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Deutsche Atomtechnologie für Brasilien?

Profitables Geschäft, Staatsräson oder einfach nur "doppelte Standards"?

Die Bundesregierung ist geneigt, Brasilien beim weiteren Aufbau seiner Atomenergieanlagen zu helfen - mit Technologieexport und Hermes-Bürgschaften. Anders als im Fall des Iran stößt sich niemand daran, dass das größte Land Lateinamerikas mit der Errichtung einer Urananreicherungsanlage (in Resende) im vergangenen Jahr die Voraussetzung dafür geschaffen hat, einen geschlossenen Brennstoffkreislauf herzustellen und damit atomtechnologisch zu den "Großen" zu gehören. "Doppelte Standards" gehören schon länger zur Praxis der westlichen Staaten in der Internationalen Politik. Die Wiener Atomenergiebehörde IAEO und der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen haben sich diese Praxis ebenfalls zu eigen gemacht, indem sie in den einschlägigen Resolutionen (IAEO-Resolution vom 4. Februar 2006, UN-Resolution 1737 vom 23. Dezember 2006) vom Iran den Verzicht auf die Urananreicherung verlangen, obwohl das nach den internationalen Verträgen (Statut der IAEO sowie Atomwaffensperrvertrag) ausdrücklich erlaubt ist.
Nun haben die Fraktionen von Bündnis90/Die Grünen und der LINKEN eine Initiative gestartet, den deutsch-brasilianischen Atomdeal zu behindern. Davon handelt der folgende Artikel sowie der dokumentierte Antrag der Fraktion der GRÜNEN.



Streit über Hilfe für Brasilien

Regierung Lula sucht deutsches Geld und Know-how für neue AKW

Von Gerhard Dilger, Porto Alegre *

Als sich die brasilianische Regierung im November 2004 dazu bereit erklärte, das deutsch-brasilianische Atomabkommen aus dem Jahr 1975 zu kündigen, feierten Umweltaktivisten beiderseits des Atlantiks. Bis dato hatte vor allem der Siemens-Konzern von dem Atomvertrag profitiert. Nun sollte dieser durch einen Vertrag über die Förderung von Ökoenergien ersetzt werden. Doch daraus wurde nichts. Denn 2005 gab es überraschend Neuwahlen in Deutschland.

Am letzten Donnerstag (1. März) unternahmen die Bündnisgrünen einen neuen Vorstoß. Im Bundestag brachten sie einen Antrag ein, wonach Atomanlagen in Brasilien künftig nicht mehr von Staats wegen gefördert oder über Hermes-Kredite abgesichert werden sollen. Der brasilianischen Regierung, aber auch den Atomfans bei CDU/CSU und FDP gefällt das grüne Ansinnen gar nicht. Und Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva hatte die atomare Option noch nie ausschließen wollen.

Im vergangenen Jahr etwa nahm die Urananreicherungsanlage in Resende bei Rio ihren Betrieb auf. Anders als 2004 war dies für Washington kein Thema mehr – ähnlich wie Indien ist Brasilien für die US-Regierung in Atomfragen mittlerweile ein unverzichtbarer Partner. Darüber hinaus sind zwei weitere Meiler in in Angra dos Reis, einem Badeort südlich von Rio de Janeiro, in Betrieb. Volkswirtschaftlich sind sie ein Desaster: Die dort produzierten Kilowattstunden sind die mit Abstand teuersten im ganzen Land. Brasiliens Atomlobby drängt aber trotzdem auf den Bau neuer Kraftwerke. Im Anhang des kürzlich von der Regierung präsentierten »Wachstumsbeschleunigungsplans« sind gleich sieben geplante Atomkraftwerke aufgeführt. Genehmigt sind sie indes noch nicht.

