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Großer Rückhalt

Boliviens linker Präsident Evo Morales steht vor der Wiederwahl. Die Opposition hofft auf Stimmenteilung

Von Benjamin Beutler *

Kurz vor den Wahlen in Bolivien hat der Kandidat der regierenden »Bewegung zum Sozialismus« (MAS), Evo Morales Ayma, seine Anhänger aufgefordert, »oben und unten« für seine Partei zu stimmen. Auf einer Wahlkampfparty im Amazonas-Bundesstaat Santa Cruz erklärte der 54jährige Staatschef am Dienstag abend (Ortszeit), es dürfe »keine Stimmenteilung« geben. Darauf setze die Opposition bei der Abstimmung über Präsidentenamt, Vizepräsidentschaft und Mitglieder von Senat und Abgeordnetenhaus am Sonntag, erklärte Morales, der in den jüngsten Umfragen mit 57 bis 59 Prozent haushoch führt. Nach seinem Wahlsieg im Dezember 2005 und der Wiederwahl 2009 unter einer neuen Verfassung bewirbt sich der Chef der Kokabauerngewerkschaft erneut um das oberste Amt bis 2020, auch der bisherige Vizepräsident Álvaro García tritt wieder an. »Stimmt für Evo, stimmt für Álvaro, eure Stimmen werden als Infrastruktur und Bauvorhaben zu euch zurückkommen«, warb der Sohn einer armen Bauernfamilie in der Stadt Santa Cruz, Bastion der rechten Tieflandoligarchie. Am Mittwoch beendete Morales seinen Wahlkampf in der Andenstadt El Alto.

Allein ein Stimmensplitting würde eine leichte Machtverschiebung in der 11-Millionen-Einwohner-Nation möglich machen. Verliert Boliviens Linkspartei im Kongress ihre komfortable Zweidrittelmehrheit der letzten fünf Jahre, könnte das gegnerische Lager Gesetze wieder blockieren. Auf nationaler Ebene kann die Morales-Regierung Erfolge vorweisen wie zwei Millionen weniger Arme durch Sozialprogramme, Rekordwachstum in Südamerika, einen boomenden Binnenmarkt, steigende Löhne und Absenkung des Rentenalters. Die Oppositionskandidaten aller Lager haben nur in den Wahlkreisen Chancen, der MAS etwas entgegenzustellen.

Bei den Regional- und Kommunalwahlen 2010 hatte das Linksbündnis Bürgermeisterämter in sieben Großstädten verloren. Wichtige Metropolen wie La Paz und Oruro gingen an die sozialdemokratische »Bewegung ohne Angst« (MSM), einstige Koalitionspartnerin und ehemalige Verbündete des Morales-Lagers. Allerdings eroberte die »Regierung der sozialen Bewegung« vor vier Jahren problemlos sechs von neun Departamento-Präfekturen. Den MAS-Politikern, schlussfolgerten Beobachter, würde besonders die große Politik im Andenland überantwortet. Auch der Unterschied zwischen Stadt und Land zeigte sich 2010 deutlich. Mit dem überwältigenden Rückhalt von Bauern und Landarbeitern fielen landesweit 231 von 301 Rathäusern an die MAS.

Ohne überzeugende Alternative zu den sozialen und wirtschaftlichen Reformen des »Prozesses des Wandels«, den der MAS seit 2006 vorantreibt, klammert sich die Opposition nach zermürbenden Personalstreitigkeiten ohne den erhofften Einheitskandidaten nach venezolanischem Vorbild an jeden Strohhalm. Laut Umfragen liegt Morales mit 40 bis 46 Prozentpunkten uneinholbar vor dem Zweitplazierten. Der Zementmillionär Samuel Doria Medina und Chef der »Nationalen Einheit« (UN) ist weit abgehängt, nur 13 bis 18 Prozent wollen den neoliberalen Explanungsminister im Palacio Quemado sehen. Und so schaut man mit neidischem Blick ins Nachbarland Brasilien, wo der lange Drittplazierte Aécio Neves bei den Präsidentschaftswahlen am Wochenende überraschend in die Stichwahl gegen Amtsinhaberin Dilma Rousseff rutschte. Die »Christdemokratische Partei« (PDC) setzt nun kurzerhand auf den »Neves-Faktor«. »Das gleiche wird in Bolivien passieren, darum bitte ich die Bevölkerung, den Umfragen nicht zu vertrauen«, erklärte PDC-Vizekandidat Tosasa Yarhui. Jorge »Tuto« Quiroga, Parteichef und Spitzenkandidat der PDC, erreicht derzeit allerdings lediglich acht bis zehn Prozent. Nicht besser steht MSM-Politiker Juan del Granado da. Nur drei Prozent würden den Exbürgermeister von La Paz wählen. »Auch in Bolivien ist noch nichts gesagt«, orakelte Medina. Ein ganz eigenes Demokratieverständnis kommt von den Grünen (PV). »Das Demokratischste ist eine Stichwahl«, findet der mit 0,8 bis zwei Prozent Letztplazierte, Fernando Vargas.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 9. Oktober 2014


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