habe. Ich wäre nicht ich selbst, wenn ich nicht dazu stehen würde, was ich gesagt habe. Ich vertrete aber nun die Regierung, und meine heutige Position ist die der Regierung.«

Auch Präsidentin Dilma Rousseff unterstrich, daß die neue Ministerin unabhängig von ihrer persönlichen Einstellung die Linie der Regierung vertreten werde. Nach den bestehenden gesetzlichen Regelungen sind in Brasilien Schwangerschaftsabbrüche nur nach Vergewaltigung oder bei Gefahr für das Leben der Mutter erlaubt. Rousseff hatte im Wahlkampf nach dem Boykottaufruf eines katholischen Bischofs Kirchenvertretern versprochen, diese Regelungen nicht anzutasten.

Die Soziologin und Universitätsprofessorin Menicucci, die am Freitag in ihr neues Amt eingeführt wurde, löste die bisherige Ministerin Iriny Lopes ab, die sich um den Bürgermeisterposten in Vitoria bewirbt. Sie ist eine alte Mitstreiterin von Rousseff; während der Militärdiktatur waren sie zusammen inhaftiert. Diese gemeinsame Erfahrung habe sie geprägt und verbinde sie, unterstrich Menicucci. Ihren Posten habe sie aber nicht der Freundschaft mit der Präsidentin zu verdanken. »Mein Lebenslauf befähigt mich für diesen Posten. Eine Regierung wird nicht aus Freunden gebildet.«

Menicucci, die seit langem der feministischen Bewegung angehört, machte klar, daß der Kampf gegen häusliche und sexuelle Gewalt zu ihren Prioritäten als Ministerin gehören werde. »Die Strafbehörden, die Frage der Strafverfolgung müssen weiterentwickelt und neu formuliert werden. Die Sprache der Frauen wird nicht respektiert, nicht gehört. Es ist unannehmbar, daß eine Frau zu den Behörden geht, die zu ihrer Verteidigung da sind, ihre Anzeige erstattet und wieder nach Hause geschickt wird.«

Das brasilianische Verfassungsgericht hat in der vergangenen Woche in einem Urteil festgelegt, daß es der Staatsanwaltschaft auch dann erlaubt sei, Anzeige gegen die Angreifer zu erstatten, wenn mißhandelte oder vergewaltigte Frauen selbst darauf verzichten. Menicucci sprach von einer historischen Errungenschaft. »Heute hat sich in der Gesellschaft die Erkenntnis weitgehend durchgesetzt, daß es ein Verbrechen ist, eine Frau zu schlagen.« Es bleibt abzuwarten, wann sich das auch von dem Recht der Frauen, über ihren eigenen Körper zu entscheiden, sagen läßt.

* Aus: junge Welt, 15. Februar 2012


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