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"Geschenk Gottes"

Riesiges Ölfeld vor Brasiliens Küste. Regierung will Staat zum Eigentümer machen und stößt dabei auf Widerstand

Von Andreas Knobloch *

Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva hat am Montag ein Gesetzesprojekt zur Ausbeutung riesiger Erdölvorkommen vor der Südostküste Brasiliens verkündet. Die entdeckten Reserven seien ein »Geschenk Gottes«, um das sich der brasilianische Staat wie eine »Mutter« kümmern werde. Der 31. August 2009 sei ein neuer Unabhängigkeitstag Brasiliens. Doch nicht alle sehen Lulas Gesetzesinitiative genauso euphorisch. Denn vor allem geht es um viel Geld, Macht und Einfluß.

Staat vor privat

Vier Projekte möchte die Regierung vom Parlament im Schnellverfahren absegnen lassen. Damit sollen neben der künftigen Rolle des staatlichen Erdölkonzerns Petrobras bei der neu auszurichtenden Erdölförderung und den zu tätigenden Investitionen für die Tiefseebohrungen, die Erschließung und Förderung der neuen Ölfelder auch die Beteiligung ausländischer Unternehmen sowie die Gründung eines neues Staatsunternehmens namens Petrosal geregelt werden.

Die Initiative sieht vor, den brasilianischen Staat zum Eigentümer der Ölfelder zu machen. Es gilt als ausgemacht, daß Petrobras eine mindestens dreißigprozentige Beteiligung an allen Bohrungen und einen bevorzugten Status bei der Erschließung der neuen Ölvorkommen erhält. Private Unternehmen müßten sich demnach mit der Rolle von Dienstleistern zufriedengeben. Der Zuschlag soll künftig an jene Unternehmen gehen, die dem Staat die prozentual höchste Gewinnbeteiligung zugestehen.

Vor allem in Ausland wird die geplante Regelung kritisiert. US-amerikanische Medien wie das Wall Street Journal oder die New York Times warnen vor einer »nationalistischen Wendung« Brasiliens. Die Regierung in Brasilia dagegen preist die poten­tiellen Öleinnahmen in erster Linie als Entwicklungsmotor für die Zukunft des Landes. Sie sollen in einen Sozialfonds zur Finanzierung von Bildungs-, Wissenschafts-, Technologie- und Armutsbekämpfungsprogrammen fließen.

Aber auch in Brasilien sorgen die zu erwartenden Gelder für Diskussionen. Lula will diese unter allen 27 Bundesstaaten gleich verteilen. Dagegen jedoch regt sich Widerstand jener Bundesstaaten, vor deren Küste die Erdölfelder entdeckt wurden: Rio de Janeiro, Sao Paulo und Espíritu Santo. Allerdings hat die Regierung bereits erkennen lassen, daß es durchaus Ausnahmeregelungen geben könnte.

Nicht zuletzt wird die Einstufung des Gesetzespakets als »dringend«, was dem Parlament gerade einmal 90 Tage zur Diskussion und Verabschiedung des Projektes gibt, von verschiedenen Seiten kritisiert. Die spanische Tageszeitung El Pais vermutet einen Zusammenhang mit den im nächsten Jahr anstehenden Präsidentschaftswahlen. So dürfte Lula wenig daran gelegen sein, die Diskussion um Petrobras und die Verteilung der Öleinnahmen bis in den Wahlkampf hinein zu tragen.

Gigantische Reserven

Der wegen eines Korruptionsskandals unter Druck stehende Senatspräsident José Sarney, der bisher von Lula trotz aller Kritik auch aus dessen Partei vorbehaltlos unterstützt wird, verteidigte in einem Interview am Montag die Entscheidung seines Präsidenten. Das Ganze sei bereits ausreichend in der Regierung debattiert worden, deshalb bedürfe es keiner weiteren ausführlichen Diskussion innerhalb des Kongresses, so Sarney.

Bei den gefundenen Reserven handelt es sich um ein riesiges Ölfeld rund 500 Kilometer vor der Küste Brasiliens von einer Größe von 800 Quadratkilometern in rund 7000 Metern Tiefe. Nach offiziellen Angaben sollen dort zwischen 50 und 80 Milliarden Barrel Öl lagern. Das wäre das Sechsfache aller bestätigten brasilianischen Ölreserven. Brasilien würde damit künftig vom Energieimporteur zum Selbstversorger und gar in die Riege der größten Energielieferanten weltweit aufsteigen.

* Aus: junge Welt, 3. September 2009


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