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Im Namen der Befreiung

Boliviens Präsident Evo Morales verkündet vor Hunderttausenden in El Alto das Inkrafttreten der neuen Verfassung

Von Benjamin Beutler *

Unter dem Jubel Hunderttausender Anhänger hat der bolivianische Präsident Evo Morales die neue Verfassung des Landes in Kraft gesetzt. Diese sei der Anfang für einen »gemeinschaftlichen Sozialismus« in Bolivien, sagte Morales am Wochenende bei einer Zeremonie in El Alto nahe La Paz. »Nach 500 Jahren der Rebel­lion gegen Eroberung und permanenter Ausbeutung, 180 Jahren des Widerstandes gegen einen kolonialen Staat und 20 Jahren des unaufhörlichen Kampfes gegen das neoliberale Modell ist der heutige 7. Februar 2009 ein einmaliges historisches Ereignis für Bolivien und Lateinamerika«, so Morales bei der zentralen Feier zum Inkrafttreten der Magna Charta.

Am 25. Januar war die Verfassung per Referendum angenommen worden, ein Novum in der Geschichte Boliviens. 61,43 Prozent hatten mit Ja gestimmt. Der erste indigene Präsident Lateinamerikas erinnerte nun an die zahlreichen Versuche seiner politischen Gegner, ihn vor und nach seiner Wahl 2005 von der politischen Bühne und aus dem Regierungspalast zu vertreiben. »Jetzt können sie mich aus dem Palacio Quemado holen und mich töten. Mission erfüllt! Es lebe die Neugründung eines vereinten Boliviens!«.

Strömendem Regen zum Trotz und im Beisein von Mitgliedern des Verfassungskonvents und Regierungsmitgliedern, Vertretern von Gewerkschaften und sozialen Bewegungen sowie von Militär und Polizei ließ Morales den mit diesem Tag formal abgeschlossenen Verfassungsprozeß Revue passieren. Dieser habe seine Inspiration in vielen Aufständen der Indigenen gegen die spanische Krone gefunden. Auch erinnerte er an den Rassismus, dem die indigenen Konventsmitglieder bei der Redaktion der neuen Magna Charta ausgesetzt waren. Doch seien die Anstrengungen nicht umsonst gewesen. Grundbedürfnisse wie Wasser, Strom, Telefon wären jetzt Menschenrechte, die »kein privates Busineß, sondern eine öffentliche Dienstleistung sind«, so Morales.

Die Gleichheit aller 36 indigenen Völker sei in Zukunft sichergestellt. »Keiner wird ausgeschlossen«, versprach der Präsident. Gleichzeitig rief er zur Versöhnung zwischen »alten und neuen originären Völkern« des Landes auf. Auch bedankte er sich bei den Streitkräften für ihre Loyalität. »Ein Kommandant kam zu mir und fragte mich, mit welchen Gewerkschaftern er sich im Falle eines Putsches zu koordinieren habe«, bezog sich Morales auf die sezessionistische Rechte, die sich hinter der Autonomieforderung für die Tiefland-Provinzen versteckt.

Die neue Verfassung garantiert die departamentale, kommunale und indigene Selbstverwaltung. Am Ende der Zeremonie vereidigte Boliviens Staatsoberhaupt die Anwesenden auf das neue Grundgesetz. »Im Namen der Förderer der Befreiung und der Helden unserer Vorfahren, die ihr Leben für das der anderen gaben, im Namen des bolivianischen Volkes: Schwört ihr den Respekt für die neue Verfassung?« Die einstimmige Antwort der Versammlung ließ keine Zweifel aufkommen: »Ja, ich schwöre!«

* Aus: junge Welt, 9. Februar 2009


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