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Droht Bosnien zu explodieren?

Abkommen von Dayton auf dem Prüfstand

Von Von Marko Winter *

»Wenn die Kosovaren sich unabhängig von Serbien machen, droht Bosnien zu explodieren«, prophezeite dieser Tage die italienische Tageszeitung »La Stampa«. Derweil hat der Hohe Repräsentant der EU für Bosnien und Herzegowina, der Slowake Miroslav Lajcak, mit seinen Direktiven die bisher schwerste politische Krise seit dem Friedensabkommen von Dayton vor 12 Jahren ausgelöst.

Das Abkommen von Dayton hatte den Bürgerkrieg in Bosnien beendet, dem Land zugleich jedoch eine komplizierte Struktur verordnet: Bosnien und Herzegowina besteht seither aus zwei »Entitäten« – der Föderation Bosnien und Herzegowina, in der mehrheitlich Bosniaken (Muslime) und Kroaten leben, und der Serbischen Republik (RS). Die Föderation ihrerseits hat zehn Kantone mit eigenen Regierungen und Parlamenten, die übergroßen Finanz- und Verwaltungsaufwand verursachen, ohne die Interessen der Bosniaken und der Kroaten zu befriedigen. Vor allem aber die relative Selbstständigkeit der Serbischen Republik, die das Recht auf Sonderbeziehungen zu Serbien hat, ist vielen ein Dorn im Auge.

Über allen Institutionen wacht der Hohe Repräsentant der internationalen Gemeinschaft (OHR), der die Einhaltung des Daytoner Abkommens und der darin festgeschriebenen Verfassungsprinzipien sichern soll. Ausgerüstet mit den »Bonner Vollmachten«, kann er Beschlüsse aller Parlamente und Regierungen aufheben und sogar gewählte Amtsträger einschließlich der Präsidenten abberufen. Ursprünglich sollte diese Funktion in diesem Jahr abgeschafft werden, da sie mit der Souveränität eines Staates unvereinbar ist. Vorher jedoch sollte der Gesamtstaat durch Reformen »regierbar« gemacht werden.

Die Führung der Serbischen Republik ist indes nicht bereit, weitere Kompetenzen an die zentralen Organe in Sarajevo abzutreten – etwa durch die Bildung einer einheitlichen Polizei. Andererseits war die Partei für Bosnien und Herzegowina (SBiH) unter Haris Silajdzic, dem bosniakischen Vertreter im dreiköpfigen Staatspräsidium, gegen eine Verfassungsänderung, die der Serbischen Republik noch zu viel Eigenständigkeit zubilligt. Silajdzic strebt nach einem Einheitsstaat. Erst vor wenigen Tagen warb er in den USA dafür, dass der Kongress in einer Resolution die Abschaffung der serbischen Entität fordert.

Obwohl dies ein Bruch des Dayton-Abkommens wäre, droht Silajdzic keineswegs die Abberufung von seinem Posten. Denn auch der Hohe Repräsentant Miroslav Lajcak ist eifrig bemüht, die Kompetenzen der Serbischen Republik einzuschränken, indem er das Prinzip aushöhlt, wonach wichtige Entscheidungen von allen drei staatstragenden Völkern getragen werden müssen. Einer von Lajcak verordneten Gesetzesänderung zufolge soll Bosniens Ministerrat künftig Beschlüsse mit einfacher Mehrheit fassen. Bisher war die Zustimmung von mindestens zwei Ministern jeder Nationalität erforderlich. Auch das Parlament des Gesamtstaates wurde beauftragt, seine Geschäftsordnung so zu ändern, dass einfache Mehrheitsbeschlüsse möglich werden. Dadurch könnten die Vertreter der Serben in Ministerrat und Parlament des Gesamtstaates künftig überstimmt werden.

Der Protest der Serben gegen diese Anordnungen fiel deutlich aus. Der Vorsitzende des gesamtbosnischen Ministerrats, der Serbe Nikola Spiric, erklärte seinen Rücktritt. Als geschäftsführende Regierung kann das Gremium derzeit nur noch die laufenden Aufgaben wahrnehmen. Mehrere serbische Vertreter im Parlament haben ebenfalls ihren Rücktritt angekündigt, falls Lajcaks Verordnungen umgesetzt werden. Die in der Serbischen Republik regierenden Unabhängigen Sozialdemokraten (SNSD) unter Milorad Dodik und die Partei des Demokratischen Fortschritts (PDP) haben für diesen Fall angekündigt, dass sie in die Opposition wechseln werden. Das würde bedeuten, dass die zentralen Organe in Sarajevo nicht mehr handlungsfähig wären.

Serbien als Mitunterzeichner und Garant des Abkommens von Dayton sieht in Lajcaks Agieren einen Zusammenhang mit dem Geschehen in und um Kosovo: Während die USA und maßgebliche EUStaaten das Unabhängigkeitsstreben Kosovos unterstützen, wollten sie der Serbischen Republik jegliche Möglichkeit der Trennung von Bosnien nehmen.

Lajcak, unterstützt aus Washington und Brüssel, ist indes bisher nicht bereit, seine Entscheidungen zu revidieren. Wahrscheinlich sind es nur die Einigkeit der serbischen Parteien und die Proteste der Bevölkerung, die ihn abgehalten haben, Milorad Dodik als Regierungschef der Serbischen Republik abzulösen.

Für Donnerstag (22. November) hat Haris Silajdzic ein Treffen der sechs Parteien einberufen, die die Mehrheit im gesamtbosnischen Parlament bilden. Erneut soll über Polizeireform und die Änderung der Verfassung beraten werden.

* Aus: Neues Deutschland, 21. November 2007


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