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Weltraumrebell aus den Anden

Mit chinesischer Hilfe will Bolivien seinen ersten Satelliten ins All schicken

Von Benjamin Beutler *

Bis 2013 will Bolivien über einen eigenen Satelliten verfügen und wäre damit nach Argentinien, Brasilien, Mexiko und Venezuela das fünfte Land des Kontinents mit einem eigenen Sputnik. Hilfe für das ehrgeizige Projekt hat das Andenland in Peking gefunden. »Unser Wirtschaftsminister ist heute nacht nach China abgereist, um die weitere Finanzierung für den Bau des Satelliten Túpac Katari sicherzustellen«, informierte Staatspräsident Evo Morales in der vergangenen Woche während der Feierlichkeiten zur Einführung eines digitalen Fernsehnetzes, das mit Unterstützung der japanischen Regierung errichtet worden war. Benannt wurde der Satellit, dessen Kosten sich auf 200 bis 300 Millionen US-Dollar belaufen sollen, nach dem in ganz Lateinamerika bekannten Aymara-Rebellen Túpac Katari, der 1781 einen Aufstand gegen die spanische Kolonialherrschaft in Alto Peru (Bolivien) angeführt hatte. »Für Bolivien ist der Satellit sehr wichtig. Produktion, Bildung, Gesundheit und die Beobachtung von Naturereignissen wie globale Erwärmung würden unmittelbar profitieren«, kommentierte Boliviens Minister für Öffentliche Bauten, Dienstleistungen und Wohnungsbau, Walter Delgadillo.

Boliviens Linksregierung arbeitet mit Hochdruck an ihrer »Kommunikationsrevolution«. Per Präsidialdekret 423 wurde im Februar 2010 die Bolivianische Weltraumagentur ABE gegründet, der ein vom Präsidenten ernannter Direktor vorsteht. Angesiedelt ist die Raumfahrtbehörde im Ministerium für Öffentliche Bauten, Repräsentanten sollen aber den direkten Kontakt mit sechs involvierten Ministerien sicherstellen. Auch die Gespräche mit China werden von der ABE geleitet.

Der Termin zur Schaffung einer unabhängigen Kommunikationsinfrastruktur steht längst fest. Im April 2010 unterzeichnete die ABE mit dem chinesischen Unternehmen Great Wall Industries Corporation einen Vertrag zum Bau des Raumflugkörpers auf Grundlage der chinesischen Satellitenplattform DFH-4. In spätestens drei Jahren dann soll Túpac Katari erste Signale in die Anden senden.

Wortreich verleugnen Kritiker derweil den Nutzen des Multimillionenprojekts. Die Regierung überhebe sich, vor Verschwendung staatlicher Gelder wird gewarnt. Roger Carvajal, Minister für Wissenschaft und Technologie, begegnet dieser Kritik mit dem Verweis auf den Nutzen des Satelliten. Aus dem All könnten die Vorkommen mineralischer Ressourcen wie Eisenerze, fossiler Brennstoffe wie Gas und Öl, die Biodiversität und Wasservorräte bestimmt werden. »Von einer Bodenstation werden Fotos vor Ort ausgewertet«, so Carvajal zur praktischen Anwendung. Die Kommunen könnten in erheblichem Maße die bisherigen Kosten für die Überprüfung ihrer Bodenkataster sparen. Das Satellitenprogramm, so der Minister, sei keine Erfindung der Regierung. Vielmehr hätten Landwirtschaftsbetriebe und kleine Produktionsgemeinschaften in abgelegenen Gegenden ohne Mobiltelefonempfang den Wunsch nach diesem modernen Werkzeug an den Palacio Quemado herangetragen.

* Aus: junge Welt, 26. Juli 2010


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