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Rivalen unter sich

Ihre erste große Auslandsreise führt Brasiliens Präsidentin nach China. Beziehungen zum wichtigsten Handelspartner sollen gestärkt werden

Von Andreas Knobloch, Mexiko-Stadt *

Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff trifft sich am heutigen Dienstag in Peking mit ihrem chinesischen Amtskollegen Hu Jintao. Beide Staatsoberhäupter nutzen die Gelegenheit zum politischen und vor allem wirtschaftspolitischen Dialog. Am Donnerstag wollen Roussef und Hu dann am Gipfel der Gruppe wichtiger Schwellenländer BRICS teilnehmen, zu dem Spitzenvertreter aus Rußland, Indien, und Südafrika erwartet werden.

China hat sich in den vergangenen Jahren zu Brasiliens wichtigstem Handelspartner, noch vor den USA, entwickelt. 2010 war die Volksrepublik zugleich größter Investor in dem süd­amerikanischen Land. Umgerechnet mehr als 30 Milliarden US-Dollar flossen aus Peking. Für Chinas stetig wachsende Wirtschaft ist Brasilien eine bedeutende Rohstoffquelle. Öl, Eisenerz und Sojabohnen machen 80 Prozent der chinesischen Importe aus der größten Volkswirtschaft Südamerikas aus. In die Erschließung dieser Ressourcen fließen zugleich 90 Prozent der Investitionen aus dem Reich der Mitte. Die Chinesen setzen auf ein nachhaltiges Wachstum ihrer Wirtschaft. Ein stetiger Nachschub an Energieträgern und Rohstoffen ist dafür unentbehrlich, weshalb Peking sich auch in anderen Staaten Südamerikas wie Ecuador, Peru oder Venezuela engagiert.

Dabei kauft die nach den USA zweitgrößte globale Wirtschaftsmacht nicht nur Rohmaterialien auf, sondern investiert in die gesamte Produktionskette. China erwirbt Land für den Anbau landwirtschaftlicher Produkte und pumpt Geld in die verarbeitende Industrie, beispielsweise in die Sojaveredelung. Brasilien ist weltweit zweitgrößter Produzent von Soja, im Jahr 2010 wurden 68 Millionen Tonnen geerntet. Bereits in sechs Bundesstaaten haben chinesische Firmen Land gekauft und bauen dort zusammen mit lokalen Landwirten die Eiweiß- und Energiepflanze an.

Ein kürzlich verabschiedetes Gesetz, das solche Landerwerb für Nicht-Brasilianer Grenzen setzt, hat inzwischen dazu geführt, daß China andere Wege sucht, bei der Sojaproduktion mitzumischen – zum Teil über brasilianische Subunternehmen. Die Firma Zhejiang Fu Di hat über ihre brasilianische Filiale Sol Agrícola 16000 Hektar Land in Tocatins, und weitere tausend Hektar in Rio Grande do Sul gekauft. Es wird zudem erwartet, daß die chinesische Firmengruppe Chonqing Grain (CGG) umgerechnet 2,4 Milliarden US-Dollar in einen Agrarkomplex und den Infrastrukturausbau im Nordosten Brasiliens investiert. Der Deal wird vermutlich während Rousseffs Visite besiegelt werden. Wirtschaftsfachleuten zufolge sind Chinas Planer daran interessiert, die Abhängigkeit des Landes von den Schwankungen des Weltmarktpreises für Soja zu verringern. Mit den Investitionen in die gesamte Produktionskette sollen zudem US-Unternehmen als Zwischenhändler ausgeschaltet werden.

Brasiliens weiterer Aufstieg zur Wirtschaftsmacht hängt nicht zuletzt vom Ausbau seiner schwachen Infrastruktur ab. China ist auch in diesem Bereich aktiv. So wird derzeit in Açu im Bundesstaat Rio de Janeiro der größte Industriehafenkomplex der Welt errichtet, der im nächsten Jahr eröffnet werden soll.

Bei Rousseffs Peking-Visite wird sie von rund 300 Wirtschaftsmanagern begleitet. Mehr als zwanzig Abkommen, u.a. in den Bereichen Verteidigung, Landwirtschaft, Bildung, sollen unterzeichnet werden.

Brasilien hat eine Menge zu gewinnen im Handel mit der neuen Wirtschaftssupermacht. Im Jahr 2010 belief sich bei einem Handelsvolumen von 56 Milliarden Dollar der Bilanzüberschuß auf mehr als fünf Milliarden. Gegenüber 2009 war das ein Anstieg von 52 Prozent. Gleichzeitig aber ist China Brasiliens größter Konkurrent beim Absatz von Waren – vor allem in Lateinamerika. Deshalb ist die Regierung an einem Wandel der Geschäftsbeziehungen interessiert. So will man beispielsweise mehr hochwertige Endprodukte in China absetzen. Ein Problem für Brasilien ist dabei die eigene starke Währung. Der Real hat – nicht zuletzt wegen der massiven ausländischen Investitionen – im Jahr 2010 4,6 Prozent gegenüber dem US-Dollar gewonnen. 2009 waren es sogar 32,7 Prozent. Das macht Exporte auf Dollarbasis teurer.

Konkret hofft Brasilia auf grünes Licht von Peking für den Kauf von Verkehrsflugzeugen des brasilianischen Herstellers Embraer, der auch eine Fabrik im Partnerland betreibt. Zuletzt hatte es Bedenken auf chinesischer Seite wegen der Kosten gegeben. Doch kurz vor Rousseffs Reise gab es positive Signale. Jetzt sieht es so aus, als ob China 50 mittelgroße und 25 kleinere Flugzeuge von Embraer bestellen wird.

Die Wirtschaftsverantwortlichen zwischen Rio de Janeiro und Sao Paulo erwarten keinen unmittelbaren Wandel in der chinesischen Handelspolitik. Dennoch hoffen die potentiellen Exporteure auf eine Öffnung des dortigen Marktes für Lebensmittel wie Rind- und Schweinefleisch, die bisher noch Einfuhrbeschränkungen unterliegen. Brasilien ist einer der größten Schweinefleischproduzenten der Welt, China der größte Konsument. Zudem investieren chinesische Energiekonzerne kräftig in Brasiliens Offshore-Vorkommen an Erdöl und -gas.

* Aus: junge Welt, 12. April 2011


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