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Morales träumt von Atomkraft

Boliviens Regierung betont »Recht auf Kernenergie«. Frankreich bestreitet Kooperation

Von Benjamin Beutler *

Evo Morales sorgt wieder für Aufregung. »Ich möchte Ihnen mitteilen, daß wir nicht weit davon entfernt sind, in kurzer Zeit über Kernenergie zur friedlichen Nutzung zu verfügen«, entfachte Boliviens Präsident Anfang der Woche ein Rauschen im heimischen und internationalen Blätterwald. Diese vermeldeten die Sensation vom »Atomeinstieg« Boliviens. »Wir haben dafür ausreichend Rohstoffe, und wir haben das Recht dazu«, hatte sich der Staatschef bei einer Neujahrsansprache vor Militärs im zentralbolivianischen Cochabamba aus dem Fenster gelehnt. Bolivien verfügt nicht nur über Uranvorkommen, sondern auch über die weltweit größten Reserven an Lithium, dem Grundstoff für eine noch im Entwicklungsstadium befindliche kontrollierte Kernfusion.

Eine wirkliche Neuigkeit war die Ankündigung jedoch nicht. Schon im vergangenen Oktober hatte Morales nach einem Treffen mit Vertretern der heimischen Energiewirtschaft erklärt, daß mit Frankreich und Argentinien eine Kooperation im kerntechnischen Bereich angestrebt werde. »Ganz leise haben wir daran gearbeitet«, lobte der Politiker der Bewegung zum Sozialismus (MAS) seinen Atomcoup als Ergebnis geschickter Geheimdiplomatie. Schnell aber wurde klar, daß es sich beim Traum vom Atomkraftwerk eher um erste Gedankenspiele als um handfeste Fortschritte handelt. »Damit die Sache für die Fernsehzuschauer und Radiohörer klar ist: Es gibt kein Nuklearprogramm und keinen dazugehörigen Vertrag«, dementierte Frankreichs Botschafter in Bolivien, Michel Pinard. Tatsächlich handelt es sich wohl vor allem um ein Thema für den Wahlkampf. Im Oktober 2014 werden Parlament und Präsident neu gewählt. Und nach dem geglückten Start von Boliviens erstem Kommunikationssatelliten »Túpac Katari« Ende Dezember strotzt die Linksregierung vor Selbstbewußtsein.

Unklar ist auch, ob es zu Boliviens Atomträumen tatsächlich langfristige Planungen gibt. Immerhin hat es im vergangenen Jahr zumindest ein hochrangiges Treffen für eine mögliche Zusammenarbeit mit der Atommacht Frankreich gegeben. Am Rande der UN-Vollversammlung in New York hatte Frankreichs Präsident François Hollande im September persönlich mit seinem Kollegen aus Bolivien gesprochen. Doch vereinbart wurde in New York offiziell lediglich die Ausbildung bolivianischer Ärzte an medizinischer Nukleartechnik. Das ist wichtig, denn im zweitärmsten Staat des Kontinents sind selbst Röntgengeräte Mangelware.

Auch zum Nachbarland Argentinien, das seit der Perón-Ära Anfang der 1950er Jahre über ein eigenes Atomprogramm verfügt, bestehen seit langem Kontakte in diesem Bereich. So wurde in den 1970er Jahren mit Buenos Aires ein Kooperationsabkommen geschlossen, das 2013 beim Besuch von Argentiniens Planungsminister Julio de Vido in La Paz noch einmal aufgefrischt wurde. Unbestätigten Pressemeldungen zufolge soll Bolivien zudem schon 2010 mit dem Iran die Entwicklung eines Atomkraftwerkes vereinbart haben.

Klar ist allerdings, daß so oder so noch viel Zeit verstreichen wird, bis der erste Meiler ans Netz gehen kann. Nach einem Treffen der 30 wichtigsten Kernphysiker des Landes im November nannte der Direktor des Bolivianischen Instituts für Nukleartechnik und -wissenschaft (IBTEN), Luís Romero, die Atompläne zwar als »machbar« schätzte, warnte jedoch auch vor Schnellschüssen: Bolivien brauche für ein solches Projekt noch mindestens 20 Jahre.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 8. Januar 2014


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