"Evo Morales ist sehr geduldig"
Gerardo García: Bolivien wird bei seiner Neugründung weiter den demokratischen Weg gehen
Das Ringen um die Verfassungsreform in Bolivien geht weiter. Das Nationale Wahlgericht hatte die von Präsident Evo Morales angestrebte Volksabstimmung über die Verfassung abgelehnt. Begründung: Das Parlament müsse entscheiden. Die regierende Bewegung zum Sozialismus (MAS) will nun dem Senat, der von der Opposition beherrscht wird, ein Gesetz über das Verfassungsreferendum vorlegen. Scheitert es dreimal, müssen beide Kammern, Abgeordnetenhaus und Senat, zusammen abstimmen. In dieser gemeinsamen Versammlung hätte die MAS die Mehrheit. Das Neue Deutschland (ND) befragte den Vizepräsidenten der MAS, Gerardo García.
ND: Auf welche Machtbasis stützt Präsident Evo Morales seine Entscheidung, die Verfassungsreform in
einem Referendum abstimmen zu lassen?
Gerardo García: Fast sieben von zehn Bolivianern haben sich am 10. August beim Amtsenthebungsreferendum für
den Präsidenten und die von ihm angeführte »demokratisch-kulturelle Revolution« ausgesprochen.
Diese 67 Prozent Zustimmung sind zustande gekommen, obwohl viele unserer Anhänger nicht an
der Wahl teilnehmen konnten. Trotz dieser widrigen Umstände gingen Evo Morales und die MAS
gestärkt aus dem Referendum hervor und können die Politik des Wandels mit größerer Legitimität
fortsetzen.
Was erschwerte den Verlauf der Referenden?
In Boliven besteht Wahlpflicht. Der einzige Weg, die Menschen an der Ausübung ihrer
demokratischen Bürgerpflicht zu hindern, ist die illegale Streichung aus Wahllisten oder die
Androhung von Gewalt. Schlägertrupps der Rechten haben vor dem Referendum MASSympathisanten
angegriffen und eingeschüchtert, vor allem in den von regierungsfeindlichen
Präfekten geführten Departamentos Santa Cruz, Tarija, Beni und Pando.
Dabei haben wir in unserer Regierungszeit dafür gesorgt, dass endlich alle Bürger Ausweispapiere
bekommen und in die Wahlregister eingetragen werden. Auch die über zwei Millionen im Ausland
lebenden Bolivianer werden bald die Möglichkeit haben, trotz Abwesenheit an Wahlen teilzunehmen.
Auch die rechten Präfekten der Tieflandregionen sind durch die Referenden im August überwiegend
im Amt bestätigt worden. Wie interpretieren sie deren anhaltende Blockadepolitik?
Wir verstehen sie als Zeichen der Hoffnungslosigkeit, als politischen Todeskampf. Ideologisch sind
sie am Ende, politisch haben sie keine Argumente. Vor dem Referendum sind sie in einen
Hungerstreik getreten. Wir wissen, dass sie heimlich zu essen bekamen. Danach wollten sie die
wichtigsten Straßen blockieren, was mangels Teilnahme der Bevölkerung scheiterte. Dasselbe ist
mit ihrem Generalstreik geschehen, den sie zum Anlass genommen haben, um ihre Schlägertrupps
der »Jugendunion Santa Cruz« auf unsere Genossen zu hetzen. Ihre letzte Drohung, die
Gasförderanlagen und Pipelines zu besetzen, werden sie kaum wahr machen, da sie sich sonst
strafbar machen würden. Die Handlungen der Opposition dienen einzig den Interessen derer, die
unsere Wirtschaft weiter zu ihrem Vorteil ausbeuten wollen. Das haben die meisten Bolivianer
mittlerweile durchschaut.
Oft wird behauptet, Bolivien sei in Hochland und Tiefland, in MAS-Unterstützer und MAS-Gegner,
gespalten. Zu Recht?
Nein, das stimmt so einfach nicht. In den Hochburgen der Opposition – Santa Cruz, Beni und Pando
– haben über 40 Prozent der Menschen für Evo Morales und den Wandel gestimmt, in Tarija die
Hälfte. Im Vergleich zu den Wahlen 2005 konnten wir zulegen, und das angesichts der medialen
Übermacht, die gegen uns eingesetzt wird. Nein, Bolivien ist territorial und geistig auf keinen Fall
gespalten. In den Städten ist die Oberschicht natürlich gegen uns, die Landbevölkerung ist auf
unserer Seite.
Und wie verhält sich die Mittelschicht?
Viele haben Angst, sich offen zu Evo zu bekennen. Zu sehr hängen sie wirtschaftlich von den
Regierungsgegnern ab. Aber ich denke, dass der Großteil der Mittelschicht begriffen hat, dass wir
auch für sie Politik machen.
Bei so großem Rückhalt fordern viele ein »hartes Durchgreifen« gegen die Opposition. Was spricht
dagegen?
Zu Vertretern einer harten Linie sagt unser Präsident immer wieder: »Genossen, lasst euch nicht
provozieren, das ist genau das, was sie suchen: das Anzetteln eines Bürgerkrieges.« Evo Morales
ist sehr geduldig. Er wird weiter den demokratischen Weg gehen.
Fragen: Benjamin Beutler
* Aus: Neues Deutschland, 4. September 2008
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