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Kayapó-Indianer warnen Lula

Brasilien will am Xingu drittgrößtes Wasserkraftwerk der Welt bauen

Von Gerhard Dilger, Altamira *

Brasiliens Regierung verfolgt auch unter Lula weiter ein konventionelles Entwicklungsmodell, das auf Großprojekte setzt. Am Amazonas-Nebenfluss Xingu ist der Bau des drittgrößten Wasserkraftwerks der Welt geplant. Die Kapayó-Indianer kündigten auf einem großen Treffen Widerstand an.

Die Botschaft ist eindeutig: »Wir wollen diesen Staudamm nicht«, ruft Indianerführer Yteré Kayapó in der Sporthalle von Altamira und schwingt seine Holzkeule, »wenn die Regierung nicht nachgibt, gibt es Krieg, und viele Menschen werden sterben«. Am Freitag (23. Mai) ging in der Stadt im brasilianischen Bundesstaat Pará ein viertägiges Treffen gegen das geplante Wasserkraftwerk Belo Monte zu Ende.

Zum Eklat war es bereits am Dienstag (20. Mai) gekommen. Auf den Rängen saßen Kleinbauern, Flussanwohner und Schüler, zu beiden Seiten der Piste hunderte Indigene mit üppigem Federschmuck und schwarz-roter Körperbemalung. Paulo Fernando Rezende, Ingenieur des staatlichen Stromkonzerns Eletrobras, hielt eine ausufernde Rede über die Vorzüge des Großstaudamms Belo Monte – nach dem Willen der brasilianischen Regierung soll der Bau in der Urwaldgemeinde Ende 2009 beginnen. Die Details von Rezendes Powerpointpräsentation kamen bei den wenigsten Zuhörern an – sehr wohl jedoch sein siegesbewusster, herablassender Tonfall. Einmal wurde er von einem bedrohlichen Tanz der Indígenas unterbrochen, mehrmals von Buhrufen und Sprechchören. Der Amazonas-Nebenfluss Xingu werde keinesfalls beeinträchtigt, versprach der Ingenieur, ebenso wenig die Indianergebiete. »Brasilien braucht den billigen Wasserstrom, um weiter wachsen zu können«, sagte er.

Nach seiner Rede erhoben sich Dutzende Kayapó unter Kampfgeschrei, stürzten sich auf Rezende, warfen ihn zu Boden und rissen ihm das Hemd vom Leib. Eine Machete fuhr in seinen rechten Oberarm, Minuten später wurde er mit blutverschmiertem Oberkörper aus der Halle geführt. Nach einem Triumphtanz zerschnitten Frauen das Hemd und zündeten es an. »Die Attacke war eine Warnung an die Regierung«, meinte Siranha von den Kayabi, »unsere Fischbestände sind in Gefahr.«

Der Ingenieur hätte sich nach den ersten Buhrufen zurückziehen sollen, sagte Bischof Erwin Kräutler, der Gastgeber des viertägigen Treffens: »Die Gewalt ist bedauerlich, aber verständlich: Jahrelang hat man die Indianer übergangen.« Der Zorn der Indígenas, von denen gut 600 aus 24 Volksgruppen nach Altamira gekommen waren, hat eine lange Vorgeschichte. Vor 19 Jahren schrieb eine der macheteschwingenden Frauen Geschichte: Auf dem ersten Großtreffen gegen das Vorgängerprojekt fuhr Tuíra Kayapó mit der Klinge ihrer Waffe über die Wange eines anderen Stromfunktionärs. Das Bild ging um die Welt. Rockstar Sting, der jetzt eine Solidaritätsadresse schickte, gab Rückendeckung. Die Weltbank musste einen Großkredit zurückziehen, das Projekt wurde abgeblasen.

Doch die Strom- und Baulobby ließ nicht locker: Das Wasserkraftwerk spukte weiterhin durch die Regierungspläne, seit dem Amtsantritt Lula da Silvas 2003 mit neuem Schwung. Ein Dialog mit den Betroffenen fand auch unter dem ehemaligen Gewerkschafter Lula nicht statt. Erst am Montag bezeichnete Energieminister Edison Lobão das Projekt als »unumkehrbar« – trotz juristischer Dauerquerelen. »Auch wenn die Regierung jetzt nicht mehr auf Auslandskredite angewiesen ist, kann der internationale Druck dazu beitragen, dass sie doch noch umdisponiert«, hofft Staatsanwalt Felício Pontes.

Nach den jetzigen Planungen wäre Belo Monte mit einer Spitzenleistung von 11 200 Megawatt der drittgrößte Staudamm der Welt, obwohl nun nicht mehr 1250 Quadratkilometer Regenwald geflutet würden, sondern »nur« noch 400. Nach Regierungsangaben soll der Damm umgerechnet 4,3 Milliarden Euro kosten. Wegen der saisonal stark schwankenden Wasserzufuhr würde er sich allerdings erst nach dem Bau weiterer Staustufen rechnen, sagte der Forscher Célio Bermann. »Brasilien braucht Belo Monte nicht«, rief er unter großem Jubel. »Die Regierung redet immer nur vom Energie-Potenzial der Flüsse in Amazonien, aber nie von ihrer Bedeutung für die Ernährung, den Transport oder die Artenvielfalt.« Dann erinnerte er daran, dass der Großteil der Wasserkraft aus der Region zu Schleuderpreisen an multinationale Aluminumkonzerne geliefert wird. Und Tuíra Kayapó, damals wie heute eine Heldin des Protests, bekräftigte: »Ich werde bis zu meinem Tod gegen den Staudamm kãmpfen«.

* Aus: Neues Deutschland, 24. Mai 2008


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