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Bolivien will als G77-Vorsitzender an Vergessene erinnern

Linkssozialist Evo Morales wird nun auch auf der Weltbühne aktiv / Deutschland-Besuch für dieses Jahr angekündigt

Von Benjamin Beutler *

Voraussichtlich im »ersten Quartal des Jahres« werde Boliviens Präsident Evo Morales nach Deutschland kommen, teilte Botschafterin Elizabeth Salguero mit. Das Andenland wird international aktiv.

Bisher wahrlich keine Hauptdarstellerin auf der internationalen Bühne, hat die südamerikanische Zehn-Millionen-Einwohner-Nation Bolivien in diesem Monat für ein Jahr den Vorsitz des Bündnisses der Entwicklungsländer plus China (G77) innerhalb der Vereinten Nationen übernommen. »Für das bolivianische Volk ist der 8. Januar 2014 ein einzigartiger und historischer Tag«, freute sich Südamerikas erster indigener Staatspräsident Evo Morales am UNO-Sitz in New York über die prestigeträchtige Aufgabe.

In seiner Antrittsrede nach der turnusgemäßen Übernahme des Vorsitzes im zahlenmäßig größten Zusammenschluss innerhalb der UNO machte der Chef der Bewegung zum Sozialismus (MAS) gewohnt wortgewaltig klar, wofür sich La Paz in den kommenden zwölf Monaten einsetzen werde: »Wir wollen eine gewisse Gleichheit der Völker, indem wir immer an die am meisten Vergessenen in der Geschichte unserer Völker denken.«

Dazu feuerte der MAS-Führer eine gehörige Portion Kritik in Richtung Washingtons und seiner Verbündeten. »Also ich sehe nicht, dass die kapitalistischen Länder weiterhin so stark und mächtig sind. Vielleicht sind sie stark mit Gewehrkugeln, aber ihre Programme haben weder Vorschläge, Ethik und Moral noch Projekte, um die Menschheit zu retten«, erklärte Morales nach der Zeremonie in einem Interview mit dem venezolanischen Staatssender TeleSur. Gewählt wurde das Andenland im November 2013 in der UN-Generalversammlung per Akklamation.

Für das internationale System sehe er ein »Ende der Oligarchie« gekommen, sagte der bolivianische Präsident. Das Beispiel Boliviens, das seine Öl- und Gasvorkommen im Jahre 2006 wieder unter öffentliche Kontrolle genommen hatte, habe gezeigt, dass »die Zeiten der Privatisierung des Reichtums vorbei sind«.

Die im Laufe seiner inzwischen achtjährigen Amtszeit rückverstaatlichten Bergbauunternehmen, Telekommunikationsfirmen, Wasser- und Stromversorger und die Stärkung des Staates seien Beleg dafür, dass »der Reichtum vergesellschaftet werden muss, um die Armut zu bekämpfen«, verkündete das Staatsoberhaupt selbstbewusst. »Ich persönlich wünsche mir, dass die Welt weder vom Finanzsystem und von multinationalen Unternehmen regiert noch von kleinen, militärisch durchdrungenen Gruppen dominiert wird.«

Das lockere G77-Bündnis vereint 133 Staaten des Südens. 50 Jahre nach seiner Gründung im Verlauf der ersten Welthandelskonferenz (UNCTAD) 1964 feiert die Interessenvertretung in diesem Juni ihre »Goldene Hochzeit«.

Längst hat La Paz die Weltbühne auch für seine Innenpolitik entdeckt. Geschickt dirigierten Boliviens Diplomaten die Wahl ihres Landes in den G77-Vorsitz in das anstehende heimatliche Wahljahr. Im Oktober 2014 werden Präsident und Parlament neu gewählt, und zu Hause kommt die Außenpolitik des Chefdiplomaten David Choquehuanca äußerst gut an.

