Brasilien buckelt nicht vor BASF
Kassationsurteil im Paulinía-Giftskandal: Weltgrößtes Chemieunternehmen muss Millionenentschädigungen zahlen
Von Benjamin Beutler *
Ein brasilianisches Gericht verurteilte
BASF und Shell zu Millionenentschädigungen
an vergiftete Ex-Arbeiter
einer Agrochemiefabrik.
Jetzt muss BASF wohl doch etwas
tiefer ins Portemonnaie greifen:
Am Montag verurteilte ein Gericht
in Brasilien den Chemiegiganten
aus Ludwigshafen gemeinsam mit
dem niederländischen Erdölriesen
Royal Dutch Shell zur Hinterlegung
von einer Milliarde Reals (rund 395
Millionen Euro) für einen Arbeiterentschädigungsfonds.
Auf diese Höhe schätzt das Arbeitsgericht im
Bundesstaat Sao Paulo den Wert
der Entschädigungen, welche beide
Betreiber der skandalträchtigen
Agrochemie-Fabrik Paulinía (SP)
bei Verurteilung im Fall einer noch
anhängigen Sammelklage von über
1000 Geschädigten zu zahlen hätten.
Bis zur endgültigen Entscheidung
soll das Geld auf einem
Sperrkonto eingefroren bleiben.
Bisher versucht der weltweit
größte Hersteller von Agro-Chemikalien
eine Verurteilung im
Paulinía-Giftskandal über Revisionsverfahren
auf die lange Bank zu
schieben. Doch langsam wird die
Luft für BASF dünner Das Unternehmen
plant zwischen 2011 und
2015 weltweite Neuinvestitionen
von rund 15 Milliarden Euro – davon
30 bis 40 Prozent in Schwellenländer
in Asien und Lateinamerika.
Ein letztes Urteil vom Mai
2012, wobei ein Gericht unterer
Instanz das Begehren der Staatsanwaltschaft
auf Hinterlegung der
Millionengarantie abgelehnt hatte,
ist mit der jüngsten Entscheidung
hinfällig. BASF S.A., hundertprozentige
Tochter des deutschen
Mutterkonzerns, aber bleibt hart.
Unmittelbar nach Bekanntwerden
der Entscheidung kündigte die
Firmenleitung Berufung an.
Brasiliens Justiz aber will sich
vom »Global Player« aus Deutschland
nicht in die Knie zwingen lassen.
BASF und Shell hätten einen
»kollektiven moralischen Schaden
« verursacht, so Arbeitsrichterin
María Inés Correa Cerqueira.
Am Montag ordnete sie nicht nur
die Millionengarantiehinterlegung
an. Auch akzeptierte sie die Aufnahme
von weiteren Klägern in
den Entschädigungsprozess. Hatten
bei Verfahrensbeginn vor fünf
Jahren 772 Personen die Justiz
angerufen, sind heute 1142 Geschädigte
Mitankläger, so Informationen
aus Gerichtskreisen.
Der Paulinía-Skandal ist ein
Lehrstück dafür, wie Multis aus
den Industrieländern Umwelt- und
Sozialstandards durch Verlagerung
in den Süden aushebeln. Laut
dem Arbeitsministerium von
Campinas nahe Paulinía ist die
Pestizidfabrik Auslöser »einer der
schlimmsten Umweltverschmutzungen,
die jemals in Brasilien
passiert sind«. In den letzten Jahren
starben mindestens 61 Ex-Angestellte
an Vergiftungsfolgen. »Es
wurden viele Untersuchungen gemacht,
die zu dem Schluss führen
dass es Vergiftung des Wassers,
der Luft und des Boden gab«, sagte
Staatsanwältin Clarissa Ribeiro
Ende Mai. Infolgedessen litten viele
Personen an Krebs und Bauchspeicheldrüsenproblemen.
Über Jahrzehnte habe die Anlage
125 Kilometer nordwestlich
der Millionenstadt Sao Paulo hunderte
Angestellte und die Umgebung
verseucht. 1974 in Betrieb
genommen von Shell, kurzzeitig
übernommen von der American
Cyanamid, war die Anlage zur
Herstellung hochgiftiger Schädlingsbekämpfungsmittel
bis zur
Schließung 2002 im Besitz von
BASF. Das Unternehmen hatte die
Fabrik 2000 gekauft stellte auch
weiter das Pestizid Azodrin her.
Nach hunderten Beschwerden
wurde das Arbeitsministerium tätig
und leitete das Klageverfahren
ein. Ende 2002 erklärte BASF das
Werk für geschlossen. Wenig später
verboten die Behörden jegliche
Nutzung der Anlagen.
* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 4. Juli 2012
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