Die endgültige Entscheidung stehe noch aus, sagt Präsidialamtsministerin Dilma Rousseff. Auf die heikelste Frage hat Präsident Lula nämlich noch keine Antwort gefunden: Soll das Siemens-AKW Angra 3 fertiggestellt werden? Die Bauteile lagern dort seit Anfang der achtziger Jahre, allein das kostet 20 Millionen Dollar im Jahr. Doch noch viel kostspieliger wäre die Fertigstellung – die anvisierten 1,3 Milliarden Dollar dürften weit übertroffen werden. Auch deswegen hat die Regierung noch keinen Startschuss gegeben, den Reaktor aufzubauen.

Die französische Firma Areva, in die Siemens zwischenzeitlich seinen Nuklearbereich ausgelagert hat, steht für die Montage längst bereit. Zusammen mit der französischen Außenhandelministerin besuchte Areva-Chefin Anne Lauvergeon vor Wochen die Atomanlage in Angra. In der Regierung Lula stemmt sich vor allem die Umweltministerin Marina Silva gegen das Projekt. Die Endlagerung des Atommülls sei nicht geklärt, wendet sie immer wieder ein.

Die Grünen fürchten, dass Firmen bei der Bundesregierung eine Hermes-Bürgschaft für die Fertigstellung von Angra 3 beantragen könnten. Dem wollten sie mit ihrem Antrag im Bundestag für den neuen deutsch-brasilianischen Energievertrag vorbeugen. Am Donnerstag erzielten sie zumindest einen symbolischen Erfolg: Während sich die Redner von Union und FDP als Atomfans bekannten, reihte sich sich die SPD inhaltlich klar in die Anti-Atom-Front aus Grünen und Linkspartei ein. Die relativierende Aussage der Sozialdemokratin Bärbel Kofler, die Forderungen des Antrags hätten sich jedoch »durch praktisches Regierungshandeln bereits erledigt«, wies der Grüne Thilo Hoppe zurück: Nach wie vor gebe es in Deutschland wie in Brasilien »ein Tauziehen, einen Streit zwischen den Ressorts. Aber das deutsche Wirtschaftsministerium vertritt jetzt stärker die Position, dass die nukleare Komponente auch in dem neuen Abkommen verankert und verewigt werden soll.«

»Der Atomexport zum Nutzen der deutschen Konzerne wird auch diejenigen in der Großen Koalition stärken, die sowieso nie etwas anderes als den weiteren Ausbau des Nuklearstandortes Deutschland wollten«, sagte der Linke Hüseyin-Kenan Aydin. In diesen Tagen fährt erst einmal Bundespräsident Horst Köhler nach Brasilien. 13 deutsche Umweltgruppen riefen ihn dazu auf, sich »für den Ausbau der erneuerbaren Energien« einzusetzen.

* Aus: Neues Deutschland, 5. März 2007

Unzeitgemäß: Atomvertrag mit Brasilien

1. März 2007

Der deutsch-brasilianische Atomvertrag soll durch einen Erneuerbare-Energien-Vertrag, der im Geiste des Klimaschutzes steht, ersetzt werden. Dadurch möchten wir ein Kapitel beenden, das 1975 zur Zeit der Militärdiktatur in Brasilien geschrieben wurde und nicht mehr zeitgemäß ist. Wir wollen ein neues Kapitel aufschlagen und eine zukunftsträchtige Energiepartnerschaft voranbringen, die auf Klimaschutz, nachhaltige Energieversorgung und Entwicklung setzt. Eine solche strategische Zusammenarbeit könnte energiepolitischen Modellcharakter auch für andere Länder haben.

Auf diplomatischer Ebene wurde das Ende des Atomvertrages bereits im November 2004 im beidseitigen Einvernehmen angekündigt. Statt diese Chance beim Schopf zu packen, verhindert das Wirtschaftsministerium seither ein neues Abkommen. Das BMWi will sich auch weiterhin die kontroverse Nuklearoption offen halten, im Zusammenspiel mit der Atomlobby in Deutschland und Brasilien.