So sprach La Paz den Mitgliedsstaaten aus Asien, Afrika, Lateinamerika und Ozeanien flugs eine Einladung zum 50-jährigen Jubiläum aus. Ort der Feierlichkeiten soll ausgerechnet die Oppositionshochburg Santa Cruz de la Sierra im Amazonas-Tiefland sein. Noch 2008 hatte die Unternehmerelite des an Bodenschätzen reichen Departamentos den Aufstand gegen die linke Zentralregierung geprobt. Das Andenland wurde damals an den Rand eines Bürgerkriegs manövriert.

Doch diese unruhigen Zeiten sind vorbei. Stattdessen kann die MAS-Regierung auf sichtbare Erfolge verweisen. Das zweitstärkste Wirtschaftswachstum in der Region, ein Plus in der Handelsbilanz und ein ausgeglichener Staatshaushalt, Sozialprogramme für die Ärmsten und zuletzt, Ende Dezember 2013, der Start des ersten Telekommunikationssatelliten lassen die Sozialisten in den Anden zuversichtlich in die Zukunft schauen.

Auch der erste Besuch Evo Morales' in Deutschland, wie ihn jetzt Botschafterin Elizabeth Salguero gegenüber der Tageszeitung »La Razón« ankündigte, dürfte dem Renommee des Präsidenten zu Hause durchaus dienlich sein – auch wenn der Bolivianer und Bundeskanzlerin Angela Merkel gewiss nicht in jedem Punkt übereinstimmen werden.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 14. Januar 2014


Morales besucht Merkel

Boliviens Präsident plant Reise nach Deutschland. Berlin will Rohstoffe

Von Benjamin Beutler **


Erstmals seit seinem Amtsantritt 2006 wird Boliviens Präsident Evo Morales nach Berlin kommen. »Das ist ein offizieller Besuch«, bestätigte Boliviens Botschafterin in Berlin, Elizabeth Salguero, zu Wochenbeginn. Ein genauer Termin stehe noch nicht fest, Salguero erwartet aber einen Zeitpunkt im »ersten Halbjahr dieses Jahres«. Morales soll dann von Vizepräsident Álvaro García Linera begleitet werden. Der Exguerillero gilt als Vordenker des bolivianischen »Prozeß des Wandels« und hatte Europas Linke jüngst zu mehr Entschlossenheit aufgefordert.

Der Botschaftsmitteilung zufolge kommt Morales auf Einladung von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Neben den »vielen gemeinsamen Themen, die Kanzlerin Merkel und Präsident Morales behandeln werden«, erklärte Salguero, solle auch über die industrielle Weiterverarbeitung von Bodenschätzen gesprochen werden. In Bolivien lagern die weltweit größten bekannten Lithiumvorkommen. Der Grundstoff für Akkubatterien, wie sie beispielsweise für Elektroautos gebraucht werden, könnte bei einem Markterfolg günstiger stromgetriebener Pkw knapp und teuer werden. La Paz will das »weiße Gold der Zukunft« nicht nur billig exportieren, sondern im eigenen Land eine Batterieproduktion unter staatlicher Regie aufbauen. Die staatliche Bergbaufirma COMIBOL hat bereits investiert und erste Verträge mit Südkorea und China abgeschlossen. Merkel dürfte daher an einer Regelung zur Versorgung der deutschen Industrie gelegen sein.

Als Einstiegsangebot hat die Kanzlerin einen Know-how-Transfer für Windenergie auf den Tisch gelegt. Über ein Ausbildungsprogramm für bolivianische Ingenieure beim Batteriehersteller Varta und in der Bundesanstalt für Rohstoffe hofft Berlin zudem, wieder verstärkten Zugang zur Wirtschaft des boomenden Andenlands zu bekommen. Vor allem gegenüber China geraten deutsche Unternehmen dort derzeit ins Hintertreffen. Bei Bergbau-, Straßen-, Eisenbahn- und Energieprojekten wollen die bereits in Bolivien arbeitenden Firmen wie Siemens, Ferrostaal und Linde nicht länger hintanstehen. Auch die Deutsche Bahn beteiligt sich an Ausschreibungen.

** Aus: junge Welt, Mittwoch, 15. Januar 2014


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