Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Evo Morales ist sehr geduldig"

Gerardo García: Bolivien wird bei seiner Neugründung weiter den demokratischen Weg gehen

Das Ringen um die Verfassungsreform in Bolivien geht weiter. Das Nationale Wahlgericht hatte die von Präsident Evo Morales angestrebte Volksabstimmung über die Verfassung abgelehnt. Begründung: Das Parlament müsse entscheiden. Die regierende Bewegung zum Sozialismus (MAS) will nun dem Senat, der von der Opposition beherrscht wird, ein Gesetz über das Verfassungsreferendum vorlegen. Scheitert es dreimal, müssen beide Kammern, Abgeordnetenhaus und Senat, zusammen abstimmen. In dieser gemeinsamen Versammlung hätte die MAS die Mehrheit. Das Neue Deutschland (ND) befragte den Vizepräsidenten der MAS, Gerardo García.



ND: Auf welche Machtbasis stützt Präsident Evo Morales seine Entscheidung, die Verfassungsreform in einem Referendum abstimmen zu lassen?

Gerardo García: Fast sieben von zehn Bolivianern haben sich am 10. August beim Amtsenthebungsreferendum für den Präsidenten und die von ihm angeführte »demokratisch-kulturelle Revolution« ausgesprochen. Diese 67 Prozent Zustimmung sind zustande gekommen, obwohl viele unserer Anhänger nicht an der Wahl teilnehmen konnten. Trotz dieser widrigen Umstände gingen Evo Morales und die MAS gestärkt aus dem Referendum hervor und können die Politik des Wandels mit größerer Legitimität fortsetzen.

Was erschwerte den Verlauf der Referenden?

In Boliven besteht Wahlpflicht. Der einzige Weg, die Menschen an der Ausübung ihrer demokratischen Bürgerpflicht zu hindern, ist die illegale Streichung aus Wahllisten oder die Androhung von Gewalt. Schlägertrupps der Rechten haben vor dem Referendum MASSympathisanten angegriffen und eingeschüchtert, vor allem in den von regierungsfeindlichen Präfekten geführten Departamentos Santa Cruz, Tarija, Beni und Pando.

Dabei haben wir in unserer Regierungszeit dafür gesorgt, dass endlich alle Bürger Ausweispapiere bekommen und in die Wahlregister eingetragen werden. Auch die über zwei Millionen im Ausland lebenden Bolivianer werden bald die Möglichkeit haben, trotz Abwesenheit an Wahlen teilzunehmen.

Auch die rechten Präfekten der Tieflandregionen sind durch die Referenden im August überwiegend im Amt bestätigt worden. Wie interpretieren sie deren anhaltende Blockadepolitik?

Wir verstehen sie als Zeichen der Hoffnungslosigkeit, als politischen Todeskampf. Ideologisch sind sie am Ende, politisch haben sie keine Argumente. Vor dem Referendum sind sie in einen Hungerstreik getreten. Wir wissen, dass sie heimlich zu essen bekamen. Danach wollten sie die wichtigsten Straßen blockieren, was mangels Teilnahme der Bevölkerung scheiterte. Dasselbe ist mit ihrem Generalstreik geschehen, den sie zum Anlass genommen haben, um ihre Schlägertrupps der »Jugendunion Santa Cruz« auf unsere Genossen zu hetzen. Ihre letzte Drohung, die Gasförderanlagen und Pipelines zu besetzen, werden sie kaum wahr machen, da sie sich sonst strafbar machen würden. Die Handlungen der Opposition dienen einzig den Interessen derer, die unsere Wirtschaft weiter zu ihrem Vorteil ausbeuten wollen. Das haben die meisten Bolivianer mittlerweile durchschaut.

Oft wird behauptet, Bolivien sei in Hochland und Tiefland, in MAS-Unterstützer und MAS-Gegner, gespalten. Zu Recht?

Nein, das stimmt so einfach nicht. In den Hochburgen der Opposition – Santa Cruz, Beni und Pando – haben über 40 Prozent der Menschen für Evo Morales und den Wandel gestimmt, in Tarija die Hälfte. Im Vergleich zu den Wahlen 2005 konnten wir zulegen, und das angesichts der medialen Übermacht, die gegen uns eingesetzt wird. Nein, Bolivien ist territorial und geistig auf keinen Fall gespalten. In den Städten ist die Oberschicht natürlich gegen uns, die Landbevölkerung ist auf unserer Seite.

Und wie verhält sich die Mittelschicht?

Viele haben Angst, sich offen zu Evo zu bekennen. Zu sehr hängen sie wirtschaftlich von den Regierungsgegnern ab. Aber ich denke, dass der Großteil der Mittelschicht begriffen hat, dass wir auch für sie Politik machen.

Bei so großem Rückhalt fordern viele ein »hartes Durchgreifen« gegen die Opposition. Was spricht dagegen?

Zu Vertretern einer harten Linie sagt unser Präsident immer wieder: »Genossen, lasst euch nicht provozieren, das ist genau das, was sie suchen: das Anzetteln eines Bürgerkrieges.« Evo Morales ist sehr geduldig. Er wird weiter den demokratischen Weg gehen.

Fragen: Benjamin Beutler

* Aus: Neues Deutschland, 4. September 2008


Zurück zur Bolivien-Seite

Zurück zur Homepage