Atomkraft energiepolitisch irrelevant

In der Energiematrix Brasiliens hat die Atomenergie lediglich ein Gewicht von 1,2 Ptrozent, ist energiepolitisch also vollkommen unbedeutend. Glücklicherweise wurden von den acht 1975 geplanten Atomkraftwerken nur eins, Angra 2, fertig gestellt. Die Finanznot Brasiliens hatte zumindest diese positive Begleiterscheinung. Die geringe energiepolitische Bedeutung der Atomkraft lässt gleichzeitig die wirkliche Absicht der brasilianischen Miltärjunta von 1975 erahnen: Brasilien sollte zur Nuklearmacht aufsteigen. Das Streben nach Urananreicherung und Wiederaufarbeitung hat bis heute überall auf der Welt selten andere Ziele. Brasilien verfolgte, als es merkte, dass über den Atomvertrag mit Deutschland kein entsprechender Technologietransfer zustande kam, ein geheimes Parallelprogramm.

Brasilien - Land der erneuerbaren Energien

Während die Atomkraft für die Energiepolitik Brasiliens bedeutungslos ist, haben die erneuerbaren Energien eine hervorragende Rolle im Energiemix des Landes: Biomasse, Biotreibstoffe, Wasserkraft. Die Stromerzeugung basiert hauptsächlich auf Wasserkraft und kann hervorragend durch Wind- und Solarenergie ergänzt werden. Große Möglichkeiten eröffnen sich auch aus entwicklungspolitischer Perspektive. Die dezentrale ländliche Energieversorgung trägt unmittelbar zur Armutsbekämpfung bei. Die brasilianische Regierung hat vor kurzem ein Nationales Programm zur Produktion von Biodiesel aufgelegt. Dieses verfolgt gleichzeitig Umweltziele, Armutsbekämpfung und die wirtschaftliche Stimulierung von ländlichen Regionen in den ärmsten Landesteilen des Nordostens und Nordens. Die Produktion ist mit einem Sozialsiegel versehen und soll hauptsächlich Kleinbauern begünstigen.

Durch die Rehabilitierung von Wasserkraftwerken und die Erneuerung von Transmissionssystemen können schnell mehrere AKWs eingespart werden. Also, es gäbe viel zu tun, aber die Devise der Bundesregierung scheint zu sein, es nicht anzupacken. Zukunftsfähige Energiekooperation wird auf dem Altar einer überkommenen Atompartnerschaft geopfert.

Atomausstieg auch in der Außenwirtschaft notwendig

Trotz besiegeltem Atomausstieg im Inland, tut sich die Bundesregierung unglaublich schwer die gleichen Regeln auch für die Außenwirtschaft gelten zu lassen. Die Hermes-Umweltleitlinen sagen, dass keine Atomexporte mehr mit öffentlichen Bürgschaften und Garantien gefördert werden dürfen. Das Wirtschaftsministerium versucht jetzt Zulieferungen zu einem Atomkraftwerk so großzügig zu definieren, dass davon bereits 80 Prozent eines AKWs betroffen wären. Wir sagen "Null Toleranz": keinerlei Zulieferungen zum Neubau von Atomkraftwerken! Keine Hermes-Unterstützung für Bau von Angra 3, falls Brasiliens sich tatsächlich für den im eigenen Land höchst umstrittenen Bau entscheiden sollte.

Wir fordern die Bundesregierung auf nicht weiter Wasser auf die Mühlen der Atomlobby zu gießen, weder bei uns noch in Brasilien. Bringen sie eine Energiepartnerschaft voran, die im Geiste des Klimaschutz steht! Aber auch die brasilianische Seite muss sich entscheiden. Wenn sie weiterhin die Atomkarte in den bilateralen Verhandlungen aufblitzen lässt, trägt sie dazu bei, dass in attraktiven Bereichen wie Biotreibstoffen und Energieeffizienz nichts voran geht.

Quelle: Homepage der Bundestagsfraktion von Bü90/Grüne; www.gruene-bundestag.de




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