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Aliens bedrohen Rios Artenvielfalt

Invasive Arten kommen auch durch Entwicklungsprogramme ins Land

Von Norbert Suchanek, Rio de Janeiro *

Brasiliens Atlantischer Regenwald gilt als eine der artenreichsten Regionen der Welt. Doch nicht nur die -- allen Naturschutzgesetzen zum Trotz -- fortschreitende Abholzung, Zersiedelung und Umweltverschmutzung bedrohen das hauptsächlich in den Südoststaaten Santa Catarina, Paraná, São Paulo, Rio de Janeiro und Espirito Santo vorkommende Regenwaldökosystem. Auch sogenannte invasive Arten machen ihm zunehmend zu schaffen.

226 aus anderen Ländern und Regionen eingeschleppte Tier- und Pflanzenarten machte die Universität von Rio de Janeiro (UERJ) und das Institut Biomas jüngst im Bundesstaat Rio de Janeiro aus. So haben Rio de Janeiros heimische Affenarten, Löwenmähnenäffchen (Leontopithecus rosalia), Weißpinseläffchen (Callithrix aurita) und Gelbkopfäffchen (Callithrix flaviceps) mit den einst als Haustier mitgebrachten Schwarzpinseläffchen (Callithrix penicillata) zu kämpfen. Der entfernte Verwandte aus der Cerrado-Region Nordostbrasiliens konkurriert nicht nur um Nahrung und Lebensraum, sondern auch um die heimischen Callithrix-Weibchen. Vor allem im Stadtgebiet Rio de Janeiros haben die Nordost-Verwandten schon seit einiger Zeit das Heft in der Hand.

Nicht nur für die Biodiversität sondern auch für die Bevölkerung wurde die Riesenachatschnecke (Achatina fulica) zum ernsten Problem. Sie verbreitet sich schier ungebremst im Staate Rio und mit ihr der schwere Krankheiten auslösende, asiatische Rattenlungenwurm, der die einst als Fleischlieferant aus Afrika eingeführte Schnecke als Zwischenwirt nutzt.

Unter den 129 registrierten pflanzlichen Invasoren steht der Jackfruchtbaum (Artocarpus heterophyllus), in Brasilien Jaqueira genannt, mit an erster Stelle. Seine über zehn Kilogramm schweren Früchte sind zwar eine tropische Köstlichkeit, deshalb wurde er auch von den Europäern eingeführt. Doch dieser südostasiatische Baum verdrängt inzwischen viele einheimische Arten des Atlantischen Regenwaldes. Der zeichnet sich normalerweise durch eine hohe Vielfalt an Bäumen aus. In noch ungeschädigten Regionen finden sich bis zu 400 einheimische Baumarten je Hektar.

Nicht besser sieht es zu Wasser aus. Einer der Hauptfeinde stammt aus dem afrikanischen Kongobecken: der Tilapia-Barsch, eingeführt als Zuchtfisch für die Aquakultur. Der Allesfresser verbreitet sich zusehends über Stauseen, Lagunen und Flüsse Südost- und Nordostbrasiliens, gefördert von »Entwicklungsprogrammen« der Regierung.

In ganz Brasilien wird derzeit an einer Liste der Bioinvasoren gearbeitet. Denn das Land hat sich mit der Unterzeichnung des internationalen »Übereinkommens zum Schutz der Biologischen Artenvielfalt« zur Bekämpfung »invasiver Arten« verpflichtet. Größtes Hindernis sind allerdings staatliche Stellen wie die Agentur für Agrarentwicklung, Embrapa, die selbst für die Verbreitung exotischer Invasoren wie Rizinus (zur Biodieselproduktion) oder eben des Kongo-Barschs Tilapia mitverantwortlich ist. So ist die Embrapa seit einiger Zeit dabei, die unter starken Bestandsrückgängen leidenden Flussfischer des Rio São Francisco zu Züchtern des Kongo-Barsches zu machen. Die Tilapias werden dabei -- wie Zuchtlachse in Meeresbuchten und Fjorden -- in im Fluss verankerten Käfigen gemästet. Die Folgen: Wasserverschmutzung durch Fischfäkalien, Futtermittelreste und Pharmazeutika. Zudem brechen immer wieder Fische aus. Dabei leidet die Tier- und Pflanzenwelt des Rio São Francisco bereits stark unter städtischen Abwässern und Staudämmen.

* Aus: Neues Deutschland, 22. Juni 2009


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